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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Moskauer Presse in einfacher Consequenz zum Hasse und zur Fehde gegen Alles, was im Reiche nicht russisch, respective nicht slavisch war, und dieser Groll erstreckte sich bald über die Grenzen des Landes hinaus. Natürlich ist es, daß dieser Haß sich ganz besonders auf denjenigen nichtlavischen Volksstamm warf, welcher, schon durch seine Zahl bedeutend, durch seine geistige Potenz die hervorragendste Stellung im Staate inne hatte. Das Gefühl der niedrigen geistigen Rangstellung, das – ich gebe es zu – immer etwas Niederdrückendes hat, das aber früher den Deutschen gegenüber von der russischen Nation mit liebenswürdiger Offenheit eingestanden und mit leichtem Sinne ertragen wurde, wandelte sich jetzt in ungezügelte Wuth, die ihre rücksichtslosen Angriffe gegen alles Deutsche richtete. Sie traf zunächst und mit den derbsten Stößen die baltischen Provinzen, in denen der lettische und estnische Volksstamm zwar den Grundstock der Bevölkerung bilden, die Cultur aber bis dahin ausnahmslos in den Händen der deutschen Insassen ruhte; sie ging dann nicht minder heftig auf alle in Russland wohnenden Deutschen über und verschonte schließlich ebenso wenig Deutschland, wie das Mutterland und die Quelle aller jener hassenswerthen Objecte.

Um gerecht zu sein, darf ich hier nicht unerwähnt lassen, daß die Deutschen, vor allen aber die Deutschen der Ostseeprovinzen, den Russen gegenüber ihre geistige Ueberlegenheit häufig in plumper Weise hervorkehrten und in eben nicht liebenswürdiger Form verächtlich auf ihre russischen Staatsgenossen herabsahen. Sie gaben dadurch nur allzu häufig Veranlassung zu der Abneigung, die von der russischen Presse zum blindesten Hasse angefacht wurde.

Die Moskauer Zeitungen hatten die Melodie angestimmt und fanden damit jauchzenden Beifall, besonders in den mittleren Schichten des russischen Volkes, bei Literaten und niederen Beamten, in denen plötzlich jenes ätzende Gefühl geistiger und moralischer Unterordnung auf das Heftigste entbrannte und reagirte. Die Moskauer Presse hatte die Melodie angestimmt und der Beifall, den sie fand, bewog die Petersburger Zeitungen zu getreuer Nachahmung, welche häufig in Uebertreibung ausartete. Die oberen und untersten Schichten des Volkes blieben im Allgemeinen von jenen extremen Stimmungen und ihren Ausbrüchen frei. In den höchsten Regionen der russischen Beamtenwelt und Aristokratie hat man sich nur vorübergehend mit den Ideen der Katkow’schen Nationaleinheit, die nicht einmal neu, sondern bereits von Kaiser Nikolai dem Ersten (ein Kaiser, ein Glaube, eine Sprache) intendirt wurde, befreunden mögen; die panslavistischen Träumereien fanden in den maßgebenden Kreisen nur wenig Beifall und sind nur hie und da in der Diplomatie als zarte Pressionsmittel benutzt worden.

Und bei alledem gehörte das Verdienst des nun allgemein wie schnödes Unkraut auswuchernden Hasses gegen die Deutschen nicht einmal Herrn Katkow und seinen Gesinnungsgenossen allein an; gar viele ehrliche Russen wurden in diese feindselige Stimmung hinein verführt und verleitet von keiner andern Seite als – den Polen. „Theile und herrsche!“ war das Princip der polnischen Aufwiegler, schon vor dem Ausbruche des Aufstandes, und sie hatten in diesem Sinne tüchtig gewühlt und vorgearbeitet. Den schlagendsten Beweis dafür liefert der revolutionäre polnische Katechismus, welcher, von den russischen Sicherheitsbehörden aufgefunden und bereits im Jahre 1863 veröffentlicht, doch nur wenigen der Getäuschten die Augen verschlossen hat. Es heißt dort § 11: „Bist du unter Russen, so schildere stets die Deutschen als die Hauptfeinde der Russen und Polen und sage, daß sie um politischer Zwecke willen das freundschaftliche Verhältniß zwischen jenen beiden Völkern stören. Der Russe haßt den Deutschen und glaubt das gern. Es ist dies das beste Mittel, um dein eigenes Treiben zu verdecken, und du schläferst den Feind ein, indem du ihn deiner aufrichtigen Freundschaft versicherst. In allen Fällen, wo deine Pläne an den Tag kommen, wälze die Schuld auf Deutsche! Dadurch giebst du dem Schlage eine andere Richtung, vernichtest den einen Feind durch den andern und lenkst den Verdacht von dir ab.“ Und ferner im § 13: „Hast du es mit einem starken und schlauen Feinde zu thun, der dich erräth, so strebe auf alle Weise danach, ihn zu vernichten, und wähle zu diesem Zwecke das zuverlässigste Werkzeug: einen einflußreichen Deutschen. Der Deutsche wird dir bei seinem Widerwillen gegen das russische Element helfen. Dein Feind fällt und glaubt, daß deutscher Einfluß seinen Fall bewirkt habe. Hiermit beweisest du noch deutlicher, daß der wahre Feind der Russen der Deutsche ist. Du selbst bleibst unverdächtig und machst dir aus dem Feinde einen Freund und eifrigen Beförderer deiner Pläne.“

Der Ausbruch des eigentlichen, brutalen Deutschenhasses in der russischen Presse datirt vom Jahre 1865 und fällt mit einer wahren Parforcehetze zusammen, welche die russischen Zeitungen insgesammt, von Katkow bis zum ärmlichsten Winkelblättchen, gegen meine geringe Person anstellten. Im Anfang jenes Jahres erschien in der „Gartenlaube“ ein Artikel, welcher mich zum Gegenstand hatte und mir ein wesentliches Verdienst um die Weckung des nationalen Bewußtseins der Deutschen in Russland zuschrieb. Russische Redactionen lasen dazumal kaum die politischen deutschen Blätter, Journale wie die „Gartenlaube“ aber gewiß nicht. Einer meiner guten Freunde an der Petersburger Universität – er wurde mir später von einem russischen Journalisten deutlich genug bezeichnet – einer der hervorragendsten Führer des Panslavismus, der sich über meine Artikel gegen diesen wahnwitzigen Schwindel grimmig zu ärgern pflegte, eilte von einer russischer Redaction zur anderen und hetzte die Meute. Derselbe Mann hat sich mehrere Jahre später auf eigenthümliche Weise einen Namen gemacht, indem er einen harmlosen deutschen Kaufmann in St. Petersburg bei der geheimen Polizei denuncirte, weil dessen Kinder mit Armbrüsten nach einem hölzernen Adler geschossen hatten, der von dem Spielwaarenfabrikanten unglücklicher Weise zum russischen gemacht worden war.

Jetzt erhob sich in der russischen Presse ein wahrhaft gigantisches Wuth- und Zetergeschrei über jenen Artikel und meine Person. In der russischen St. Petersburger Zeitung nahm es seinen unbedeutenden Anfang und erstieg in der Moskauer den höchsten Gipfel journalistischer Gemeinheit. Ein Buch ließe sich füllen mit allen den Invectiven, mit denen ich überschüttet wurde. Alles, was in der „Gartenlaube“ gestanden, wurde als lügnerisches Selbstlob erklärt. Man gefiel sich lange genug in dem Schmutz dieser Brutalität, und nachdem endlich meine Person als Thema langweilig geworden und man darauf sinnen mußte, dem Leser etwas Neues, Pikantes zu bieten, begann die Hetzjagd in derselben Gassenmanier gegen die Deutschen und alles deutsche Wesen. Ich war, als man mich damals mit Schmähungen verfolgte, zu stolz, um auf dergleichen persönliche Angriffe zu antworten, und ließ mich ruhig mit Koth bewerfen. Aber ich hatte Unrecht. Ich hätte antworten sollen, wie ich später auf keinen Angriff den Gegenschlag schuldig geblieben bin. Der russische Journalist hatte damals und hat zum Theil auch noch jetzt nur Respect, wenn ein starker Druck auf ihn geübt wird; das Schweigen des Anstandsgefühls ist in seinen Augen das Eingeständniß des Unrechts oder der Schwäche.

Die in den Ostseeprovinzen erscheinenden deutschen Zeitungen, vielleicht durch mein Schweigen irregeleitet, sahen dem Skandal, so lange er mich persönlich betraf, ruhig und müßig, wie von sicherer Schaubühne aus, zu. Während[WS 1] die Rüden den Hirsch stellten und in die Schenkel bissen, hatten diese gleichgültigen Gäste noch keine Ahnung, wie bald sie selbst zum gejagten Wild werden sollten.

Der Moskauer Presse schwoll indessen der Kamm immer höher und höher. Die Muskulatur ihrer nationalen Ueberhebung kräftigte sich zusehends in der beständigen gymnastischen Uebung zuerst gegen die aufrührerischen Polen, gegen mich und meine Zeitung und zuletzt gegen die Deutschen überhaupt. Die Angriffe gegen die letzteren mehrten sich in überraschender Weise, und es wohnte eine solche Gehässigkeit in den aus der Luft gegriffenen Beschuldigungen, eine solche Unsauberkeit in den Ausdrücken, eine solche Perfidie in dem elenden Bestreben, bald diese, bald jene Persönlichkeit, Corporation, Gemeinde oder Genossenschaft an hoher Stelle anzuschwärzen und zu verdächtigen, und die russischen Zeitungen beider Residenzen entwickelten bald darin eine solche Gemeinsamkeit der Action, daß man nur zu schnell einsehen mußte, man befinde sich einer überlegenen Kraft gegenüber, gegen die man sich wohl bis zum letzten Athemzug wehren, die man aber unter keiner Bedingung zu Boden schlagen könne, wie man denn im Kampfe mit einer Schaar von Wanzen stets der Unterliegende bleibt.

(Schluß folgt.)

  1. Vorlage: Wähend
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_332.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)