Seite:Die Gartenlaube (1877) 390.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

nachzieht, um mit ihr jegliche Art von Geschäften zu machen. Die einen sind Lieferanten von Lebensmitteln und Pferdefutter, die andern Geldwechsler oder Marketender. Die Tscherkessen, um dies zum Schlusse nicht unerwähnt zu lassen, wirthschafteten übrigens in Bukarest in einer Weise, die ihnen die öffentliche Sympathie wahrlich nicht gewinnen konnte.




Aus gährender Zeit.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


Im Hause des Commerzienrathes gab es eine unruhige Nacht, wie in allen andern Häusern. Aber am nächsten Morgen war der Commerzienrath früh zur gewohnten Zeit angekleidet, nur fühlte er, daß sein Kopf wüst war und daß ihm die Erinnerungen, der Lärm der Nacht wie ein Traum vorkam. Er hörte den Kutscher vor seinem Arbeitszimmer, trat hinaus und hieß ihn in die Fabrik hinüber gehen, um zu sehen, wie es mit den Arbeitern stände. Johannes kehrte mit erstauntem Gesichte zurück. „Sie wären versammelt, sagt Trimpop, der Heizer.“

Ein Blitz der Genugthuung erleuchtete das Gesicht des Commerzienrathes. „Sieht Er, Johannes,“ sprach er würdevoll zu dem Kutscher, „das ist die Macht der Wahrheit und des Gotteswortes. Mitten in einer gottlosen Revolution wartet meiner eine treue Schaar.“

„Das soll wohl sein, Herr Commerzienrath,“ sagte der Kutscher und nahm ein paar Kleidungsstücke vom Nagel.

Der Fabrikant ergriff das dicke, schwarzgebundene Buch, welches ihn immer auf seinem Morgengange begleitete, und ging langsam blätternd und lesend hinüber. Er erwiderte kopfnickend und ohne aufzusehen den Gruß der Leute, welche da in dem heute etwas frostig kühlen Raume versammelt waren; er gewahrte nichts von dem heimlichen Lachen, welches über die Gesichter lief. Erst als er auf dem Katheder stand, blickte er empor, und in seinem Antlitz malte sich einiges Erstaunen, als er die Frauenköpfe im Hintergrunde vermißte. Sein Auge flog rasch über die Physiognomien der Männer und blieb mit Befremden auf verschiedenen, ihm völlig unbekannten Gesichtern haften; plötzlich erblaßte er: sein Blick fiel auf Züge, welche Niemand Anderem zugehörten, als dem Fabrikleiter Bandmüller. In völliger Verwirrung begann er zu lesen, aber stockend, ohne das sonstige gewichtige Pathos; er wußte kaum, was er las.

„Ich traue auf den Herrn. Wie sagt Ihr denn zu meiner Seele, sie soll fliegen wie ein Vogel auf Eure Berge? Denn siehe, die Gottlosen spannen den Bogen und legen ihre Pfeile auf die Sehnen, damit heimlich zu schießen die Frommen. Denn sie reißen den Grund um; was soll der Gerechte ausrichten? Der Herr ist in seinem heiligen Tempel; des Herrn Stuhl ist im Himmel; seine Augen stehen darauf; seine Augenlider prüfen die Menschenkinder. Der Herr prüfet den Gerechten; seine Seele hasset den Gottlosen und die gerne freveln. Er wird regnen lassen über die Gottlosen Blitz, Feuer und Schwefel und wird ihnen ein Wetter zum Lohne geben – –“

Ein brausendes Gelächter unterbrach ihn, und das Buch fiel aus seinen zitternden Händen. „Zur Hülfe!“ schrie er heiser, „man will mich ermorden.“ Er sank einen Moment auf den hinter ihm stehenden Stuhl zurück und sprang dann plötzlich wieder empor, um mit einem Satz die Thür zu gewinnen, aber ein halbes Dutzend der Anwesenden fing ihn auf oder stemmte sich gegen die Thür.

„Feiglinge,“ rief der entsetzte alte Herr mit erstickter Stimme, „laßt mich hinaus!“

„Geht nicht, Commerzienrath! Jetzt ist die Reihe an uns. – Abrechnen – wir müssen Abrechnung halten. – Blutsauger! Arbeiteraussauger – wir wollen wiederhaben, was Du den Arbeitern abgepreßt hast. –“ Zwanzig Stimmen schrieen durcheinander; drohende, zornige, giftig lachende Gesichter tauchten in raschem Wechsel vor seinen stieren Augen aus.

Die Haifische!

Plötzlich machte sich im Rücken der Gesellschaft eine heftige Bewegung bemerkbar. „Loslassen,“ rief eine tiefe Baßstimme, „unsern Herrn Commerzienrath loslassen, oder Gottes Donner –“

Die Stimme erstickte in einer Kraftanstrengung, und in einem Wirbel von Armen wurde die mächtige Gestalt des langen Abraham Fenner bemerklich, welcher mit glühend rothem Gesichte rechts und links um sich schlug. Er schien nicht ganz ohne Gesinnungsgenossen zu sein, denn er brüllte kurz nachher: „Vorwärts, Jungens! Dachte mir bald, daß es hier nicht auf Arbeit, sondern auf einen Lumpenstreich abgesehen war. Wer ein ehrlicher Kerl ist, läßt seinen Brodherrn nicht im Stich und wenn es blaue Beulen und Messerstiche regnet.“

Aus dem wirren Knäuel drängte sich geschmeidig der Fabrikleiter Bandmüller hervor und gelangte zur Thür. „Zurück!“ sagte er halblaut zu den Nächststehenden, „ich will das Uebrige schon besorgen, wenn Ihr den Alten festhaltet. Gebt mir die Thür frei!“ Es gelang ihm nach einigen vergeblichen Anstrengungen, soweit zu öffnen, daß er hindurchschlüpfen konnte. Er stürzte durch die schweigenden Säle, welche das erste Morgenlicht erhellte, und über den Hof. Im Hausflure rannte er fast den Kutscher über den Haufen. „Ich muß rasch etwas holen,“ rief er diesem von der Treppe her zu – „daß ich's nicht vergesse, Johannes, Sie sollen auf der Stelle den Amdahler Fuhrmann holen; er möchte mit dem Karren kommen, aber das schwerste Pferd einspannen. – Muß mir der Kukuk auch den gerade in den Weg führen!“ murmelte er zwischen den Zähnen, als er bereits über die Teppiche der Gemächer flog. Im Arbeitszimmer des Commerzienrathes zog er ein Eisen aus der Tasche und hob mit sicherer Hand die Klappe des Schrankes aus dem Schlosse, in welchem die Hornemann'schen Wechsel gelagert hatten und der verhängnißvolle Rest noch immer lagerte. Er brach ein paar Schubladen auf und raffte zusammen, was er darin fand, Gold, Papiere – er wußte nach flüchtigem Hinblicke, daß sie ein Vermögen darstellten. Als er die Taschen gefüllt hatte, funkelten seine Augen von dämonischer Lust, und er fuhr sich mit beiden Händen durch den grau-röthlichen Haarwust. „Nun fort!“ stieß er hastig heraus. „Die Hauptsache bleibt, Alles in Sicherheit zu bringen. Ich denke, es reicht ein Weilchen; die Narren drüben mögen selber zusehen, wo jeder von ihnen seine Rechnung findet.“

Im Hausflure stand noch immer der Kutscher Johannes. „He,“ sagte er, als Bandmüller die Treppe herabgestolpert kam, „sind Sie denn wieder in Stellung bei uns?“

„Natürlich,“ erwiderte der Vorbeistreichende, „seit gestern. Beeilen Sie sich nur, daß Sie zu dem Fuhrmann kommen, sonst giebt es etwas vom Alten!“

„Oho!“ brummte der Kutscher kopfschüttelnd und sah nach der Thür, durch welche Bandmüller bereits verschwunden war; „den Fuhrmann holen ist doch sonst meine Sache nicht!“

Im Hofe warf der einstige Fabrikleiter einen raschen Blick auf das Gitterthor. Es war noch geschlossen. Er kehrte in die Fabrik zurück, verfügte sich aber sofort zu der Eingangsthür für die Arbeiter auf der andern Seite. Deutlich vernahm er einen Knall und ein Durcheinander polternder Männertritte. „Teufel, sie kommen schon; ich bin gar nicht neugierig zu wissen, was sich oben zugetragen hat.“ Er glitt eilig durch den Ausgang auf die schmale Gasse, welche zum Flusse führte, und nahm einen Schlüssel aus der Tasche, mit dem er hinter sich zuschloß. Dann bewegte er sich in mäßig beschleunigtem Tempo auf die Kaiserstraße zu. Hier kam ihm zu seinem größten Verdrusse ein Trupp Leute entgegen. Er drehte das Gesicht mit plötzlicher Wendung auf die Seite und blieb einen Moment stehen, eine häßliche Verwünschung vor sich hin murmelnd, um sie passiren zu lassen, aber man erkannte ihn und kam mit lachendem Zurufe herüber. Man machte sich einen Scherz daraus, ihn zum Mitgehen zu zwingen. Jede Ausflucht, jeder Protest war vergeblich; Bandmüller fügte sich endlich mit innerem Grimme in das Unvermeidliche und schmeichelte sich mit der Hoffnung, unterwegs Gelegenheit zu finden, um unversehens den Lästigen zu entkommen. Uebrigens trugen die Leute sämmtlich Gewehre, welche, wie es schien, neu waren.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_390.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2019)