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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Am Waldesrand.


„Warum ich nur – ’s ist wunderbar! –
Hier aus dem Park, so hell und klar,
Mich in des Waldes Dunkel sehne
Und es durchspähe unverwandt?
Warum ich an dem Zaune lehne
Am Waldesrand?

Warum? Ist doch die Frage dumm!
Ich weiß es nur zu gut, warum?
Wo aber bleibt er heut’ so lange?
Mir macht auf meinem Jägerstand
Die Einsamkeit doch oft recht bange
Am Waldesrand.

Hier reicht der Wald dem Park die Hand,
Wo ich den schmucken Jäger fand
Und wo er mich im Kahn gefunden.
Seitdem bin ich so gern am Land!
Der alte Kahn ist festgebunden
Am Waldesrand.

Wie mächtig solchem Jägersmann
Im Wald die Liebe wachsen kann,
Das ist fürwahr nicht auszusagen.
Die Herzen lodern wie im Brand,
Wenn sie so nah’ zusammen schlagen
Am Waldesrand.

Wie lang’ er heut’ im Walde bleibt!
Zu arg ist’s, wie er’s heute treibt.
Jetzt schmoll’ ich! Heut’ will ich Dich meiden –
Rasch löse ich des Kahnes Band.
So räch’ ich meiner Liebe Leiden
Am Waldesrand.“

Sie schmollt – und schon hebt sie den Schritt
Zum Kahn, da hört sie seinen Tritt –
Da lehnt sie starr und stumm am Zaune.
Wohl fühlt sie seine Schmeichelhand –
Wohin entflieht die böse Laune
Am Waldesrand?

Er spricht so süß, sie lauscht so gern,
Im Auge lächelt längst der Stern –
O seht, sie kann sich’s kaum erwehren,
Es zuckt und ruckt, mit Mund und Hand
Geschwind nach ihm sich umzukehren
Am Waldesrand. –
 Fr. Hofmann.




Das Herz.
Ein freier Vortrag. Im „Wissenschaftlichen Verein“ (Sing-Akademie) in Berlin den 3. März 1877 gehalten von Professor Dr. M. Lazarus.
(Schluß.)


Die Wissenschaft scheidet, was in der Sprache verbunden ist; sie lehrt uns in ihrer Sprache als ein Vielfaches und Gesondertes erkennen, was in den Worten der allgemeinen Sprache in Eins zusammenfließt. Und dies also ist der vorzüglichste Grund, weshalb die wissenschaftliche Psychologie darauf verzichtet, vom Herzen zu reden. Sollten wir vielleicht nur aus diesem Grunde, weil die Wissenschaft das Wort vermeidet, die Sache, nämlich das Herz, für unergründet oder für unergründlich halten? Oder müßten wir, wenn nun die Psychologie ihre eigene und volle Weisheit uns darböte, wenn das, was hier zusammengesetzt in einem Namen erscheint, dort in seiner Auflösung und in der Ordnung fester Begriffe uns vorgeführt würde, müßten wir dann vielleicht aufhören zu bekennen, was man bisher behauptet hat, daß das menschliche Herz unergründlich sei? Mit nichten: Lange wird das menschliche Herz noch unergründlich bleiben; ich meine, diese psychologische Thatsache selbst, daß wir das Herz für unergründlich halten, wird sich noch oft und lange wiederholen. Zunächst aus subjectiven Gründen. – Um das Einfachste nur flüchtig zu berühren: was dem Menschen immer sein Herz als unergründlich erscheinen läßt, ist das, was wir mit einem Worte als den faustischen Drang im Menschen bezeichnen können, jenen faustischen Drang, der mit einem Blick aller Dinge Wirkungsart und Samen, der die Brüste der Natur, die Quellen alles Lebens in einer Schau ergreifen will; so möchten wir auch, wenn wir nach dem Wesen und Leben des Herzens fragen, mit einem einzigen Blick überschauen, mit einem einzigen Gedanken weit und fest, tief und klar erfassen, was so im Innersten die ganze geistige Welt bewegt. Wir alle, die wir hier sind, wir haben diese Sehnsucht; in wenigen knappen Sätzen möchten wir es wissen, was denn nun eigentlich das Grundwesen des menschlichen Herzens ist; wir möchten auch die goldenen Eimer sichtlich steigen sehen, die aus des Daseins tiefster Quelle schöpfen.

Solche Erkenntniß giebt es nicht. Im Reiche des Geistes so wenig wie in dem der Natur; das eigene Innere ist uns näher als alle Außenwelt, aber sein Wesen und Wirken müssen wir dennoch mühsam und langsam in seiner Breite und Fülle erforschen. Wenn wir dann aber an die Fülle der einzelnen Thatsachen gehen, begegnet uns eine zweite Schwierigkeit. Wir müssen die Thatsachen beobachten, sichten und sammeln, alles dies aber besteht in einer reflectirenden Thätigkeit, die wir auf unsere Gefühle richten müssen, und eben diese stört uns den Proceß der Beobachtung. So wie es körperliche Stoffe giebt, welche man niemals bei Lichte besehen kann – Chlorsilber z. B. wird vom Licht zersetzt (daher man eben die Photographien mit Hülfe desselben herstellt): will ich also den Stoff bei Licht besehen – sehe ich ihn, so sehe ich ihn schon nicht mehr; denn unter der Bedingung, unter welcher er gesehen werden kann, ist er schon ein anderer geworden: so auch können wir die Gefühle schwer unmittelbar beobachten; das Licht der Reflexion zersetzt sie. Wir sind in Folge dessen meist auf Erinnerungen angewiesen, und es entstehen besondere Schwierigkeiten für den Psychologen, das innerste und eigentlichste Wesen der Gefühle dennoch festzuhalten.

Aber nicht blos persönlich in uns (subjectiv), sondern auch, sachlich in den Gefühlen selbst (objectiv) liegen für die ordnende und zusammenfassende Betrachtung Hindernisse, welche schwer zu überwinden sind. Vor allem ist es ihre Mannigfaltigkeit. Alle Arten von Genuß und Befriedigung, alle Arten von Schmerz und Kummer, welche wir empfinden, alle sanften und herben, alle süßen und harten, alle erhebenden und alle niederbeugenden Erregungen unseres Gemüths werden zusammengefaßt unter einem Namen des Herzens; haben doch die verschiedenen Schulen der Psychologie fast jede sogar eine eigene Eintheilung für die Gefühle. Zwar wird durch verschiedene Eintheilung die Anzahl der beobachteten Erscheinungen nicht vermehrt, aber es erweist sich daraus, daß sie verschiedenartig in ihren Beziehungen, mannigfaltig in ihrer Qualität, daß ihre Formen und Functionen so vielgestaltig sind, daß eben jeder Denker ein neues System der Ordnung in der bloßen Auffassung derselben entwickelt.

In und neben mancher andern Eintheilung mögen wir als ein Netz, welches das ganze Gebiet mit Fäden der Ordnung umspannt, mancherlei unterscheiden: erstens Gefühle des eigenen Befindens und Seins, Gefühle von Wohl und Uebel, von Kraft und Schwäche, von denen die Wahrnehmung unseres eigenen Selbst begleitet ist; sodann die Gefühle, welche an die einzelnen Thätigkeiten, an das Gelingen oder die Hemmung derselben sich anknüpfen; die Art, wie unsre Arbeit von Statten geht, ob in harmonischem Flusse und erfolgreich, oder stockend, gehemmt und vergeblich, der Kampf gegen Schwierigkeiten, der Wettstreit mit andern Kräften mit seinen Siegen und seinen Niederlagen – alles Dies ist von besondern Arten von Gefühlen umspielt, durch welche der Reiz und Werth des Lebens sich mehrt oder mindert. Daran schließen sich dann ferner: die Gefühle des Selbst, vom einfachen Selbstgefühle, in welchem die Schätzung und Hegung des eigenen Ich sich ausprägt, durch alle Weisen der Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit sich selbst; süßer Friede und bittere Reue, Gleichmuth bei Selbsttreue, Unmuth bei Schwanken – sie heben und senken und erfüllen mit den mannigfachsten Formen unser Selbstgefühl. Wie sich dieses erweitert durch Zusammenschließung des eigenen Selbst mit andern im Ehrgefühle, und wie dann alle jene Gefühle der Zusammenschließung unter den Menschen hinzutreten, entsprießen derselben die reichsten Schätze, aber auch die Bitterkeiten unsrer Seele. Alle Seelenverbindung, von der einfachsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_246.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)