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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


so in der Furi davon geh’n? Was habt Ihr denn unten im Dorf zu thun?“

„Das weiß Sie nicht?“ entgegnete er spöttisch. „Sie ist also nicht so gescheidt, wie das gestrenge Landgericht? Dann muß ich Ihr’s halt auseinander setzen. Zum Schäffler im Dorf geh’ ich hinunter; der hat neun große Fässer in’s Bräuhaus zu machen und hat mich neulich schon angeredet, ob ich ihm keine schönen eichenen Dauben aus meinem Holz ablassen wollt’ – ich hab’ ‚Nein‘ gesagt, weil mir jeder von meinen Bäumen an’s Herz gewachsen ist, jetzt aber kann er sie haben, schöner als er sie im ganzen Gebirg’ auftreiben kann.“

„Heilige Mutter Anna,“ schrie die Häuserin entsetzt, „Ihr werdet doch den Eichbaum an der Haselpoint nicht niederschlagen wollen? Jetzt, wo Ihr gerad’ den Befehl bekommen habt?“

Der Bauer richtete sich in seiner ganzen Höhe auf und trat hart vor sie hin. „Und warum nicht?“ rief er. „Der Baum ist mein; der Grund und Boden, auf dem er steht, ist mein – wer hat mir da was zu befehlen? Der Prinz hat mir mein Wort zurückgegeben, weil es ihm nicht genug gewesen ist. Ich könnt’ blutige Zähren weinen, wenn ich nur daran denk’, daß der prächtige Baum umgeworfen werden soll – aber er muß! In meinem Eigenthum, da bin ich Herr und will ihnen zeigen, daß mir da der König nichts verbieten kann, geschweige denn ein Prinz, oder gar so ein Landrichter, so ein …“

Das Uebrige verlor sich in Gemurmel, Judika aber schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. „Das giebt ein Unglück,“ jammerte sie, „ein schreckliches Unglück – das sollt Ihr nicht thun, so gerade der Obrigkeit zum Trutz.“

„Was können sie mir denn anhaben?“ fragte der Bauer mit verschmitztem Lächeln. „So gescheidt sie drinnen im Landgericht sind, so gescheidt ist Unsereiner auch. Was haben sie mir denn verboten? Daß ich den Baum nicht beschädigen, nicht entfernen soll – das thu ich auch nicht, aber ich verkauf’ ihn an den Schäffler, das ist mir nicht verboten, und der Schäffler wird schon sorgen, daß der Baum liegt, eh’ sie drinnen was erfahren. Also halt’ Sie mich nicht auf und bring’ Sie mir Hut und Joppe herunter, oder ich hol’ sie mir selber.“

„Ich geh’ ja schon,“ entgegnete die Häuserin, ohne einen Fuß zu regen, „aber Ihr solltet’s Euch doch noch einmal überlegen – das mit dem Schäffler hätt’ ja wohl auch bis morgen Zeit – und nachher,“ fuhr sie etwas hastiger fort, wie erfreut, noch einen Grund für ihre Meinung gefunden zu haben, „nachher solltet Ihr heut’ doch nicht mehr aus dem Hause gehen: Ihr wißt ja, daß er jeden Augenblick kommen kann …“

„Wer kann kommen?“ fragte er und sah sie verwundert an.

„Wie Ihr nur so fragen könnt! Ihr wißt doch, daß er vorgestern geschrieben hat, daß jetzt seine Dienstzeit beim Militär aus ist, daß er sich gleich auf den Weg macht und längstens heut’ Abend daheim eintrifft –“

Der Bauer lachte gleichgültig und beinahe höhnisch auf. „Also der Wildl, mein sauberer Sohn ist gemeint,“ rief er. „Hab’ ich doch wunder gedacht, was für ein großes Thier mir die Ehr’ anthut und in’s Himmelmoos kommt. Und wegen dem Buben soll ich daheim bleiben?“

„Nun, es ist doch nicht mehr als billig,“ entgegnete die Häuserin gereizt, „daß der Vater dem einzigen Sohne, dem einzigen Kinde, nicht aus dem Wege geht, sondern ihm 'Grüß Gott!' sagt, wenn er fast drei Jahre fort gewesen ist und hat den harten, strengen Dienst bei den Kürassieren durchmachen müssen.“

„Soll ich ihm etwa Teppiche legen und Gras aufstreuen lassen wie bei der Antlasprocession?“ unterbrach sie der Bauer. „Als wenn ich dafür könnt’, daß ihn das Loos getroffen und er sich hineingespielt hat!“

„Nein, dafür könnt Ihr nichts,“ war Judika’s Antwort, „wohl aber dafür, daß der reiche Himmelmooser, der das Geld zum Fenster hinauswirft, um aus seinem Bauernhofe ein Schloß zu machen, nicht einmal so viel aufzuwenden gehabt hat, um für seinen einzigen Sohn einen Mann, einen Einsteher zu stellen.“

„Am Können hat es wohl nicht gefehlt, aber am Wollen,“ sagte der Bauer. „Die drei Jahre schaden dem unnützen Buben nicht, und der ‚harte, strenge‘ Dienst wird den baumstarken Burschen auch nicht zu Grund gerichtet haben. Ist er denn nicht, so lang’ er daheim war, überall dabei gewesen, wo’s etwas zu raufen gegeben hat? Ist er nicht überall der Erste gewesen, der d’reingeschlagen hat? Ist er nicht schier mehr Zeit im Arrest gewesen, als in der Freiheit? Hab’ ich nicht mehr Kosten und Strafen bezahlt, als der ganze Bursch’ werth ist? … Nichts da, fortjagen kann ich ihn nicht, weil er doch einmal mein Sohn ist, aber eh’ er ein gutes Gesicht von mir kriegt, muß ich zuvor seh’n, daß er sich ein anderes angeschafft hat – und wenn er heut’ heim kommt, bleibt im Himmelmoos Alles beim Alten und nichts hat sich geändert, als daß ich nun einen Knecht weniger brauche. – Also aus der Bahn oder nieder ’than!“ schloß er, indem er Judika derb an den Schultern faßte und bei Seite schob. „Sie will mir meine Sache’ nicht bringen – also such’ ich selber den Weg.“

Rasch hatte er die Treppe im Hausfletz erreicht und stieg sie hinan. Die Häuserin sah ihm etwas betroffen nach und schien sich zu besinnen, was allenfalls noch in ihrer Macht stände, die Gewitterwolken, die sie über dem Hause sich bilden sah, abzuwenden oder der Heftigkeit ihres Ausbruches Einhalt zu thun – sie kam zu keinem Ergebniß, denn im obern Stockwerk wurde abermals die zürnende Stimme des Bauers laut, vermischt mit dem Schelten einer andern Männerstimme und dem Gepolter sich anstemmender Füße, als ob ein Paar Menschen in heftigem Ringen mit einander begriffen wären. Nach wenigen Augenblicken flog oder stürzte der Hinzueilenden der Maurer Fazi über die Stufen entgegen und taumelte durch die daneben befindliche Thür in’s Freie; ihm nach stürmte der Bauer mit zornglühendem Angesicht, eine kurze Eisenstange in der hocherhobenen Hand. Er wäre unfehlbar dem Fliehenden nachgestürzt, um ihn zu mißhandeln, hätte nicht Judika, den Zusammenhang ahnend, im entscheidenden Augenblicke die Thür vor ihm zugeworfen und den Riegel in die Klammer gestoßen, daß er sich erst damit befassen mußte, diese Hindernisse zu beseitigen.

Er stieß einen schweren Fluch aus und knirschte mit den Zähnen. „Was thut Sie denn, daß Sie mich aufhält?“ schrie er wie außer sich. „Will Sie dem Hallunken durchhelfen? Schau’ Sie hinauf! Während ich nicht anders denk’, als er strolcht draußen im Garten herum, hat er sich von hinten herein in den obern Stock geschlichen, in die gute Stuben und war gerade darüber, das Wandkästel aufzubrechen, wo das Geld liegt … der Kerl muß einen Dietrich haben … ich muß ihm nach und ihm einen Denkzettel geben.“

Endlich war es ihm gelungen, die Thür frei zu machen. Der Flüchtling hatte es für gut befunden, eine zweite Begegnung nicht abzuwarten: in weiter Ferne schon rannte eine kaum mehr erkenntliche Gestalt quer über die Wiesen; es war eine Unmöglichkeit, ihn einzuholen. Gleichwohl glaubte der Bauer im ersten Augenblick nicht daran. „Laßt den Sultan los!“ rief er und that einen gellenden Pfiff auf den Fingern, „lauft, Alles was Füße hat, lauft ihm nach – zehn Kronenthaler, wer ihn einholt!“

Die Aufforderungen waren vergebens; die herbeigeeilten Knechte hielten es nicht für möglich, bei so großem Vorsprung den Dieb zu erreichen, und das Nachhetzen des jungen unerfahrenen Hundes für zwecklos. Der Bauer murrte in sich hinein und hieß sie wieder ihre Wege gehn. „Er kommt mir doch nicht aus,“ sagte er dann, indem er seinen Anzug vollendete und den Hut auf den Kopf stülpte, „und wenn er mir noch einmal auf hundert Schritt an den Hof heran kommt – nieder schieß’ ich ihn, wie einen wüthigen Hund.“

Eiligen Schrittes ging er den Hügelpfad hinunter, dem Dorfe zu. Judika vermochte ihn nicht zu halten und mußte sich auf’s Nachsehn beschränken. Nach einer Weile blieb er stehn, sah, wie sich besinnend, umher und schlug dann einen kleinen Feldweg ein, der seitwärts gegen ein Wäldchen abbog und auf einem Umwege ebenfalls gegen das Dorf führte. „Eisenkopf!“ sagte Judika, den ihren schüttelnd. „Den Umweg macht er nur, damit er nicht etwa dem Buben in die Hände läuft. Heilige Mutter Anna, was wird’s da geben, wenn die zwei aufeinander stoßen!“ –

(Fortsetzung folgt.)



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