Seite:Die Gartenlaube (1877) 255.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Frau Wittwe Mertens entfernte sich eilfertig. Gretchen empfing sie, als sie heimkehrte, mit einem ängstlichen Gesicht und sagte ihr, daß der Herr Kammerdiener zweimal nach dem Hühnerfricassée gefragt habe. Das Abendbrod war unter Gretchen’s Händen vollendet und jeder Abfall beseitigt worden.

Am Abend vor dem Tode des Commandanten fand die Mertens das Büschel im Abfallkasten zwischen Asche und Knochen. Wer beschreibt ihren Schrecken? Eine fürchterliche Ahnung dämmerte ihr auf. In ihrer Todesangst kannte sie nur das einzige Streben, die Reste des verhängnißvollen Krautes zu entfernen, damit es eventuell nicht gegen sie zeuge. Sie hatte, wie wir wissen, die Blätterstengel wieder an den Ort getragen, von wo Gretchen sie geholt hatte.

Das der Erfolg meines Verhörs.

Inzwischen hatte der Haushofmeister discret angeklopft. Er brachte mir die Botschaft, daß College Vogel da sei und mich bäte, zur Ausfertigung des Todtenscheins mich nach oben zu bemühen.

„Sagen Sie dem Herrn Obermedicinalrath, ich ließe ihn bitten, denselben allein auszustellen, Günther, ich wäre ganz meines Herrn Collegen Meinung.“ Zögernd genug kam’s heraus.

Als wir wieder hinauf kamen, überreichte mir Günther das fertige Document.

„So kann denn in Gottes Namen morgen die Beisetzung erfolgen, Fräulein Sibylle. Sehen Sie“ – ich überlief das Schriftstück schnell – „der Commandant General von Fink-Falkenstein ist am dreißigsten Juni an Magenkatarrh und hinzugetretener Apoplexie gestorben. O weiser Jünger Aesculap’s! Veröffentlichen müßte man es auf allem Gassen. Belassen wir es dabei! Ihr Freund ist todt – Friede seiner Asche! Und jetzt zurück zu den Lebenden! Sie sind eine gottgeweihte Krankenpflegerin und werden bald, wenn mich nicht Alles trügt, Ihren Beruf wieder aufnehmen können.“

„Blanche – die Baronin?“ fragte sie ängstlich.

„Nein, sie wird gesunden und erstarken in guter Luft und veränderter Umgebung, und je eher dies geschieht, um so besser für sie und meinen Freund, in dessen Körper schwere Krankheit sich vorbereitet; ich selbst muß morgen zurück in den Kreis meiner Berufspflichten, aber in Ihnen lasse ich meinen braven, tüchtigen Famulus zurück. In Ihre Hände lege ich vertrauensvoll Ernst Waldow’s Leben.“




In der Gruft der Edlen von Falkenstein ruhte längst der Letzte dieses alten Geschlechts. Jahre waren in’s Land gegangen.

Sibylle Unruh hatte meinen Freund, der, wie ich vorhergesagt, in schwere Krankheit verfallen, gepflegt, unermüdlich, aufopfernd, wie das nun einmal so in ihrer Natur liegt, und dann – dann hatte sie sich selber niedergelegt und war unhörbar und fast ungeahnt aus der Welt geschieden, die für sie nur Dornen gehabt hat. Auf ihrem Grabstein steht über ihr stilles, wirkensreiches Leben zu lesen: „Sie war das bravste Herz unter der Sonne.“ Ich glaube, die Nachtigall, die da im blühenden Syringenbusch ihr zu Häupten schluchzt, weiß, daß es ein wahlverwandtes Wesen ist, das tief da unten den ewigen Schlaf schläft.

Blanche von Falkenstein ist glücklich geworden. Wenige Monate nach dem Tode ihres Gatten genas sie eines Mädchens, das den Namen Sibylle empfing. Die Kleine sollte nicht vaterlos bleiben. In Monaco hatte ein glückliches Geschick die junge Wittwe mit einem Herrn von Treskow zusammengeführt, der seine blühende Frau durch den Tod verloren. Gleicher Schmerz ließ die beiden Herzen sich schnell finden. Unter der Sonne des Südens wurde der Bund geschlossen.

„Er hat sorgenvolle Tage gehabt, und die machen den Menschen nicht fröhlicher,“ schrieb mir Waldow damals über seinen neuen Schwiegersohn; „aber er ist ein echter Mann, ein fleißiger Landwirth, ein redlicher Mensch. Er wird der kleinen Sibylle der Vater sein, den Falkenstein seinem Kinde selber gewählt haben würde. Eine besonders brillante Partie ist er zwar nicht, aber das ist gerade ein Segen für meine kleine flatterhafte Blanche. Der Mensch muß zu thun haben, wenn ihn der eigene regsame Geist nicht vor Verflachung behütet. Das, was man eine Liebesheirath nennt, ist es nicht, aber ich hoffe, es wird eine glückliche Ehe geben.“ – –

Vor ein paar Monaten gab ich dem allgemeinen Bestürmen meiner Freunde am Rheine nach und suchte sie in ihrem romantisch gelegenen Heim auf. Unterwegs schloß sich mir ein junger Maler, Spanier von Geburt, an, und da es ein fröhlicher, geistvoller Gesell war, ließ ich mir die Gesellschaft gern gefallen und benutzte meinen freien Zutritt bei den jungen Treskows, ihm auf ihrer Besitzung ein Nachtlager zu verschaffen.

Wir hatten unser Fuhrwerk am Fuße des Abhanges verlassen, um das wundervolle Landschaftsgemälde im Gehen besser zu genießen. Rüstig schritten wir aus; plötzlich öffnete sich vor uns der Gutshof mit seinem villenartigen Herrenhause.

Unter der rebenumkränzten Säulenveranda war reges Treiben. Ein lebendes Bild in blühendem Rahmen stellte sich da entzückend zusammen. Auf der untersten Treppenstufe saß, ein glückliches Lächeln auf dem holden Antlitz, Blanche von Treskow; sie trug ihr zartes kleines Mädchen auf dem Schooße, welches die Blumen des Frühlings eifrig in die blonden Haare der jungen Mutter steckte.

Blanche war so versunken in Mutterstolz und Mutterglück, daß sie uns gar nicht kommen hörte.

„Madonna, o bella donna!“ rief der junge Spanier hingerissen in entzückender Ueberraschung.

„Still, nie wieder das Wort!“ Ich legte ihm mahnend die Hand auf den Mund. Blanche war aufgefahren, bleich bis in die Lippen. „Nie wieder,“ sagte ich nachdrücklich, „denn es weckt Erinnerungen, über welche kaum die Lethe hingeflossen. Damit Sie aber eine passende Bezeichnung für Ihre ,bella donna’, unsere liebenswürdige Wirthin, finden, mein junger Freund – wir nennen Frau von Treskow nur: Unsere liebe Frau.“

C. L.




Blätter und Blüthen.


Das Werk eines Socialdemokraten. (Mit Abbildung Seite 253.) Die Ergebnisse der letzten Reichstagswahl haben den Namen eines Mannes vielfach in den Vordergrund des Interesses gerückt, dessen politisches Wirken bisher vorwiegend auf die Zustände und Institutionen seines engeren Vaterlandes Mecklenburg gerichtet war und der bei seinem nunmehrigen Eintreten in größere Bahnen des öffentlichen Lebens wegen seiner ausgesprochenen Parteistellung ein Gegenstand allgemeiner Discussion geworden. Wir meinen den Hofbaurath G. A. Demmler in Schwerin, den socialdemokratischen Abgeordneten für den Landkreis Leipzig. Nachdem das Für und Wider der Wahl Demmler’s und dessen Qualification für die ihm zugefallene parlamentarische Aufgabe von allen Standpunkten aus und in allen Blättern eingehend erwogen worden, dürfte ein Blick auf eine Schöpfung an der Zeit sein, welche uns den ungewöhnlichen Mann von einer andern Seite, als bildenden Künstler, zeigt. Diese Schöpfung ist das Schloß Schwerin, das wir unsern Lesern in unsrer heutigen Nummer im Bilde vorführen.

Wer dem stolzen Fürstensitze im Lande der Obotriten an einem hellen Sommertage zuschreitet, wenn lichter Sonnenglanz auf den Wassern des prächtigen Schweriner Sees liegt und die Zinnen und Kuppeln des Schlosses weit hinaus erglänzen über Wald und Wiesen, dem wird sich die Berechtigung des Urtheils unabweislich aufdrängen, das unsre ersten Bauverständigen fast einmüthig gefällt haben: Schloß Schwerin ist, was den Adel der monumentalen Wirkung betrifft, unter den gesammten Fürstenhäusern Nord- und Mitteldeutschlands das erste und imposanteste.

Auf einer Insel der südlichen Bucht des Sees, inmitten einer offenen Wald- und Wasserlandschaft malerisch gelegen und durch zwei Brücken einerseits mit der Stadt Schwerin, andererseits mit dem Schloßgarten verbunden, erhebt es sich aus dem mit feinstem künstlerischem Tact auf der Insel selbst geschaffenen Burggarten in wahrhaft romantischer Großartigkeit. Und doch hat die Geschichte des Schloßbaues mit landschaftlicher Romantik nur sehr wenig zu thun. Nicht eine ästhetische Laune fürstlichen Eigenwillens war es, die sich die Insel im stillen See für den Prachtbau auserkor; der Entscheidung des gekrönten Bauherrn für dieses Terrain lagen vielmehr historische Motive zu Grunde; denn das Schloß, wie wir es heute vor uns sehen, steht an derselben Stelle, wo sich in alten Zeiten eine Burg erhob, die als Sitz der von den Sachsenherzögen eingesetzten Grafen von Schwerin ein Bollwerk gegen die Obotriten bildete. Das Schloß ist nur die Ausführung eines Werkes, das mecklenburgische Fürsten seit vier Jahrhunderten geplant und auf den Resten jener alten Burg zum Theil in großgedachten Anfängen ausgeführt haben; nicht unbedeutende Theile der alten Bauten sind in die neue Schöpfung aufgenommen worden.

Als der eigentliche Bauherr des heutigen Schlosses ist aber der jetzt regierende Großherzog Friedrich Franz der Zweite zu betrachten, welcher im Jahre 1843, bald nach seinem Regierungsantritt, den Neubau begann. Als Grundlage für die Neugestaltung des Schlosses galt das Princip, den Styl der neuen, den Schloßhof vollkommen schließenden Bauten möglichst dem Charakter der Schöpfungen früherer Bauherren

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_255.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)