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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


und Erzieher ihres Volkes spielten, noch zuvor gethan. Seine Leistungen auf einem beschränkten Gebiete, welches er sich in solchem Drange seines Herzens zu versichern wußte, gestatten daran kaum einen Zweifel.

Die Gelegenheit dazu bot ihm in den siebenzehnhundertsechsziger Jahren ein Schreiben der Stände des schwäbischen Kreises mit der Anfrage, ob Jemand der Mitglieder bereit sei, auf Kosten des Kreises eine Frohnveste zu bauen und deren Bewachung und Verwaltung zu übernehmen: Denn es war in Oberschwaben große Noth um ein Zuchthaus mehr für die zahlreichen Landstreicher und „Jauner“, die damals häufig in ganzen Banden das südwestliche Deutschland so arg heimsuchten. Die Kriege, die politische Zerrissenheit, die Verarmung und hergebrachte sittliche Vernachlässigung des Volkes bildeten die natürlichen Ursachen einer größeren Verwilderung der unteren Classen. Was der Staat derartig selber mit verschuldet hatte, mußte er nun an den Opfern seiner Sünden wieder rächen.

Ein erbitterter Krieg der Justiz begann mit dem socialen Elend und dem daraus entstehenden Verbrechen, welches selbst in offener Fehde sich gegen die Gesetze der Ordnung und Sicherheit auflehnte. Aller Orten sah man Galgen; unaufhörlich unternahmen Soldaten und Polizisten Streifzüge gegen die Diebs- und Räuberbanden in Oberschwaben, welche eigentlich erst im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts vernichtet wurden. Sie waren freilich nicht so gefährlich und leicht fertig mit einem Todtschlag wie die des 1771 überwältigten „bairischen Hiesel“ und die des späteren „Schinderhannes“ am Rhein, aber sie bedrohten mit ihren Gelegenheitsdiebstählen und planmäßigen Einbrüchen doch fort und fort die Sicherheit des Eigenthums auf dem Landes. Die nahen Grenzen der verschiedenen deutschen Staaten und der Schweiz, welche eigene und auf die benachbarte gewöhnlich sehr eifersüchtige Justizhoheit besaßen, begünstigten außerdem das Uebel, indem das Gesindel immerfort den Boden wechselte und damit die Vorsehungen, die darüber wachten.

Auf jenen Nothschrei der schwäbischen Stände hatte sich nun der Reichsgraf Schenk von Castel gemeldet; er allein. Er hatte es gethan, um eine öffentliche und dem allgemeinen Wohl dienende Rolle zu spielen. Ein Mann von Geist und edlen Absichten, mit einem hohen, sittlichen Rechtsbewußtsein, fühlte er sich zugleich in seinem herrschsüchtigen Ehrgeiz und dynastischen, selbstherrlichen Geist verlockt, als Verwalter einer Frohnveste einen Staat von Gaunern zu regieren. In Ermangelung eines anderen war dies doch etwas, um unumschränkt gefaßte Grundsätze an verworfenen Menschen erproben zu können. So kam denn der Vertrag zu Stande: der schwäbische Kreis bezahlte die Kosten für den Aufbau des neuen Zuchthauses, dessen Verwaltung und Gerichtspersonal, und Graf Schenk übernahm die Leitung des Ganzen. In Dischingen, wo er sein Residenzschloß besaß, hatte er auch die Frohnveste errichten lassen.

Bald spürte man, welch kräftig Hand da die Zügel führte. Der Graf, in der Blüthe seiner Mannesjahre, war eine gewaltige Reckenfigur, mit scharf und grimmig blickenden Augen und einer mächtigen rothen Nase im Gesichte. Rothhaarig dazu, erschien er allen bösen Gewissen wie der leibhaftige Satanas, und wer selbst von den guten Bürgern ihm und seinem Dischingen aus dem Wege gehen konnte, that es mit Angst und Schrecken vor ihm. Denn er nahm sein Amt ernst und trat[WS 1] als ein selbstbewußter Souverain auf; er ging mit seinen Leuten oftmals selber auf die Streife und in die Diebs- und Hehlernester, packte auch selbst mit furchtbarer Faust, wen er seiner Gewalt verfallen glaubte. Er fragte wenig danach, ob er auf dem Gebiete einer fremden Herrschaft sein Amt verrichtete oder verrichten ließ. Wie viel Aergerniß darüber auch anfänglich entstand, bald ließen die verschiedenen fremden Justizämter ihn ungestört handeln, weil er in der That gut aufzuräumen verstand; ja, schließlich begünstigten sie seine Unternehmungen, da er die Gefangenen und Verurtheilten auf seine Kosten unterhielt. Seine Leidenschaft, sich zu einer Geißel des Räuberwesens im Lande zu machen, es bis in die geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen, ermattete nicht, wie viel er auch an Jahren zunahm. Er wurde sechszig, er wurde siebenzig Jahre alt und hauste von seiner Zwingburg aus noch immer in der alten Weise fort. Er hatte sich damit zu einem besondern Justizherrn in Oberschwaben gemacht, den man allgemein nur den „Malefizschenk“ nannte.

Weit in die Lande gingen seine Hatschiere, um Verdächtige und Verfolgte aufzugreifen und gebunden nach Dischingen zu bringen. Dort ließ der Graf sie durch seinen Justitiar inquiriren, processiren und, nachdem das gefällte Urtheil von der heimathlichen Gerichtsbehörde des Angeklagten oder in Todesverdicten noch von der Facultät in Tübingen bestätigt worden war, dasselbe vollstrecken, und daß er dabei gelegentlich in eigener Cabinetsjustiz auch einen Strang mehr verbrauchte, fiel ihm um des allgemeinen Zweckes willen nicht auf das Gewissen. In seiner Weise suchte er andererseits wieder den gnädigen Herrn und Menschenfreund an seinen Opfern zur Geltung zu bringen. Sein Zuchthaus, in Hufeisenform bombenfest gebaut, war immer von etwa hundert Sträflingen und zwanzig Delinquenten besetzt; dabei hatte er noch vier Blockhäuser aufführen lassen, in denen er die Kranken unterbrachte oder seine Besserungsversuche mit Ketten und allerhand Pein an den Verstockten anstellte. Ihr Herr und Meister wollte er in Allem sein. Er ließ die Kinder von Verurtheilten und Hingerichteten auf seine Kosten erziehen; er gab oder verschaffte wieder entlassenen Sträflingen oder Begnadigten dienstliche Stellungen. Aber er verkaufte auch zuweilen einige von seinen Sclaven in Dischingen. Wenn nämlich die Dörfer im Vorderösterreichischen auf Befehl sofort je ein oder zwei Rekruten zu stellen hatten und es nicht an ihrer eigenen männlichen Bevölkerung verbrechen wollten oder konnten, so schickten sie wohl zum „Malefizschenk“ und kauften sich für hundert Gulden zwei Spitzbuben, die sie dann dem kaiserlich königlichen Oberamte überantworteten. „In der Regel,“ meint der Chronist, dem wir dies entnehmen, „machte der Graf ein gutes Geschäft, denn nach etlichen Wochen waren diese beim Militär durchgebrannt und saßen wieder gemüthlich in den Keuchen zu Dischingen.“

Die gewandtesten und gefürchtetsten Häscher des „Malefizschenk“ waren zwei pardonnirte Gauner der verschmitztesten Sorte, der Lauterbacher und das Bayreutherle, nach dem Orte ihrer Herkunft genannt. Sie bildeten seine Vertrauten, seine Camarilla, Minister und Voigte zugleich. Seine Köchin war die „schöne Victor“, einst eine berüchtigte Diebin, die in Dischingen auch noch anders als mit dem Kochlöffel das Regiment führte, wohl eine Art Pompadour, wie ja deren damals so mancher deutsche Ludwig der Fünfzehnte in Miniatur zu halten pflegte. „Seine Atmosphäre,“ heißt es von ihm in Pflug's „Erinnerungen eines Schwaben“, welche auch viel actenmäßiges Material über die Geschichte dieses merkwürdigen deutschen Grafen bieten, „war voll Blut und Brandgeruch; seine Wohnung, nachdem sie ihm den rothen Hahn auf sein gräfliches Schloß gesteckt, das Zuchthaus selbst. Auf der Höhe, wo sein Blick am grünen Donauthale sich erfrischen konnte, wo durch den Schleier weiter Ferne die Silberlinie der Gebirge zitterte, auf der Höhe, über Allem erhaben, weit sichtbar als sein grausenvolles Herrscherzeichen, stand das Hochgericht; Kettengeklirr war seine Musik, und seine Feste wurden mit Galgen, Schwert und Rad gefeiert. Wenn sein Hof versammelt war, so verhandelte er blutige Sentenzen; mit Blut und Eisen waren seine Correspondenzen geschrieben; die Diplome, die er ausfertigte, betrafen Scharfrichter, welche das Meisterstücklein gemacht hatten, und sein Verleger war ‚Herr Johann Daniel Wagner, Buchdrucker zu Ulm, neben der Hochschule‘, der sich stets submissest um den Druck der Todesurtheile bemühte.“

An solchen fehlte es in Dischingen während seiner langjährigen Blutglorie niemals. Aus einer nur neun Jahre umfassenden, vielleicht noch unvollständigen Henkersrechnung ergiebt sich, daß daselbst während dieser Zeit allein dreiundfünfzig Personen gehenkt und geköpft wurden, ohne diejenigen, welche mit Brandmarken, Prangerstellen und dergleichen davonkamen. Ein ganz besonderes Vergnügen des „Malefizschenk“ war es, als er seine Spitzbuben noch flott henken und köpfen lassen konnte, während ringsum das josephinische Gesetz, welches die Todesstrafe abgeschafft, den Scharfrichtern alle Gelegenheit benommen hatte, ihr „Meisterstücklein“ zu machen. Sie konnten es derzeit nur noch in Dischingen. Gemeinhin kamen dort die Executionen gleich im Großen vor; sechs, acht, zehn wurden an einem einzigen Tage „von Rechtswegen“ aus dem Leben geschafft und darüber gestaltete sich in Dischingen immer ein „wahres Volksfest“. „Am 14. Juli 1803 z. B.,“ erzählt ein Augenzeuge, „wurden daselbst zwölf Verurtheilte, darunter sieben Weiber, auf dem Pranger ausgestellt, die meistentheils den Hohn der umstehenden

Anmerkungen (Wikisource)

  1. ergänzt
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_385.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)