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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

der edelsten und gesinnungstüchtigsten russischen Literaten, Valentin Korsch, herausgegeben, ging bei einem neuen Verpachtungstermine in die Hände der Herren Michael Katkow und Paul Leontjew über. Beide waren Professoren der Moskauer Universität und nach russischen Begriffen Männer von hervorragender Bildung und Gelehrsamkeit. Als Publicist war Leontjew der bei Weitem Unbedeutendere, während Katkow sich berufen fühlte, eine hervorragende politische Rolle zu spielen.[1] Beide hatten sich auf deutschen Hochschulen umgesehen und von deutscher Geistesbildung erheblichen Nutzen gezogen. Wenn ich nicht sehr irre, saß ich im Anfange der vierziger Jahre bei Professor Werder in Berlin neben Michael Katkow im sonntäglichen philosophischen Disputatorium, und so haben wir, die wir uns später als die entschiedensten politischen Feinde gegenüber standen, die philosophische Schwertleite aus ein und derselben Hand empfangen. Es ist eine bekannte Thatsache, daß Michael Katkow eine der hervorragendsten Stellen in der neueren Geschichte Russlands gebührt, daß seine Zeitung in den sechsziger Jahren für die Mehrzahl der russischen Bevölkerung gewissermaßen das politische Evangelium war, daß ihr Herausgeber als Führer der sogenannten nationalen Partei an Kühnheit und Rücksichtslosigkeit der Sprache wie an Festigkeit und Trotz seiner Haltung Alles übertraf, was man bislang in Russland gekannt hatte, daß er in dem Gefühle, den größten Theil der Nation geistig zu beherrschen, selbst den Kampf mit den obersten Regierungsgewalten nicht scheute, daß er mit einem Worte eine Erscheinung darstellt, wie wir deren nur spärlich in der Publicistik der Culturvölker begegnen, und daß er erst in neuerer Zeit in das Gebiet der überwundenen Standpunkte für Russland eingetreten ist, wenn auch noch einzelne Persönlichkeiten, ja sogar einzelne Verwaltungszweige, auf seine Worte schwören.

Katkow besaß - ich bin am weitesten davon entfernt das zu leugnen - in eminenter Weise die Gaben eines Volkstribuns, aber zwei Dinge fehlten ihm, deren Mangel seine Größe nur als eine künstlich gemachte und zufällige erscheinen lassen: Ehrlichkeit der Gesinnung und Rechtschaffenheit im Kampfe.

Bei all seiner politischen Bedeutung wohnte in Katkow durchaus nicht jene ehrliche Gesinnung, die aus einer felsenfesten, durch harte geistige Arbeit erworbenen Ueberzeugung entspringt. Sein Ziel war, Stimmführer und Leiter der Menge und dadurch mächtig, vielleicht auch reich zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen und das Errungene festzuhalten, war ihm jedes Mittel recht. So begegnen wir während der letzten fünfzehn Jahre in seiner Zeitung, die, wie wenig andere Blätter, das Geistesprodukt eines einzigen Mannes darstellt, den allerentgegengesetztesten Urtheilen über eine und dieselbe Sache, die sich eben modificiren mußten, wie es die allgemeine Windrichtung verlangte, und wie es der großen Menge am erfolgreichsten schmeicheln und behagen durfte. Und das war nicht etwa eine Wandlung der Ansichten, wie sie häufig die politische Erfahrung mit sich bringt, wie wir sie z. B. in Bismarck und in der Meinung über ihn der Mehrzahl nach selbst erlebt haben; Katkow erhob heute, was er gestern mit Füßen getreten hatte, um es morgen abermals, wenn es dem großen Haufen gefallen konnte, mit dem ganzen Gift einer zügellosen Invective zu überschütten. So hat er es mit Völkern, mit Volksstämmen, mit Regierungszweigen, mit einzelnen Persönlichkeiten und mit politischen Principien gehalten, und Beispiele dafür ohne Zahl sind in die Spalten der Moskauer Zeitung niedergelegt. Am entschiedensten schlug er seiner ganzen politischen Vergangenheit in’s Gesicht, als er in der denkwürdigen Unterhaltung mit dem Prinzen Friedrich Karl alle seine Angriffe gegen Deutschland und das deutsche Volk mit eiserner Stirn ableugnete.

Stand es so mit Katkow’s Gesinnungstreue, so läßt sich daraus der Schluß ziehen, wie seine politische Kampfesweise beschaffen war. Dem Feind gegenüber war ihm kein Mittel zu schlecht. Von der Entstellung der Worte des Gegners bis zur völlig freien Erfindung der eigenen Phantasie, von der einfachen Verleumdung bis zur hinterlistigsten Angeberei, von den gemeinsten Ausdrücken des Hasses bis zur Aufstachelung der Volkswuth gegen die Verfolgten, spielt er in seiner glücklichsten Zeit fast in jeder Nummer der „Moskauer Zeitung“ alle Tonleitern eines unehrlichen Kampfes ab, bei dem selbstverständlich Berichtigungen und Entgegnungen der anderen Partei seinen Lesern ein undurchdringliches Geheimniß blieben.

Eine minder bedeutende Persönlichkeit, die aber in der nationalen Partei eine bemerkenswerthe Rolle spielte, war Iwan Akssakow, aus einer alten Adelsfamilie, dessen Hauptstütze bei der unverschämtesten Opposition gegen die Regierung seine Gemahlin, eine frühere Hofdame der Kaiserin, war. Nachdem er die Zeitschrift „Djen“ in St. Petersburg herausgegeben, gründete er den „Moskwitanin“ in Moskau, und als ihm die Zeitung verboten wurde, gab er unverzüglich dasselbe Blatt unter einem anderen ähnlichen Titel (Moskwitsch, Moskwa) heraus. Ehrlicher als Katkow, war er in seinem politischen Auftreten ungezügelter und fanatischer.

Der polnische Aufstand, der lange Zeit hindurch wie ein unterirdisches Feuer unter dünner Decke geglommen hatte, brach in hellen Flammen aus und Russland sandte seine Heere gegen die Empörer. Es war meine Zeitung, die St. Petersburger „Deutsche Zeitung“, welche zuerst das russische Volk mahnte, sein Nationalbewußtsein aus dem lethargischen Schlummer, in dem es ruhte, aufzurütteln. Das Organ Katkow’s kam mit derselben Idee hinterher und sah sich, indem es den fremden Ursprung derselben natürlich ignorirte, in der Lage, den Begriff des Nationalbewußtseins in ganz anderer Weise zu interpretiren, als es von meiner Seite war gethan und beabsichtigt worden. Der verbissene Grimm gegen das Ausland, der vom Krimkriege herstammte, und die offene Wuth gegen die aufständigen Polen, welche sich theoretisch in Katkow, praktisch in Murawjew personificirte, brachte den Gedanken der Nationaleinheit zur Geburt und öffnete der Idee des Panslavismus die Thore.

Das „Italia fara da se“ wurde jetzt in’s Russische übersetzt und „Russland für und durch die Russen“ wurde die Parole der Moskauer Presse. Unter der Nationaleinheit, welche Katkow predigte, verstand er die Entnationalisirung und vollständige Russificirung aller Landstriche, welche im russischen Reiche von nichtrussischen Völkerstämmen bewohnt werde. Religion, Sprache, Gesetze, Sitten und Gewohnheiten, alles was sich diese Völkerreste von ihrem theuersten Eigenthum mit Mühe und Noth zu erhalten gewußt hatten, sollte nun in der allgemeine Mischung des einigen und einförmigen russischen Staates aufgehen und verschwinden.

Einen weniger schädlichen, dafür aber belustigenden Charakter hatte der Panslavismus. Diese Idee erreichte den Gipfel des Komischen auf dem Moskauer Slavencongresse im Jahre 1867, wo es sich plötzlich herausstellte, daß die zur Verbrüderung herbeigeeilten slavischen Volksstämme, die Czechen, Ruthenen, Serben, Bulgaren, Wenden etc. sich weder untereinander noch mit den Russen verständigen konnten und daß man, wollte man es nicht bei stummer Freundschaft bewenden lassen, zu derjenigen Sprache seine Zuflucht nehmen mußte, die alle am grimmigste haßten, aber am besten handhabten – der deutschen. Wo Vorsicht nothwendig war, wurde natürlich nur von einer geistigen Verbrüderung der slavischen Stämme gesprochen, und dergleichen platonische Liebesäußerungen fanden ihre praktische Bethätigung in sehr bedeutenden Summen, welche von den Slavenfreunden Russlands gesammelt und für ein czechisches Theater nach Prag, für ein russisches nach Lemberg und ähnliche Zwecke in’s Ausland gesandt wurden, während das russische Volk selbst von einer schrecklichen Hungersnoth heimgesucht war. In Wirklichkeit dachten die Herren Panslavisten an nichts anderes, als die Vereinigung aller slavischen Volksstämme einstweilen unter dem Protectorat, schließlich unter dem Scepter Russlands. So wurde im Herzen des russischen Reichs von Herrn Polit, einem Serben und österreichischen Unterthan, in öffentlicher Rede feierlich erklärt, Russlands Aufgabe liege im Osten Europas und bestehe darin, der Herrschaft der einen Nationalität über die andere ein Ende zu machen. In dem rauschenden Jubel, der solche Expectorationen folgte, übersah man, daß Russland selbst über deutsche, schwedische, lettische, estnische, finnische, tatarische, mongolische, kaukasische und andre Volksstämme herrscht, daß also Russland, wenn es in dem Sinne des Herrn Polit hätte vorgehen wollen, den Spieß in unangenehmster Weise gegen sich selbst gekehrt hätte.

Die Nationaleinheit und der Panslavismus führten die


  1. Der Aufsatz „P. M. Leontjew und die russische Presse“ in der von Julius Rodenberg herausgegebenen „Deutschen Rundschau“ (Bd. V S. 187 und Bd. VI S. 242) ist ein neuer Beleg, mit welcher Unkenntniß Russland in der deutschen Presse behandelt wird. Das Verhältniß Leontjew’s zur „Moskauer Zeitung“, zu Katkow, wie zur russischen Presse wird dort durchaus falsch geschildert. Dabei wimmelt der Artikel von Schnitzern gegen die Elementarkenntniß russischer Zustände.
    Der Verfasser.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_331.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2020)