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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Mondreisen zu einem willkommenen Mittel, die aristotelische Philosophie mit ihrer scholastischen Auslegung und ebenso die damaligen Streitigkeiten zwischen Theologie und Astronomie zu verspotten, und man liest noch heute mit Vergnügen in der „Mondreise“ des französischen Dichters Cyrano de Bergerac, wie man den Fremden auf dem Monde mit Todesstrafe bedroht, wenn er nicht seine ketzerische Meinung aufgeben wolle, daß jener große Weltkörper, dessen einziger Zweck sei, den Mondbewohnern bei Abwesenheit der Sonne als Leuchte zu dienen, eine bewohnte Erde und seine Heimath sei. Sechszehn Jahre vor dem Buche Bergerac’s, 1634, war in Deutschland Kepler’s „Traum vom Monde“ als nachgelassenes Werk im Drucke erschienen, eine Schrift, die uns in phantastischem Gewande die Verhältnisse der Mondwelt nach dem Stande der damaligen Astronomie schildert und uns den großen Astronomen zugleich als liebenswürdigen Dichter zeigt.

Haben sich die übrigen Autoren mehr oder weniger ungeschickter Transportmittel bedient, um ihre Helden von der Erde in den Mond gelangen zu lassen – Lucian einer Wasserhose, Ariost Elias’ Feuerwagen, Franz Godwin eines Gespannes wilder Gänse, Bergerac einer Flugmaschine, Verne gar einer Monstre-Kanone – so läßt Kepler sinnig den Schatten, welcher sich bei Sonnen- und Mondfinsternissen ohne Unterbrechung von dem einen Weltkörper bis zum andern spannt, als die ungeheure Brücke benützen, auf welcher die lichtfeindlichen Dämonen eilends einen Menschen hinübertragen können, aber sich sputen müssen, damit der Schatten nicht vor Erreichung ihres Zieles abreiße. Mit unerschütterlichem Vertrauen auf die Theorie des Copernikus einerseits und mit ahnender Zuversicht auf den kommenden Newton andererseits schilderte Kepler, wie auch Bergerac, die Drehung der von den Reisenden verlassenen Erdkugel, die zunehmende Kälte des Weltraums, die abnehmende Anziehungskraft der Erde, bis die Reisenden, über die neutrale Zone hinausgelangt, anfangen, in Folge ihrer Schwerkraft sich schnell nach dem Monde hin zu bewegen, um daselbst mit beschleunigter Geschwindigkeit zu landen. Dann entwirft uns Kepler mit der Vertiefungskraft des mathematischen Genies ein Bild der Himmelserscheinungen vom Monde aus, unter denen natürlich der Anblick der Volva, wie die Erde ihrer täglichen Umdrehung wegen genannt wird, eine hervorragende Stelle einnimmt.

Seine noch heute im höchsten Grade lesenswürdige Schilderung konnte natürlich bei der Mangelhaftigkeit der damaligen optischen Hülfsmittel und Methoden nicht nach allen Richtungen probehaltig ausfallen. So glaubte Kepler noch an die Bewohnbarkeit des Mondes, und die bald nach seinem Hinscheiden durch den Astronomen Riccioli begründeten Zweifel an einer solchen Möglichkeit, weil dem Monde die ersten Bedingungen des Lebens, Luft und Wasser, mangeln, sind erst in neuerer Zeit zu der erforderlichen Sicherheit erhoben worden. Noch in unserem Jahrhundert erklärte F. P. Gruithuysen in München die zum Theil zwölf Meilen und darüber breiten Mondkrater, die Kepler für tiefe Brunnen gehalten hatte, in denen sich die Mondbewohner vor der ungeheuren Sonnenhitze verbergen sollten, für kolossale Rundbauten, Ringmauern und Stadtwälle, und Brandes kam sogar auf die Idee, mit den Menschen des Mondes einen telegraphischen Gedankenaustausch anzubahnen, mit Hülfe ländergroßer Rapsfelder, denen man die Umrisse mathematischer Figuren geben sollte. Gruithuysen’s Meinung, daß die Erdmenschen oder Geen in Zukunft mit den Mondmenschen oder Meneen in allernächste Berührung und Verkehr kommen würden, hat Börne bekanntlich schon zu einer Feststellung des Besuchs-Ceremoniels veranlaßt. Er findet nämlich, wir dürften die Sache ruhig abwarten, da die Mondbewohner als Angehörige der kleineren Welt uns den ersten Besuch schuldig seien.

Wenn wir nunmehr dieses phantastisch-satirische Gebiet verlassen und uns fragen: was weiß die heutige Wissenschaft von der näheren Beschaffenheit des Mondes? so müssen wir sagen, daß diese uralte nachbarliche Neugierde und Theilnahme ihre vollkommene Befriedigung erst durch ein kürzlich erschienenes Prachtwerk der englischen Astronomen J. Nasmyth und J. Carpenter[1] gefunden hat, welches in einer jedem Gebildeten verständlichen Sprache den Mond nach allen seinen Eigenthümlichkeiten schildert, und die Kosten einer malerischen Mondreise, die das Buch in Wirklichkeit ersetzt, auf vierundzwanzig Mark ermäßigt. Nach einer dreißigjährigen Beschäftigung mit dem Monde haben diese Forscher Reliefkarten der lehrreichsten Bezirke desselben mit einer Genauigkeit ausgeführt, wie sie nur eine lange Uebung im teleskopischen Sehen ermöglicht. Diese Reliefs sind dann bei seitlicher Beleuchtung, sodaß die Erhabenheiten, wie beim ersten und letzten Mondviertel, lange Schatten werfen, photographirt und durch den Lichtdruck in so bewunderungswürdiger Weise wiedergegeben worden, daß man sich bei richtiger Lage dieser Quarttafeln und Schließung des einen Auges factisch mit der Fingerspitze davon überzeugen muß, wirklich nur spiegelglatte Lichtdrucke und nicht die Reliefs selbst vor sich zu haben. Mit Hülfe dieser Karten, die bisher ihres Gleichen nicht hatten, vermögen wir uns besser auf dem Monde zu orientiren, als wir es mit den besten Fernrohren zu thun im Stande sein würden, ja vielleicht besser, als wir es bei wirklich ausgeführter Reise zu thun vermöchten.

Wir erfahren hieraus, daß der Mond, gleich einem mit Pockennarben übersäeten Antlitze, dicht mit tausenden von kleineren und größeren Kratern bedeckt ist, die im Allgemeinen ganz so gebildet sind, wie die thätigen oder erloschenen vulcanischen Berge der Erde, nur daß die kleinsten noch sichtbaren größer sind, als unsere größten Vulcane, während es zahlreiche kolossale Ringe dieser Art auf dem Monde giebt, in deren Raum von mehr als zehn geographischen Meilen Durchmesser ganze Provinzen und deutsche Länder Platz fänden. Schroff erheben sich vereinzelte Bergketten, mit Gipfeln, die bis auf zwanzigtausend Fuß aufsteigen, die Mondalpen und die Mondapenninen, und die Ebenen sind von viele Meilen daherlaufenden, halbmeilenbreit gähnenden Klüften durchzogen, unter denen man sich jene Klüfte vorstellen mag, die Ariost erfüllt sein läßt mit allen jenen Dingen, die dem Erdenmenschen abhanden kommen, wie sein Verstand, der eitle Erdenruhm etc., ehe er sich’s versieht:

Mit Liebesseufzern und mit eiteln Thränen,
Mit leerer Zeit, die über’m Spiel vergeht,
Mit Muße, die Unwissende vergähnen,
Mit hohlen Plänen, die der Wind verweht,
Mit all’ dem armen unerfüllten Sehnen
Ist fast die ganze Stätte voll gesä’t.

Ein großer Theil dieses classischen Werkes beschäftigt sich damit, aus jenen Narben und Schrammen auf die Entwickelungskrankheiten und Kämpfe zurückzuschließen, die der Mond in seiner Jugend durchzumachen hatte, ehe er das in ernste Falten gelegte Mannesgesicht erlangte, welches er jetzt fast unveränderlich festhält. Die Riesenhaftigkeit der Krater wird uns durch den Hinblick auf die geringere Anziehungskraft der kleineren Masse und den Mangel eines Atmosphärendruckes verständlicher gemacht; ähnliche Kräfte, wie die der irdischen Vulcane, mußten dort eine viel stärkere Wirkung ausüben: die vulcanischen Auswürflinge konnten fünf bis sechs Meilen weit unter Umständen geschleudert werden, und die so gebildeten Krater und Ringwälle wurden durch den Mangel an Wasser und Luft derartig vor nachträglicher Verwitterung geschützt, daß der Mond sich in ursprünglicher Reinheit des Gepräges, wie eine Schöpfungsmedaille unsern Blicken darstellt. Es ist natürlich unmöglich, in einem kurzen Journalartikel diesen Verhältnissen gebührend Rechnung zu tragen; versuchen wir es lieber an der Hand der auf der Höhe der Wissenschaft stehenden Verfasser, dem Monde einen kurzen Besuch im Geiste abzustatten, um Phänomene zu sehen, die wahrscheinlich niemals von einem athmenden Wesen erblickt worden sind.

Die Unternehmer dieser großen Gesellschaftsreise führen zu ihrer Entschuldigung – wenn es einer solchen bedürfte – an, daß es für einen nachdenkenden Beobachter, der Nacht für Nacht den Mond betrachtet, die Sonne über seinen vulcanischen Landschaften aufgehen sieht und die Aufeinanderfolge ihrer Lichtwirkungen bis zu ihrem Untergange genießt, fast unvermeidlich sei, selbst bisweilen in Gedanken zu einem Bewohner oder Besucher des Mondes zu werden. Wenn man in Schweigen und Einsamkeit vor einem mächtigen Teleskope diesen ersten Schritt gethan, so entsteht bald der unwiderstehliche Drang, über das wirklich Sichtbare hinauszugehen, und den unsichtbaren Theil des landschaftlichen Gemäldes aus den Ergebnissen und Schlüssen der

  1. Der Mond, betrachtet als Planet, Welt und Trabant. Autorisirte deutsche Ausgabe. Mit Erläuterungen und Zusätzen von Dr. H. J. Klein. Mit zahlreichen Holzschnitten, zwei Lithographieen und neunzehn Tafeln in Lichtdruck. Leipzig, Leopold Voß 1876.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_234.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)