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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Herr Seyboldt! – Sie sehen gut aus, mein lieber Herr Seyboldt,“ lachte sie, und es lag etwas Grausames in diesem Lachen. „Sie sind merkwürdig stark geworden im letzten Monat, seitdem wir uns nicht gesehen haben.“

„Wa – was?“ stotterte der Commerzienrath in einem Tone, als traue er seinen Ohren nicht, und mit einer Behendigkeit, die seltsam gegen jene Schlaffheit abstach, welche er ein paar Secunden zuvor gezeigt, sprang er auf die Füße und schritt in drohender Haltung auf sie zu. „Was veranlaßt Dich, diesen Ton gegen mich anzuschlagen, Weib, gegen mich, der ich die Macht habe, Dich zu vernichten? Hilft denn keine Beschwörung, keine Buße, die ich Dir von Monat zu Monat auferlege, um den Hochmuthsteufel aus Dir hinaus zu treiben dessen Herberge Du von Deiner Jugend an gewesen bist? Und willst Du mich mit Gewalt zwingen, von jenem schönen Papiere Gebrauch zu machen, in welchem Du so gefällig warst, die Schulden Deines Gatten zu übernehmen? Oder genügt das Wort ‚Schuldgefängniß‘, um den höllischen Nebel aus Deinem Hirne zu verjagen, wie schon so manches Mal? Du wirst mich nöthigen, die Bußübungen zu verschärfen, Annette; es ist meine Christenpflicht, für das Heil Deiner Seele in ausreichenderem Maße zu sorgen, auch wenn ich es nicht aus alter Freundschaft thun wollte.“

Es lag soviel Grimm und Galle in der Art, wie der kleine alte Herr mit der wunderlich ausgestopften Figur und dem seidenen Schlafrocke dies sprach, daß seine Erscheinung aufhörte, komisch zu sein.

Die Frau, welche so stolz und gerade vor ihm stand, maß ihn mit einem verächtlichen Blicke. „Heuchler,“ sagte sie, und ihre Stimme verrieth den innern Triumph, „Deine Macht ist vorüber. Du hast geträumt, Deine frivole Rache ein Leben lang genießen zu können. Jahre hindurch ist meine Schmach Deine Weide gewesen, und diese Jahre haben mich Menschenalter gedünkt. Ja, Karl Seyboldt, es ist lange her, seit ich mir den Tod wünsche, um aus den Händen eines elenden Feiglings erlöst zu werden. Du hast das Unglück eines Weibes gemißbraucht, um sie jammervoll zu demüthigen, und hast äußerlich salbungsvoll und innerlich grinsend wie ein Teufel dabei zu stehen vermocht. Jetzt ist meine Stunde gekommen, und ich werde dem gottseligen Commerzienrathe Seyboldt die Maske vom Gesichte reißen, ich werde der Welt eine Geschichte erzählen, und der Kalender wird um einen Heiligen ärmer werden.“

„Du bist mir ja merkwürdig plötzlich über den Kopf gewachsen,“ höhnte der Commerzienrath. Aber sein Gesicht zuckte mit einem Male schmerzhaft, und seine Stimme klang dumpf, als er fortfuhr: „Hast Du das große Loos gewonnen oder einen Schatz aus der Erde gehoben? Vierzigtausend Thaler! Du hast doch die Summe richtig behalten?“

„Vierzigtausend Thaler,“ wiederholte sie kopfnickend. „Ich möchte nun wissen, ab Du mir die Papiere sofort gegen die Summe aushändigen willst, oder ob Du die Vermittelung eines Notars wünschest. Aber Du scheinst gar nicht zufrieden damit zu sein, daß ich Dir soviel schönes baares Geld bringe. Du siehst krank aus, Karl Seyboldt, sehr krank.“

„Das ist nicht wahr,“ schrie der Commerzienrath, der sich mit aller Macht aufrecht erhielt. „Ich werde Dir zeigen, daß ich Kraft genug besitze, um Deinen harten Sinn zu zwingen; Du wirst heute in jener Ecke liegen und Dein Bekenntniß sprechen, wie vor einem Monate, meine theure Annette. Aber Dein Geld – nun gut, es ist mir in jedem Falle lieber, als die nutzlosen Papiere da drinnen.“ Und er trat schwankenden Schrittes zu einem Geldspind, schloß es auf und brachte aus einem zweiten Verschlusse eine Hand voll Papiere hervor.

Sie gingen an den Tisch vor dem Sopha, und der Commerzienrath setzte sich, während Frau Hornemann, ein geringschätziges Lächeln auf den Lippen, ihre Tasche vor sich nahm und diese öffnete.

„Eintausend,“ sagte der Fabrikant. Seine Hand zitterte heftig, als er das Papier vorschob und die Banknote an sich zog, welche Frau Hornemann ihm hinwarf, und durch seine Züge flog ein nervöses Zucken, aber seine Stimme klang hart und fest.

„Eintausend fünfhundert – eins, zwei, drei, zusammen zweitausend dreihundert – fünftausend –“

Wie Schachspieler, Zug gegen Zug, vollzogen die Beiden den Umtausch.

Der Commerzienrath erhob sich, indem er die Banknoten zusammenraffte.

„Es fehlen noch dreitausend, höhnte Frau Hornemann. „Du willst sie mir doch nicht schenken, Karl Seyboldt? Ich gehöre nicht zu den Armen, welche Du mit Deinem Geld kaufst, damit sie im Himmel Fürbitte einlegen für Dich.“

„Nur Geduld, meine Traute!“

Er schloß hastig das Geld ein und kehrte zurück. Sie hatte es nicht gehört, wie er leise stöhnte, als er vor dem Spind stand; das Rasseln der Schlüssel hatte es übertönt.

„Eintausend, zweitausend, dreitausend –“ sagte er, nachdem er auf's Neue Platz genommen. Die drei Papiere lagen vor ihm, und er legte diesmal die Hand darauf und sah sein Gegenüber eine Weile mit unsicheren Augen an.

„Nun?“ fragte sie ungeduldig.

„Du dauerst mich im Grunde, Annette, und wenn Du heute eine Andere wärest, als Du zu mir kamst, wer weiß, was ich gethan hätte. Diese Wechsel hat Dein Mann ausgestellt; Du kennst zweifelsohne seine Handschrift wieder?“

„Allerdings.“

„Du siehst auch, daß hier drei Accepte von Seyboldt und Compagnie stehen; ganz meine Handschrift, Zug für Zug.“

Sie blickte flüchtig über den Tisch und trat dann zurück.

„Nun, meine süße Annette: diese drei Accepte sind – gefälscht.“

„Das ist nicht möglich,“ stieß sie mit glühendem Gesicht hervor und that einen Griff nach den Papieren.

Der Commerzienrath zog dieselben vom Tische, faltete sie zusammen und steckte sie in die Westentasche. „Es ist doch so, und Du wirst begreifen, warum sie mir lieber sind als Deine dreitausend Thaler. Karl Seyboldt war vorbereitet auf Deinen Reichthum, mein Kind. Vor dem Schuldgefängniß bist Du freilich sicher, den Vortheil hast Du davon, daß Du reich gegeworden bist; – vielleicht beichtest Du mir gelegentlich einmal die Quelle Deiner Schätze. Aber unter Umständen werde ich der Welt auch eine Geschichte erzählen; ich werde den Schatten eines Fälschers in das Zuchthaus sperren, dem dieser lebend entgangen ist. Du wirst mir alle Monate die Zinsen bringen, Annette, hörst Du wohl? Wir wollen nicht aus der Uebung der Gottseligkeit kommen; Du bist noch lange nicht reif in der Demuth.“

Die schwarze Gestalt der alte Frau kauerte auf dem Boden; ihre wirren Augen irrten in alle Richtungen; jede Spur ihrer sonstigen Energie war aus dem Gesicht geschwunden, welches fast so fahl aussah, wie dasjenige ihres unerbittlichen Feindes.

„Mein Gott, laß mich sterben!“ murmelte sie mit bebenden Lippen. „Hab’ Erbarmen mit meiner Schmach und tödte mich!“ Ihre Hände falteten sich in einander und lösten sich wieder in mechanischem Spiele. „Ich glaube es nicht, Karl Seyboldt, und wenn er selber aus dem Grabe herausstiege und die Finger zum Schwure erhübe, daß er es gethan – ich kann nicht an ihm irre werden. Wer das dort geschrieben hat, Gott verzeih’s ihm, wenn er will! Oder spielst Du falsches Spiel mit mir?“

„Ich sagte Dir ja, daß Dein Triumph ein voreiliger war. Du willst nicht an die Fälschung glauben? Es steht Dir ganz frei, die Entscheidung der Gerichte zu provociren. Siehst Du, das ist wieder Dein Hochmuth, Annette, daß Du die Wahrheit von Dir weisen willst. Gott bewahre – wie wäre es möglich, daß Du das Weib eines Fälschers gewesen wärest! Das ist derselbe Hochmuth, mit dem Du einst den armen Karl Seyboldt von Dir gestoßen hast, als er es wagte, Dir seine Liebe zu gestehen, damals, wo er noch ein ‚Betteljunge‘ war. Weißt Du noch? Es war auf dem Maskenfeste in der Eremitage, in das Ihr übermüthig gegangen waret, Du und ein paar Freundinnen, und Du strichst Dir über den Aermel Deines Dominos, an den ich gefaßt hatte, und sagtest, Du wolltest Dir die Spulwolle abwischen –“

„Weil Du mich verfolgt hast, Mensch, weil Du mich zum Gespött meiner Bekannten gemacht hattest, weil Du mich belagert hast in meinem Elternhause –“

„Ich hatte Dich lieb, Annette, vielleicht etwas überschwänglich; die Liebe und die Thorheit sind Zwillinge. Aber Du hast mich dafür beleidigt, so tief, wie nur ein Mensch den andern beleidigen kann – und damals habe ich es geschworen, Dich zu demüthigen, bis der letzte Funke von Deinem Hochmuth mit

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