Seite:Die Gartenlaube (1877) 380.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Es könnt' nicht schaden, wenn ein paar junge frische Gesichter zu unsern alten Köpfen in’s Himmelmoos herein kämen.“

Der Bauer lachte auf. „Sonst nichts mehr? Zwei Haushaltungen in einem Haus’?“ rief er. „Das müßt’ eine schöne Wirthschaft abgeben. Nichts da – so lang' ich revierisch bin und mich rühren kann, geb’ ich nicht über, nicht ganz und nicht halb – das hab’ ich mir vorgenommen; das hab’ ich gesagt, und wenn ich einmal etwas gesagt hab’, da bleibt’s dabei. Der Himmelmooser hält sein Wort.“

„Wenn’s gewiß ist,“ murmelte Judika und wandte sich zu gehen. Grimmig sprang der Bauer hinzu und hielt sie zurück – der Stolz, immer sein Wort erfüllt zu haben, war eine seiner empfindlichsten Seiten.

„Was brummt Sie da?“ rief er. „Wer kann sagen, daß der Himmelmooser sein Wort nicht gehalten hat?“

„Ich,“ entgegnete sie und sah ihm trutzig in's Gesicht, „denkt an eine gewisse Kindstauf’, Herr, und nachher sagt mir, wie’s mit dem Worthalten ausschaut! – Gute Nacht!“

Sie ging; der Himmelmooser stand verblüfft, als habe sich plötzlich vor seinen Füßen ein Abgrund aufgethan. Eine Weile störte er in dem Dochte seiner Lampe herum, dann ergriff er sie und ging seiner Schlafstube zu.

„Hm,“ sagte er vor sich hin, „für die Hack’ wird sich wohl auch noch ein Stiel finden lassen.“




2.


Ueber dem Himmelmooserhofe und seiner ganzen Umgebung lag das athemlose Schweigen der Nacht, und wie zögernd sahen ihre Sternenaugen darauf hernieder, als läge da drunten die schönste Heimath des Friedens, die sie auf ihrem Wandergange geschaut und von der sie nur ungern sich zu trennen vermochten.

Drinnen im Hofe aber war der Friede nicht eingekehrt; wohl waren die Fenster lichtlos wie die Augen eines Schlafenden, aber in den Gemächern dahinter glimmte der Gram und glühte der Unmuth – wohl stand drinnen jede Regung still, aber das Stillstehen war das eines erschreckten Herzens, das mit seinem Schlage vor einem großen Leide innehält, weil es im nächsten ein noch größeres vorempfindet. Der Gram wachte in Judika’s Kammer neben dem Bett, auf das sie sich angekleidet gelegt hatte. Der Unmuth ging in der Schlafstube mit dem Bauer hin und wieder gleich einer Schildwache. Er hatte selbst die Doppelriegel an den Hausthüren, welche nur bei besonderen Gelegenheiten gebraucht wurden, abgelassen, aber die Stubenthür ließ er offen: er vermuthete, daß Judika, wenn Alles still geworden, wieder aufstehen und den Liebling in’s Haus lassen würde. Seine Vermuthung war auch vollkommen begründet. Judika hatte keinen andern Wunsch und Gedanken, als Wildl in der ersten Nacht seiner Heimkehr ein Versteck zu verschaffen, in welchem er ruhig bleiben konnte, bis sie noch einen Versuch gemacht haben würde, die beiden Eisenköpfe zu versöhnen; glaubte sie doch ein Mittel zu besitzen, das ihr sichern Erfolg versprach und das, nach der am Abend gegebenen flüchtigen Andeutung zu schließen, seine Macht über den Alten noch immer nicht verloren hatte.

Die beiderseitige Besorgniß war indessen ganz vergeblich – der, dem sie galt, dachte nicht daran, im Vaterhause sich heimlich eine Nachtherberge zu suchen; in der ersten Erregung war er weit in die Nacht hinaus geeilt, geradeaus den Bergen zu. Er hatte keinen andern Gedanken, als so schnell wie möglich aus dem Bereiche des väterlichen Hauses zu entkommen; ihm war wie Einem, der sich den Verfolger auf den Fersen weiß. Sein Herz war von unsäglicher Bitterkeit erfüllt. Wie hatte er sich auf den Augenblick gefreut, wo er vor den Vater hintreten konnte, gewissermaßen als ein neuer Mensch, an dem nicht ein Fäserchen der Unbilden haftete, die man einst an ihm zu tadeln vermocht hatte. Und nun? Alle seine Hoffnungen lagen vom Sturme niedergeweht wie das Kartenhaus eines spielenden Kindes, und ihm war noch schlimmer um’s Herz, denn ihm fehlte der Muth ein neues zu erbauen; der ganze Plan seines Lebens war verwischt und verschüttet. Zorn und Rührung rangen abwechselnd in ihm, welchen Entschluß er nun zu fassen habe, ob es rathsam und wie es möglich sei, durch den Schutt einen neuen Weg zu bahnen. Bald dünkte es ihm, als habe er mit dem Fortgehen sich übereilt; bald blitzte wieder der Trotz in ihm auf, und im Bewußtsein seiner Kraft wollte er in die Welt gehen, sich selber einen Platz erobern und dem Vater zeigen, daß es nicht wohlgethan war, ihn wie einen Knaben zu behandeln.

So war er ein gutes Stück in die Nacht und in den Bergwald hineingestürmt, des Weges nicht achtend, dessen er von früheren Zeiten her wohl noch kundig war – aufathmend hielt er an, um sich in der Dunkelheit, die sich immer dichter hernieder gesenkt, zurecht zu finden, denn es kam ihm vor, als wäre der Pfad nicht mehr der alte. „Wie ist denn das?“ sagte er halblaut vor sich hin, „das ist ja doch der Weg, wo es zu den Brünnl’-Almen hinauf geht. Der schwarze Block da muß das Steinthörl sein, und da rechts soll die große Buchen stehn, bei der es über die graue Wand hinunter geht … bin ich denn auf eine Irrwurz getreten oder seh' ich nimmer recht?“

Wohl sah er recht und hatte die Umgebung erkannt; er konnte nicht wissen, daß die große Buche, die mit ihrem mächtigen Wurzelgeflecht den Rand der Schlucht umklammert gehalten und so eine Art Wehr und Umzäunung gebildet hatte, mit den umgebenden Felsstücken locker geworden und, dieselbe beinah zur Hälfte ausfüllend, in die Tiefe gestürzt war.

Behutsam machte er noch einige Schritte vorwärts, aber seine Vorsicht war vergebens: plötzlich fing das Erdreich unter ihm sich zu lösen und zu kollern an, und eh' es ihm möglich war, nach einem Stützpunkt zu suchen, war er mit dem Geröll hinunter gefahren und hing in den verdorrten Aesten der entwurzelten Buche fest. Einen Augenblick wollten ihm von der Gewalt des Sturzes die Sinne vergehn, aber bald raffte er sich wieder zusammen – er fühlte, daß er, wenn auch an Händen und Knieen geschunden, doch an seinen Gliedern heil und unbeschädigt war; rasch hatte er sich von dem Geäst, das sich an seine Joppe festgehakt, losgemacht und dann, vorsichtig klimmend, den Rand der Schlucht und mit ihr den festen Boden wieder erreicht. „Das hätte eine schöne Himmelfahrt geben können,“ rief er, sich schüttelnd und die Arme wie zur Probe in die Höhe reckend. „Warum schieß' ich auch wie eine blinde Bremse in die Nacht hinein? Es wird gescheidter sein, ich such’ einen Unterschlupf auf; da kann ich mir am besten überdenken, was ich thun will, um den Tag abzuwarten.“

Der Unterschlupf war bald gefunden: auf einer schräg ansteigenden Bergmatte standen einige jener hölzernen Hütten, welche, aus übereinander gelegten Balken erbaut zur Bergung des Heues bestimmt sind, das dann im Winter auf Schlitten in die Häuser und Ställe hinuntergefahren wird. Rasch hatte der gewandte Bursche den in halber Höhe des Gebäudes angebrachten Lufteinschnitt erklommen und schwang sich in das Innere auf den bereits angesammelten Futtervorrath hinein.

Er erreichte denselben nicht – mitten im Sprunge fühlte er sich am Rücken von zwei starken Armen erfaßt und festgehalten. „Halt, was kommt da für ein Besuch mitten in der Nacht?“ rief eine starke, rohe Männerstimme. „Red'! Dein Wehren hilft Dir nichts; ich laß Dich nicht aus, bis ich weiß, wer Du bist.“

Wortlos und keuchend rang Wildel mit seinem Gegner; eine Reihe unangenehmer Gedanken schoß ihm wie zuckende Blitze durch den Kopf – wer konnte der Angreifer anders sein, als ein Jäger, der sich in Hinterhalt gelegt, um einen Wildschützen abzupassen? Wenn er ihn erkannte, war der alte Verdacht auf’s Neue geweckt und noch verstärkt, denn wenn er schon in der ersten Nacht seines Daheimseins in dem Bergrevier getroffen wurde, war es nicht ein unwiderleglicher Beweis, daß seine Lust zum Wildern noch gewachsen war? Er schwieg härtnäckig, obwohl der Andere immer zu fragen fortfuhr; er spürte bald, daß er dem ihn Umklammernden an Stärke überlegen war. Die Muskeln der ihn haltenden Arme begannen zu zucken, einem unversehenen kräftigeren Ruck widerstanden sie nicht, und im Augenblick war die Stellung beider Männer umgekehrt: Wildel war obenauf, und der unbekannte Bursche suchte, in’s Heu gedrückt, sich seiner Hände zu erwehren, die ihm wie eherne Klammern die Kehle zusammenpreßten.

Dadurch kamen die beiden Köpfe und Gesichter einander näher; bei dem durch die Oeffnung einfallenden Halblichte war es möglich, die Züge derselben zu unterscheiden. Wildel ließ nach und wandte sich wie geringschätzig ab, als ab die unnütz verschwendete Kraft ihn reue.

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_380.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)