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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


entschieden bejahend. Die Gall’sche Methode hatte noch den Vortheil, daß die natürliche Säure schlechter Sorten oder Jahrgänge durch den Zusatz von Zuckerwasser verdünnt wurde; wenn dies noch nicht genug half, so wurde die freie Säure durch Pottasche, Kalk, Soda, weinsaures Kali etc. abgestumpft und gefällt. Der Consument bekommt eine oft hundertprocentig mit schädlichen Stoffen versetzte Flüssigkeit, die ihm als reiner Naturwein verkauft wird.

Trotzdem erklärte die Regierung zu Coblenz auf bestimmte, selbst amtliche Anfragen unter dem 10. Juni 1857, daß das Chaptalisiren und Gallisiren nicht unter die gegen Verfälschung etc. gerichteten Strafbestimmungen falle. In Folge dessen wurde denn das „Manschen und Panschen“ von Tag zu Tag offenkundiger getrieben. In der Rheinprovinz ging allmählich eine große Menge von Weinfabrikanten in ihrer Zutraulichkeit und Offenherzigkeit dazu über, das in Gegenwart von Steuerofficianten dem Moste zugegossene Wasser sich von dem Quantum fertigen Weines abziehen zu lassen, ja man declarirte den Wasserzusatz ganz offen auf den Steuerämtern. Man glaube ja nicht, daß die Anwendung dieses Verfahrens vereinzelt dasteht. Schon 1872 bestanden in Preußen allein dreiundvierzig Stärkezuckerfabriken. Während des Jahres 1873 wurden 80,000 Centner Stärkezucker zur Benutzung bei der Weinfabrikation zu Schiffe moselaufwärts geführt.

Wenn die Gesetzgebung wenigstens soweit eingriffe, die Fabrikanten zu zwingen, ein solches Getränk als gemachten Wein im Großhandel zu declariren und den Wiederverkäufer anzuhalten, daß er auf der Weinkarte und auf dem Etiquette nicht immer ganz unentwegt „Liebfrauenmilch“, „Hochheimer“, etc. schreiben darf, sondern etwa: „Kunstwein“ oder „Gallisirter Rhein- oder Moselwein“, so könnte man sich allenfalls beruhigen.

Die folgende Stufe zum Schlimmeren bezeichnet drittens das Petiotisiren. Wenn sich Gall damit begnügt, den Traubensaft zu vervielfältigen, so weiß sich dieser nächste Weinapostel, Pétiot, schon ganz ohne Traubensaft zu behelfen. Sein ganzes dem Weinberge entstammendes Rohmaterial besteht in den Trestern; dazu werden Keime und sonstige Faserstoffe des Weinstockes genommen. Diese übergießt man mit Zuckerwasser und läßt sie tüchtig auslaugen – also eine Art Diffusionsverfahren– und das giebt dann eine nette zweite Auflage des jedesmaligen Jahrganges, den sogenannten Nachwein, wie er natürlich nur bei den Eingeweihten, im Handel aber nie genannt wird. Der Weinreisende offerirt diese Sorten dem vertrauensseligen Kunden etwa mit folgenden Wendungen: „Wenn Sie etwas Billigeres wollen, so habe ich noch einen leichten Rheinwein etc.“. Ja, der ist allerdings ganz leicht – nämlich seinem Werthe und Gehalte nach.

Auch das Petiotisiren wurde noch überboten. Ehe ich Ihnen die vollkommenste und lohnendste Methode der Weinfabrikation kurz skizzire, welche sich, wie die drei erwähnten, ebenfalls wieder an einen bestimmten Namen knüpft, lassen Sie mich eine kleine Blumenlese anderer kleiner Surrogate und Verfahren geben, welche sich so unversehens eingeschlichen haben und die man als namenlose oder wilde Methoden bezeichnen kann! Die unschuldigste ist das Verschneiden, das heißt: die Vermengung des Traubenmostes oder Traubenweines mit Obstmost oder Obstwein, oder mit Mosten und Weinen aus anderen Gegenden, Lagen, Jahrgängen. Wie die Hauptkunst der Cigarrenfabrikation in der „richtigen“, das heißt: geschickten Zusammenstellung verschiedener Sorten aus- und inländischer Blätter besteht, so ist hier dem Weinhändler ein Feld genialster Combination eröffnet. Man denke sich nur zehn der currentesten Sorten, nehme davon die letzten vier bis fünf Jahrgänge, dann von jedem die Sonnen- und die Schattenseite, endlich eine Wenigkeit von Obstweinarten dazu, man mache mit diesen benannten Zahlen eine regelrechte Verwandelung, und man wird eine Fülle von Sorten herausbekommen, die jedem Geschmack genügen wird, selbst für die Ausstattung des größten Reichstagsweinfestes ausreichen würde, wir müssen uns aber auch sagen, daß es dem modernen Menschen solchen Leistungen der Weinproduction gegenüber nicht leicht gemacht wird, sich zu einem Weinkenner auszubilden.

Für jedes Gebrechen seines Erzeugnisses weiß der Weinfabrikant Rath. Ist er mit dem Zucker ein wenig zu derb gekommen, gut, so setzt er im besten Falle Fruchtsäure, Weinstein, im schlimmsten Falle – Schwefelsäure zu. Es ist noch nicht lange her, daß in Baden ein Fabrikant verurtheilt wurde, welcher die Schwefelsäure oxhoftweise verarbeitet hatte. Der Zusatz von Alkohol und von dem ekelhaften Glycerin hat in letzter Zeit eine ganz erschreckende Ausbreitung gewonnen. Zum sogenannten Schönen des Weines, das heißt: zur Fällung der Eiweißkörper und Hefenstoffe verwendet man Gerbsäure (Tannin) oder Leim, Gelatine, Hausenblase und Eiweiß. Der Weinproducent hat es ganz in seiner Gewalt, was für Wein auf seinem Grundstück wachsen soll. Mit dem künstlich bereiteten Bouquet, mit ätherischen Oelen, Gewürzschnitten, Essenzen, Oenanthäther, bei billigen Sorten auch mit Gewürznelken, Hollunderblüthen und andern Pflanzenstoffen läßt sich auch eine „Blume“, die Poesie des Weins, wie man sich genannt hat, auf’s Beste und Billigste herstellen.

Noch sicherer hat man die Erzeugung der Farbe in seiner Gewalt: Mit Heidelbeeren, Kirschen, Maulbeeren, rothen Runkelrüben, Hollunderbeeren, mit sogenannter Zuckercouleur läßt sich jede Schattirung, jede Nüance herstellen. Am meisten scheint, nach der großartigen Nachfrage und Preissteigerung dieses erst seit Kurzem beachteten Surrogats gegenwärtig die schwarze Malvenblüthe angewendet zu werden, und neuerdings das Fuchsin, welches häufig Arsenik enthält. Bresgen weist ferner nach, daß Bleiglätte, Bleizucker, Gyps, Alaun, Safran, schwefelsaurer Kalk, Kreide, Austerschalen etc. in Menge bei der Weinbereitung zur Anwendung gekommen sind. – Und doch war mit all diesen sauberen Erfindungen das Ideal des echten Weinfabrikanten noch nicht erreicht, bis Fr. Jac. Dochnahl die permanente Weinbereitung in’s Leben rief und, nachdem er das Verfahren eine Reihe von Jahren gegen ein Honorar brieflich gelehrt hatte, 1875 durch eine Broschüre anpries. Er hat auf der Basis Petiot's weitergebaut.

Man bedient sich zu der Weinbereitung nach Dochnahl eines Gährfasses, welches mit dem betreffenden Material (Holzfasern in Form von Hobelspähnen, oder Reisig von Schleh- und Weißdorn-, Eichen oder Zwetschen etc.) ein- für allemal gefüllt wird. Diese Füllung bewahrt den Gähreffect permanent und übt ihn vollkommen aus, so oft auch immer eine neue Auffüllung, ein bloßes Hindurchleiten von „Most“, das heißt Trestern und Kartoffelzuckerwasser, oder noch bedenklicheren Flüssigkeiten vorgenommen wird. Man zapft die oben eingefüllten Fluthen einfach unten als Wein ab und setzt die Aufgüsse nach Belieben fort, ohne eine Erschöpfung des das Medium bildenden Materials zu finden. Was will daneben das Wunder von Kana noch bedeuten! Für die Herstellung des Aufgusses giebt Dochnahl in der erwähnten Broschüre („Die permanente Weinbereitung. Ein Beitrag zur Weinvermehrung von Fr. Jac. Dochnahl. Frankfurt am Main bei Chr. Winter 1875.“) eine stattliche Reihe wohlerprobter Recepte.

Da sind z. B. etliche Sorten, welche Dochnahl (natürlich für die Eingeweihten) mit dem vielverheißenden Namen Frankenthaler Kartoffelwein belegt. Man nimmt dazu: hundert Pfund Wasser, zwölf ein halb Pfund Kartoffeln, drei Pfund geschrotenes Gerstenmalz, vier Pfund Rohrzucker, hundert Gramm Hefe, ein halbes Pfund Weinsäure, drei Liter Weingeist von fünfundneunzig Procent. Mit diesem Recept sollen namentlich in den vierziger Jahren hunderttausende von Gulden nach Dochnahl verdient worden sein.

Der rheinische Hefenwein wird dargestellt aus hundert Pfund Wasser, dreißig Pfund Traubenzucker, fünf Pfund gepreßter (zwanzig Pfund flüssiger) Weinhefe, einem halben Pfund Weinsäure, sechszig Gramm Hollunderblüthen, fünfzehn Gramm Tannin. Bei den Rosinenweinen kommen auf die hundert Pfund Wasser zwanzig Pfund Rosinen, zehn Pfund Rohrzucker und ein halbes Pfund Weinsäure, wenn Weißwein daraus werden soll. Dieselbe Sorte in Roth erfordert noch einen Zusatz von fünfzehn Gramm Kino-Gummi, oder dreißig Gramm Tannin, „oder besser einen Absud von vier Pfund Schlehen oder Vogelbeeren, vier Pfund schwarzen Malvenblüthen, dreißig Gramm Veilchenwurzeln, welche mit ein Pfund Himbeersyrup oder zwei Pfund Himbeersaft abgekocht werden“.

Künstlicher Rheinweine kann ein ganzes Sortiment mit Hülfe des Dochnahl’schen Büchleins fabricirt werden. Kartoffel-Zuckerwasser mit Hefe und Weingeist ist immer der Hauptbestandtheil; die „Sorten“ bilden sich, je nachdem Tamarinden, Citronensäure und Kino-Gummi, oder Rosinen, Tamarinden und Bierhefe, oder Gerstenmalz, Veilchenwurzeln und Malvenblüthen zugesetzt werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_319.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)