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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


galt sowohl die Heimkehr des jungen Grafen von Paris, wie auch die Vollendung des nach verheerendem Brande begonnenen Neubaues zu feiern, weshalb der alte Graf schon mehrere Wochen in dem neuen Hause weilte, um die umfassendsten Vorbereitungen zu dem glänzenden Feste zu treffen, während der junge Graf, der sich nur ungern den rauschenden Carnevalsfreuden der ungarischen Hauptstadt entriß, erst einen Tag vor dem Festabende zum Empfang der Gäste eintreffen sollte. Doch zauderte der lebenslustige Cavalier auch dann noch so lange, daß er, um den Termin nur einigermaßen einzuhalten, genöthigt war, zur Fahrt von der letzten Eisenbahnstation bis zum Gute auch die Nacht zu benutzen.

So flog er denn, erfüllt von süßen Bildern erlebter und zu hoffender Genüsse, im geschlossenen, von vier feurigen Pferden gezogenen Reisewagen, dem zwei bewaffnete Diener zu Pferde folgten, über die wohlbekannte heimathliche Steppe, als plötzlich ein Reiter, wie aus der Erde auftauchend, vor dem Wagen erschien und dem Kutscher drohend Halt gebot. Dieser, ein muthiger Bursche, beantwortete die Aufforderung mit einem gewaltigen Hiebe auf die scheuenden Thiere, doch dem Hiebe des Rosselenkers folgte ebenso rasch Blitz und Knall aus der Pistole des Wegelagerers und der Fall eines der Vorderpferde, dessen Sturz das ganze Gespann in die Stränge verwickelte und zum Stillstand zwang. Dieser Beweis von Geschicklichkeit in der Handhabung der Waffe schien für die beiden bewaffneten Diener vollkommen genügend, um sie die eiligste Flucht räthlich finden zu lassen.

Der Graf dagegen, in der Meinung, daß es sich um einen gewöhnlichen, landesüblichen Raubanfall handelte, sprang aus dem Wagen und beeilte sich die Ringe von der Hand und die Börse aus der Tasche zu ziehen.

„Behalte Dein Gold!“ rief der Reiter, „erkennst Du den schwarzen Lajos nicht mehr?“

Der Graf erbleichte.

„Was habt Ihr mit meinem Vater gemacht?“ fuhr Lajos finster fort.

„Er starb im Kerker, wohin man ihn als Deinen Mitschuldigen gebracht,“ erwiderte der Graf, indem er gleichzeitig nach seinem Revolver griff, denn er sah ein, daß es sein Leben galt.

„Ihr habt den schuldlosen Mann zu Tode gemartert,“ sagte Lajos, „und wo ist Erszebet (Elisabeth), meine Schwester?“

Der Graf schwieg und ließ die Feder springen.

„Antworte!“ rief Lajos drohend.

„Hier die Antwort, die dem Mordbrenner gebührt,“ entgegnete der Graf losdrückend.

Aber Lajos hatte ihn scharf beobachtet. Sein Pistol knallte fast gleichzeitig mit des Grafen Revolver und bewährte sich auch diesmal in der sichern Hand des Schützen, denn sein Gegner brach fast lautlos zusammen. Einen Moment betrachtete Lajos den im Todeskampfe zuckenden Körper seines Opfers, dann wandte er sein Pferd und jagte von der Straße abseits in die mit dünnem, weichem Schnee bedeckte Steppe.

Allein auch seine Stunde war gekommen. Als ob der Anblick des Blutes, nach dem sein Rachedurst so lange gelechzt, sein sonst so scharfes Auge getrübt hätte, bemerkte er erst jetzt, daß ihn sein schnelles Pferd einer durch die Schüsse herbeigelockten Gensd’armeriepatrouille gerade entgegentrage. Ein Ausbrechen nach seitwärts war unmöglich geworden, und ihm blieb nichts übrig, als sein Thier im vollen Laufe anzuhalten und auf den Hacken zu wenden. Das war nun für den Sohn der Pußta und seinen vierfüßigen Freund eben kein Kunststück, doch – seine Stunde war gekommen. Bei der jähen Wendung strauchelte das sonst so sichere Thier und begrub im Falle den Reiter unter seinem Leibe.

Bei der Vernehmung gestand Lajos ohne Umschweife den Mord, leugnete jedoch entschieden, eine Beraubung des Grafen beabsichtigt zu haben und nur – wie man annahm – durch die herannahende Patrouille in der Ausführung gestört worden zu sein, wie er denn auch sonst trotz zahlreicher Verdachtsgründe keines andern Raubanfalles überwiesen werden konnte. Doch der eingestandene Mord genügte den Richtern, um die Strenge des Standrechtes walten zu lassen. –

Der dumpfe Ton der Trommel rief mich aus der Gerichtsstube, wo ich meine Nachrichten bezogen, auf die Straße hinab. Der Zug hatte sich schon in Bewegung gesetzt.

Ganz im Gegensatze zu dem Gehaben der bisher abgeführten Delinquenten, welche bei aller Stumpfsinnigkeit sich meist, moralisch und physisch gebrochen, mühsam vorwärts schleppten, ging Lajos hoch gehobenen Hauptes und festen Schrittes zwischen der Escorte, ohne sich um die frommen Ermahnungen des dicht an seiner Seite schreitenden Geistlichen zu kümmern.

Sein Herz hing noch fest am Irdischen, und sein Blick, statt sich reuevoll nach innen zu kehren, schweifte forschend über den begleitenden Menschenstrom hin. Bei raschem Marschtempo gelangte der Zug bald in’s Freie, wo abermals Hunderte von Landleuten der Umgegend sich anschlossen, Männer, Weiber und Kinder in buntem Gewirre, die Männer meist kaltblütig aus ihren kurzen Pfeifen rauchend, die Weiber neugierig oder theilnahmsvoll den schönen, kräftigen Mann, der so muthig dem Tode entgegenging, betrachtend.

An einem Kreuzwege, wo sich ein dichter Menschenknäuel angesammelt, horchte Lajos plötzlich auf. Sein feines Gehör hatte, trotz des Gesummes der wogenden Menge, das intensive Schluchzen eines Weibes vernommen. Auch ich, dem Laute näher, hatte es gehört und suchte das Gedränge zu durchbrechen.

„Platz, Platz für die arme Frau!“ riefen jetzt mehrere Stimmen, und rasch bildete sich eine Gasse.

Wie in den Boden gewurzelt blieb der Verurtheilte stehen und aus seinem blassen Gesichte sprühten die dunkeln Augen fast unheimlich leuchtende Blicke nach dem freigewordenen Raum. Und jetzt – welch ein Anblick! – näherte sich ein Weib, sein Weib, ein Kind auf dem Arme tragend, langsam, zögernd, als schleppte es eine schwere Kette nach sich.

Ach ja, es war die schwere Kette des Jammers, und ihre Wucht hatte die junge, üppig blühende Mutter binnen wenigen Tagen in ein lebensmüdes, verwelktes Weib verwandelt. Arme Steppenrose!

Drei Schritte nur trennten noch das schwankende Weib von dem Verurtheilten und fragend blickten die Soldaten auf den Commandanten. Dieser winkte Gewährung. Die Soldaten traten zur Seite, und mit herzzerreißendem Stöhnen lehnte sich die junge Frau an die Brust des gefesselten Verbrechers. Welcher Sturm von Gedanken und Gefühlen mochte die krampfhaft wogende Brust des starken Mannes durchtoben, als er das Herz seines jungen Weibes zum letzten Mal an dem seinigen schlagen fühlte!

War es die Erinnerung an selige Stunden vergangenen Glückes, was diese erst so düster flammenden Augen nun mit heißer Liebe und stummem Dank so traurig innig herabschauen ließ auf Weib und Kind? War es Schmerz und Reue, daß er die Pflichten des Gatten und Vaters der Rache an dem Manne geopfert, der sein Unglück und dasjenige der Seinen verursacht, oder der Gedanke an die ewige Trennung, an das jammervolle Ende seines kurzen Glückes, was seine erst so trotzig zusammengepreßten Lippen nun unsäglich wehmüthig erbeben machte?

Wer weiß es? Der, dessen Stunde gekommen war, hatte keine Zeit, weitläufig von seinen Gefühlen zu schwatzen; er wußte dies auch, und mit gedämpfter Stimme, doch dringend, sprach er: „Ilka, mein süßes Weib, sprich nur das eine Wort: kannst Du mir verzeihen?“

Das junge, schmerzdurchdrungene Weib versuchte ein Ja zu stammeln – doch vergeblich: auch das eine Wort wollte nicht über ihre Lippen; da lächelte sie schmerzlich, hob das Kind ein wenig empor und legte es sanft schmeichelnd an die Wange des Vaters. Und dieser verstand die stumme Sprache, und wie berauscht von der unerschöpflichen Fülle dieser Liebe, bedeckte er das Kind, wie die Hände, welche es trugen, und dann, in die Kniee sinkend, den Saum des Kleides und die Füße seines schönen unglücklichen Weibes mit glühenden Küssen.

Ich war im Laufe eines ziemlich bewegten Lebens Zeuge manch ergreifender Scene, doch keiner, die mich so erschüttert hätte wie diese. Und da war wohl in der ganzen Menschenmenge kein Herz verhärtet genug, um nicht im Mitgefühle solchen Wehes zu erheben; die anwesenden Frauen waren längst in lautes Schluchzen ausgebrochen, aber auch rauhe Männer bedeckten die überfließenden Augen mit den schwieligen Händen. Soldaten bissen grimmig die Zähne übereinander, und manchem Officier klirrte der zu Boden gestemmte Säbel in der zitternden Faust.

Es mußte ein Ende nehmen. Der Commandant gab ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_170.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)