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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Das Gerücht von der heilkräftigen Arzenei des wunderlichen Mannes, der in dem alten Bau auf der Canalstraße bei Tag und Nacht fast unermüdet kochte und braute, durchflog rasch die Stadt, und sein Haus glich bisweilen einer belagerten Festung. In großen Nöthen pflegen die Menschen mit Begier zum Außerordentlichen zu greifen und an Wunder zu glauben. Und Karl Hornemann war so zuversichtlich. Alle ehrlichen Erfinder glauben an ihre Erfindungen. Er freute sich, daß man auf der Seite seiner politischen Gegner seine Arznei als Agitationsmittel bekämpfte, und opferte ihr unbedenklich Kraft und Geld.

Endlich ging beides auf die Neige. Die Vermögenden unter seinen vertrauten Verbündeten waren zumeist geflüchtet, und er trug Bedenken, die Zurückgebliebenen in Anspruch zu nehmen, da er das Gefühl hatte, daß er in dieser Angelegenheit das persönliche Vertrauen nicht mit derselben Unbedingtheit fordern könne, wie in seinem politischen Wirken. Er bot den Aerzten sein Recept an. Ein Deputirter derselben prüfte es zwar, schüttelte indessen den Kopf und erklärte, nicht begreifen zu können, wie diese Composition der Seuche entgegen zu wirken vermöge. Damit war die Arzenei Karl Hornemann’s officiell gerichtet. Er lächelte bitter und war im Begriffe, die Hände in den Schooß zu legen. –

Eines Tages erschien zwischen seinen Gläsern und Retorten, in der verräucherten und mit einem scharfen, nicht gerade angenehmen Duft durchwürzten Stube Jemand, an den er in seiner Sorge nicht gedacht hatte, – Franz Zehren.

„Karl,“ sagte dieser lächelnd und legte eine Anzahl Banknoten vor diesen hin, „ich habe durch einen Arbeiter erfahren, daß Dir Kraft und Mittel auszugehen beginnen, um Deine Arzenei zu bereiten; Du hast es gegen den Mann geäußert. Nun, ich bin bereit, Dir mit beiden auszuhelfen. Schlag ein!“

Der Pascha, dessen Gesicht ziemlich blaß und bekümmert aussah, blickte mit seinen strahlenden Augen überrascht zu dem künftigen Schwager empor. „Die Union wird Dir wegen dieses Entschlusses wenig Dank wissen.“

Zehren hatte ihn verstanden. „Ich denke, Du stehst mir jetzt näher als die Union,“ erwiderte er.

Der Pascha dachte ein wenig nach; endlich nahm sein Gesicht einen freundlich schlauen Ausdruck an.

„Du hast ohnehin einige Verpflichtungen gegen mich.“

Er stand auf und nahm aus einem verschlossenen Fache Papiere, welche er Zehren hinreichte. Es waren die Briefe, welche Donner auf der Post mit Beschlag belegt hatte, und die Hand Karl Hornemann’s hatte den Text der Geheimschrift entziffert zwischen die Zeilen gesetzt.

Der Fabrikant begann neugierig zu lesen und sah gespannt auf den Demagogen, als er mit dem ersten der Documente zum Schlusse gelangt war. Da wandte dieser das Blatt um und deutete auf die Adresse. Zehren wurde bleich. Seine Lippen zitterten vor Aufregung. „Das ist wieder eine niederträchtige Intrigue,“ sagte er heftig.

Der Pascha nickte stumm und bedeutete ihn, weiter zu lesen. Dann nahm er die Papiere wieder an sich.

„Wie sind diese Papiere in Deinen Besitz gelangt?“

„Sie waren bestimmt, Dich zu verderben,“ entgegnete Karl Hornemann langsam. „Die Polizei, welche sie in Deiner Abwesenheit auf der Post an sich genommen, war im Begriffe, sie zu Deiner Verfolgung zu benutzen, und es ist Zeit, sie für immer unschädlich zu machen.“

Er warf die Papiere einzeln in ein Kohlenfeuer, welches auf einem kleinen Herde brannte.

„Bist Du es, der mich gerettet hat?“ fragte erschüttert der Fabrikant.

Der Pascha blinzelte ausweichend mit den Augen.

„Ich verstehe Dich. Und meinst Du, daß es wieder Urban ist, dem ich diese Gefahr danke?“

Ein Achselzucken war die Antwort.

„Karl,“ sagte Zehren begeistert, „verfüge über mich und mein Vermögen!“

„Arbeiten wir!“ meinte der Pascha und zeigte auf die Geräthschaften vor ihm, während ein Schein von Verklärung über die angenehmen Züge seines Gesichts ging. „Du bist mir Ersatz für meine Schwester schuldig.“

Und nun begann eine verdoppelte Thätigkeit auf der von Menschen bestürmten Erkerstube. Zuweilen erschien Frau Hornemann oben, mit welcher eine sichtliche Veränderung vorgegangen war. Sie lachte, wo sie früher kaum lächeln konnte, und auch dies nur hart und glanzlos, wie unter einem äußeren Zwange. Das Starre, Gedrückte, Eckige in ihrer Haltung und ihrem Wesen war nicht völlig verschwunden, aber es hatte sich erweicht, und sie glich, Alles in Allem, einer glücklichen alten Frau, bis auf Augenblicke, wo sich etwas unruhig Nachdenkliches wie ein Schatten über sie breitete.

Ueber der Arzenei Karl Hornemann’s aber schwebte das Verhängniß und in gleicher Weise über Allem, woran sonst noch seine Seele hing. Wenige Tage später geschah etwas, von dessen Möglichkeit sich Niemand hatte träumen lassen, ein Ereigniß von so elementarer Wirkung, daß für kurze Zeit selbst der Engel des Verderbens vergessen war, dessen Flammenschwert mit heimtückischen Streichen seine Saat schnitt.

Der Polizeicommissar Donner war von einer Urlaubsreise zurückgekehrt, und in seiner Begleitung war ein Unbekannter erschienen, der sich im Wiedenhofe einquartiert hatte. Dieser Fremde war am dritten Tage nach seiner Ankunft vor das greise Oberhaupt der Stadt getreten und hatte demselben höflich ein Schreiben überreicht.

Dem alten Herrn waren über dem Lesen die Augen feucht geworden. Nur wenige dürre Worte hatten darin gestanden: daß dem seitherigen Oberbürgermeister der Stadt in Gnaden die wohlverdiente Ruhe gewährt und daß Ueberbringer des Schreibens, Geheimer Regierungsrath Rehling, commissarisch mit der Verwaltung seiner schwierigen Stellung betraut worden sei.

Der Wiedenhof blieb die Wohnung des von der Union, soweit die Furcht vor der Seuche sie nicht gesprengt hatte, mit Jubel begrüßten Verwesers mit der hageren, sauber gekleideten Figur, dem freundlichen, vornehm verschlossenen, glatten Gesichte und dem Toupet à la Louis Philipp, und es war das Jenny-Lind-Zimmer, in welchem er sich niedergelassen. Der Verabschiedete verließ mit seiner Familie zunächst auf einige Zeit die Stadt. Donner aber mußte einen Wink erhalten haben, zu schweigen, denn wie triumphirend auch sein Gesicht aussah, wenn die Rede auf die blitzartig gekommene Veränderung fiel und sehr unzweideutig auf den Zusammenhang seiner Reise mit derselben angespielt wurde, – er hütete sich zu sagen, daß diese Veränderung sein Werk sei. Nur einem Menschen legte er vollständig Beichte ab, nämlich dem Doctor Urban, der mit einem Schlage sein unbedingtes Vertrauen erworben hatte.

Ein paar Versetzungen und Pensionirungen im Beamtenpersonal der Stadt ließen keinen Zweifel über den Geist der neuen Aera; einige Verhaftungen wegen Majestäts- und Beamtenbeleidigungen folgten. Und eines Tages stellte ein Polizeibeamter Karl Hornemann eine Verfügung des Inhaltes zu, daß ihm die Bereitung und Austheilung von Arzenei Mangels jeder Qualification künftig nicht gestattet sei.

Er machte den Versuch, in der Stille zu thun, was er öffentlich nicht mehr thun durfte, aber bei dieser Gelegenheit wurde ihm sofort ein Zweites klar, daß er polizeilich scharf bewacht wurde. Er mußte nach dem ersten heimlichen Abendgange halbwegs umkehren. In der Stube beim Laden drunten, wo er schmerzlich bewegt auf- und abging, erfaßte er die Verfügung, welche in seiner Tasche knisterte. Er rollte sie zu einem Fidibus zusammen, zündete eine Kerze damit an, ging langsam treppauf in sein Zimmer und zerschlug dort seine Gläser und Glasapparate, worauf er die Scherben in den Kohlenkasten warf. Auf die erloschenen Kohlen des Herdes goß er Wasser. Für diese sinnige Natur waren symbolische Handlungen ein Bedürfniß.

Zuletzt nahm er Briefe und Zeitungen, in denen Hoffnungsstrahlen für sein gedrücktes Gemüth leuchten mußten, denn sein Gesicht klärte sich über dem Lesen auf. Als er fertig war, überlegte er.

„Ich will Euch vor Spionen sichern,“ murmelte er, stand auf, knitterte die Papiere zusammen und schob sie auf den Rost eines alten Kachelofens. Einen Augenblick später loderten sie in Flammen auf. – –

(Fortsetzung folgt.)



Deutsch-türkische Kriegsberichte und Illustrationen sind in Vorbereitung.       D. Red.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_308.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)