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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Der Ausdruck in Hermann’s Zügen hatte sich wie mit einem Schlage verwandelt; sie waren in tödtlichem Schreck erstarrt, als hätte er das Haupt der Medusa geschaut. Nur eine Secunde lang – dann verschwand dieses versteinerte Gesicht, während Kettler noch gleich einer Säule dicht vor dem Gebüsche stand, das seinen Schritt gehemmt; zwischen dem Laube zitterte nur das silberne Licht. Der Oberst wandte sich jäh, erfaßte die beiden Hände seiner Gefährtin und zog sie von dem Sitze in die Höhe, auf dem sie bisher regungslos verweilt hatte. Er ließ ihren Arm unter den seinen gleiten und führte sie stumm von dannen.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüthen.

Die Burg der „schlimmen Liesel“. (Mit Abbildung S. 277.) Das größte und wohl einst prachtvollste der vielen Bergschlösser der österreichischen Alpenwelt ist die obersteierische Veste[1] Riegersburg. Der deutsche Reisende erreicht sie wohl am bequemsten, wenn er auf der Wien-Triester Eisenbahn an der zwischen Graz und Marburg liegenden Station Spielfeld Halt macht und von da den Stellwagen nach dem bekannten Bade Gleichenberg benutzt, zu dessen Ausflugsorten dieses großartige Stück Natur- und Menschenwerk jetzt gehört.

Mit dem reichen Kranze von Gebäuden und Mauern weit im Lande sichtbar, streckt der über fünfzehnhundert Fuß hohe Fels, auf dem die Riegersburg thront, sich in so beträchtlicher Länge aus, daß derselbe aus weiter Ferne wie ein geschmückter Sargdeckel erscheint. Wir führen in unserer Abbildung den Leser von der östlichen Schmalseite her zur Burg. Von hier ist sie allein zugänglich; auf den drei andern Seiten stürzt der Fels steil ab bis zu dem Gebirgsbache, der ihn bespült. Hier liegt auch, ebenfalls schon in ansehnlicher Höhe, der Markt Riegersburg mit seiner hochragenden St. Martinskirche.

Man bekommt Achtung vor Dem, was dem Menschen möglich ist, wenn man diese Veste besteigt. Man erkennt, daß ältere Burgbauten, aber vereinzelt, an und auf dem Felsen vorhanden waren, ehe eine energische Hand die Theile zu dem jetzt noch äußerlich der Zeit trotzenden Riesenbaue zusammenzwang. Und diese Hand war eine Frauenhand, die unerbittlich strenge der „schlimmen Liesel“. So nannte das Volk der Burgunterthanen die Herrin derselben zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts, jene Freifrau Katharina von Galler, die, wie in einer Vorahnung der Stürme, die von Ost und West dem Steierlande und Oesterreich noch drohen sollten, im Jahre 1813 der Riegersburg die Gestalt gab, die sie heute noch hat.

Sieben Thore hat man zu durchwandern, ehe man durch die übereinander emporenartig aufsteigenden Befestigungen bis zum höchsten Theil der Veste, der Burg Kroneck, gelangt. Die ersten drei Thore führen auf einem breiten, in den Fels gebrochenen und im Zickzack laufenden Fahrweg nur durch Wälle und Basteien; durch das vierte Thor erreicht man Lichteneck, eine abgesonderte, jetzt verfallene Burg; das fünfte ist reich mit Wappen und Bildhauerarbeiten geziert, und wiederum über Brücken und tiefe Felsgräben gelangt man durch das sechste auf die Hochfläche des Bergs und erst durch das siebente in die Burg Kroneck. Zu dem Bau soll die „schlimme Liesel“ nicht blos ihre Unterthanen scharf in Frohndienst gehalten, sondern auch viele gefangene Türken verwendet haben. Von den Gallern kam die Veste erst an die Grafen Purgstall und von diesen an die nun europäisch-souverainen Fürsten von Liechtenstein und Vaduz.

Bei dem ungeheuren Grundeigenthum dieser Familie – man versichert, daß der derzeitig regierende Fürst und Souverain des freilich nur zweiundeinhalb Quadratmeilen großen Fürstenthums in Oesterreich Besitzer von sechsundachtzig Burgen und Schlössern ist – wurde die weitläufige Veste, die sich keiner besonderen Vorliebe ihres Herrn zu erfreuen scheint, allmählich vernachlässigt. Zum mindesten spricht die Art der inneren Erhaltung dafür, da die nach Hunderten zählenden Säle, Zimmer und Corridors jedes Schmuckes an alterthümlichen Mobilien und reichhaltigen Sammlungen von Gegenständen aus der Ritterzeit beraubt erscheinen. Sie wanderten sämmtlich nach einem Lieblingssitze des Liechtensteiners, dem ebenfalls in Steiermark belegenen Schloß Holleneck, wo sie in buntem Durcheinander sich einer sinn- und planlosen Aufbewahrung erfreuen.

In der dreifachen Kette von Burgen und befestigten Kirchen, welche noch heute im Osttheile Steiermarks und im Süden Niederösterreichs nachweisbar sind und die von den deutschen Bewohnern zum Schutze wider räuberische Einfälle ungarischer Horden im Mittelalter errichtet wurden, nimmt die Grenzveste Riegersburg unzweifelhaft den ersten Rang ein. Unzertrennlich mit der Erinnerung an die Riegersburg verbunden ist die Historie vom grausigen Geschick der armen Gärtnerstochter Katharine Paltauff. Sie verfiel unschuldig dem finstern Wahne mittelalterlicher Anschauung. Weil das schöne Mädchen es verstand, immer frischblühende Rosen zu ziehen, so machte man ihr den Proceß im Sinne damaliger Rechtspflege, und die Blumenfreundin starb als Hexe den Feuertod. Ihr Bildniß sieht man neben denen von elf andern Hexen im sogenannten Hexenzimmer des Kroneckschlosses.

Wer von der Höhe dieser Veste in die Lande ringsum herabblickt oder vom Thale zu ihrer Höhe emporschaut, der wird schwer den Gedanken los, wie viel Menschenarbeit hier einen Bau aufthürmte, der heutzutage keinen höhern Zweck hat, wie den, als Sehenswürdigkeit für die Gleichenberger Badegäste zu dienen. Wer das der „schlimmen Liesel“ gesagt hätte!

Ein amerikanischer Wunderschwindel. Die jüngste unter den Großstädten des amerikanischen Continents, Chicago, macht wieder einmal viel von sich reden, und zwar in einer Angelegenheit, die nicht eben geeignet ist, ihren guten Ruf in der Union beträchtlich zu heben. Schon jetzt haben die auswärtigen Blätter in wenig schmeichelhafter Weise die Sache aufgegriffen und scheinen Chicago, als der Geburtsstätte dieses neuen Schwindels, über den ich berichten will, einen Theil der Verantwortlichkeit für denselben aufbürden zu wollen.

Man hört in den Vereinigten Staaten Chicago öfters die „Wunderstadt“ nennen, eine Bezeichnung, welche es wohl hauptsächlich seinem schnellen Wachsthume vom Fischerdorf zur Weltstadt, seinen seltsamen Entwickelungsverhältnissen und ganz besonders seinem raschen Wiederaufbau nach der verheerenden Feuersbrunst des Jahres 1871 verdankt. Diese Bezeichnung hat jedoch in den letzten Tagen noch eine weitere und sehr unliebsame Bedeutung erhalten, welche die Stadt in unerwünschte verwandtschaftliche Beziehungen zu Marpingen und Lourdes bringen kann. Würden diese modernen Wunder, die sich hierselbst ereignet haben sollen, von den Kanzeln der alleinseligmachenden Kirche verkündet, so würde die ganze Angelegenheit kaum der Besprechung werth sein. Warum sollen nicht auch einmal in Amerika an einigen arbeitsscheuen Bummlern oder an fanatischen Menschen, die in der Kunst des Verstellens geübt sind, angebliche Wunder verübt werden? Die Ursprünglichkeit der Chicagoer Wunder besteht darin, daß sie sich in der protestantischen Welt ereignet haben sollen und von protestantischen Geistlichen ihren gläubigen Gemeinden verkündet werden. Es sind nicht etwa Wunder der Industrie und der Freiheit, wie sie der rastlos thätige, unermüdliche Menschengeist ersann, nein, Wunder der religiösen Verblendung.[2] Ein Wunder in dieser lichtvollen Gegenwart, im geräuschvollen Getriebe einer unserer großen Welthandelsstädte – ist das nicht der reine Geisterspuk beim hellen Scheine der Mittagssonne?

Das erste Wunder wurde kürzlich von einem jungen Geistlichen dem Reverend Arthur Mitchell, der Stadt Chicago verkündet, die ziemlich verblüfft dreinschaute und offenbar anfänglich nicht mehr zu wissen schien, wie sie die Geschichte auffassen sollte, bis schließlich die Einen sich anschickten, die Erzählung von dem neuen Wunder gläubig hinzunehmen, während die Anderen gegen den schändlichen Unfug einen geräuschvollen Protest erhoben, sodaß Reverend Mitchell vielleicht für nützlich erachten wird, seine weiteren Wunder, die er wohl noch auf Lager hat, vorläufig der Welt nicht weiter zum Besten zu geben.

In einem Hintergebäude des Hauses 303 Süd State Str. hierselbst lebt Frau Jeannette M. Robertson, die zeitweise ein wenig vom Rheumatismus gezwickt wurde, wie andere Menschenkinder auch, und die deshalb in letzter Zeit mit der Außenwelt wenig im Verkehr stand. So wagte sie es denn jetzt, nachdem sie sich, vermuthlich durch den Gebrauch einer Patent-Medicin, von dem Uebel befreit hat, mit der Behauptung aufzutreten, daß sie gänzlich gelähmt und stumm gewesen sei, durch die „Macht des Gebetes“ aber den Gebrauch ihrer Gliedmaßen und die Sprache unerwartet zurückerhalten habe. Mit ihrer Umgebung steht sie jedenfalls in heimlichem Einverständnisse; sich von Aerzten prüfen zu lassen, weigert sie sich beharrlich. Die Speculation ist wahrscheinlich gar nicht so übel; die reichen Gläubigen werden der begnadeten Frau sicherlich vielfache Spenden zukommen lassen. Ob der Reverend Mitchell, der die undankbare Rolle übernommen hat, das Wunder zu verkünden, Betrogener oder Betrüger ist, würde sich wohl nur schwer ermitteln lassen. In den meisten Zeitungen ist er natürlich sehr unsanft behandelt worden, daß er sich indessen daraus etwas macht, ist unwahrscheinlich, da seine Gemeinde den erbitterten Protesten der „Ungläubigen“ (infidels) kein Gehör schenkt.

Diese Wundergeschichte muß dem Wanderprediger und „Revivalisten“ Bruder Moody, der von Chicago, wo er früher das ehrsame Gewerbe eines Schusters betrieb, seinen Ausgang nahm und den Leuten in England und in verschiedenen Großstädten der Union die Köpfe verdrehte, als eine ganz ausgezeichnete Speculation erschienen sein. Augenscheinlich beklagte der Sensationsprediger ungemein, daß er nicht selber zuerst auf den klugen Einfall gekommen war, seiner Gemeinde ein wirkliches Wunder mitzutheilen. Nachdem sein letztes, mehrmonatliches Gastspiel zu Ende, predigt er jetzt in Boston, und er beeilte sich nachzuholen, was er bisher versäumt hatte. Das fromme Boston war just der geeignete Ort dazu. Das Wunder, welches er letzthin die Dreistigkeit hatte seinen Zuhörern zu berichten, soll an ihm selber geschehen sein; man könnte die ganze Geschichte für einen faulen Witz halten, wenn nicht alle Nebenumstände diese Annahme ausschlössen. So erzählt er denn, daß er im Beginne seiner Predigerlaufbahn viele Schwierigkeiten gehabt habe, da eines seiner Beine um einige Zoll kürzer als das andere gewesen sei, also daß ihn das anhaltende Stehen fast ermüdet habe. So habe er sich denn eines schönen Abends entschlossen, der Sache ein Ende zu machen und seinem Gott das Anliegen vorzutragen, indem er ihm die Bedingung stellte, daß ihm dieser entweder sein zu kurzes Bein möge länger wachsen lassen, oder er werde aufhören zu predigen. Diese Drohung scheint denn auch ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben; Moody behauptet, daß noch in selbiger Nacht sein Bein um einige Zoll gewachsen sei.

Und Solches in dem Zeitalter der Eisenbahnen und Telegraphen und der bahnbrechenden Forschungen von Darwin und Häckel! Möchte man da nicht an allem Fortschritte verzweifeln? In unserer Zeit bewegen sich die Gegensätze schroff und unvermittelt neben einander. Der Lügenprophet Moody kennt sein Publicum und weiß, was er demselben bieten darf. Das entrüstete Geschrei, das sich von allen Seiten erhebt, kümmert ihn wenig und schadet ihm nicht. Von dem denkenden Theile der

Anmerkungen

  1. Berichtigung: Lies in Nr. 17 auf S. 291, Z. 3 der Blätter und Blüthen statt obersteierische „untersteierische Veste“.
  2. Ganz wie bei uns!
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_291.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)