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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

in gesteigerte Thätigkeit und giebt dem Publicum Gelegenheit, aus dem Schatz der von ihm erlebten Ereignisse Vergleiche mit denen auf dem russisch-türkischen Kriegsschauplatz anzustellen.

Wir sind verwöhnt durch die Riesenschritte in der Kriegsführung seit 1859. Was vordem in Jahren geschah, sahen wir seitdem in ebensoviel Monaten, ja Tagen vollbringen. Noch der erste Dänenkrieg von 1848 zog sich drei Jahre hin und ward im Januar 1851 in einer Weise geendet, daß die deutsche Geschichte noch heute darüber erröthet. In großartigem Style begann der Krimkrieg. Zwei Großmächte und eine Kleinmacht (Sardinien) kamen dem „kranken Mann“ gegen Rußland zu Hülfe; die Tage von Troja schienen sich zu wiederholen; so setzte der ganze Kriegszug sich vor einer Stadt fest. Ungeheure Opfer an Gut und Blut kostete diese Belagerung, die allerdings nicht zehn Jahre, aber trotz der modernen Zerstörungsmittel doch allein elf Monate in Anspruch nahm, und noch ein halb Jahr lang wehrte sich Rußland, bis es zu einem demüthigenden Frieden genöthigt werden konnte.

Dagegen war der französisch-österreichische Krieg von 1859 zwischen den zwei damals stärksten Armeen Europas in nicht ganz drei Monaten abgethan. Der Kampf Preußens und Italiens gegen Oesterreich und den deutschen Bund, 1866, war in sieben Tagen entschieden und in sieben Wochen vollendet, daher der französisch-chauvinistische Zeterschrei der „Revanche für Sadowa“. Im letzten französisch-deutschen Kriege geschah die erste Entschiedung (Sedan) schon vier Wochen nach dem ersten

Das Schwarze Meer und der Kriegsschauplatz südlich vom Kaukasus

Kanonenschuß; nach vier Monaten und neun Tagen ergab sich Paris, und nach sieben Monaten, vom Tage der Kriegserklärung an, feierten wir Sieg und Frieden.

Der jetzige russisch-türkische Krieg, von beiden Seiten längst vorausgesehen und vorbereitet, dauert heute, Ende Mai, schon über fünf Wochen. Schon jetzt läßt sich erkennen, daß an eine so rasche Kriegsführung, wie sie den drei genannten Feldzügen gelungen ist, hier nicht gedacht werden kann. Auch wenn beide Kriegsherren, der Czar und der Sultan, ihre Soldaten nicht aus so weiten Entfernungen ihrer über mehrere Erdtheile sich ausbreitenden Reiche herbeizuziehen hätten, würde der Kampfboden selbst es sein, welcher dem Vordringen von beiden Seiten große Hindernisse entgegenstellt. Anders scheint sich dies allerdings auf dem asiatischen Festlande zu gestalten und dort dem Vormarsche der Russen die Natur nicht zuwider zu sein. Desto schlimmer droht aber dort der Feind im Innern und im Rücken, der aufgestachelte Fanatismus der von Rußland besiegten und unterjochten Völker muhamedanischen Glaubens, zu werden. An den Küsten des Schwarzen Meeres wiederholt sich das Kriegsspiel, das einst Deutsche und Dänen aufführten und das König Friedrich Wilhelm der Vierte als einen „Kampf zwischen Hund und Fisch“ bezeichnete. Die flottenlosen Russen müssen sich ihre Küstenorte zusammenschießen lassen, ohne daß ihre Landbatterien den Seeschiffen der Türken bis jetzt Schaden gethan hätten. Die russische Küstenfestung Suchum-Kaleh ist bereits ein Opfer dieser Küstenschutzlosigkeit geworden.

Damit der Leser mit unserem Blatte in der Hand die See- und Landzüge der Türken und Russen an den Ostküsten des Schwarzen Meeres und auf dem Festland südlich vom Kaukasus verfolgen könne, geben wir dieser Nummer eine Karte jenes Kriegsschauplatzes bei. Dieselbe umfaßt das ganze Schwarze Meer, da nicht abzusehen ist, wie weit die Russen zu Land in Kleinasien auch an den Küsten vordringen und wie weit die Türken ihre Küstenverheerungen im Norden ausdehnen werden. Bis jetzt sind die am häufigsten genannten Namen Suchum Kaleh, Poti und Batum an den Küsten und Tiflis, Eriwan, Kars, Ardahan, Bajasid und Erzerum (Ersirum) auf dem Festland.

Mit demselben Erfolg, wie auf dem Schwarzen Meer, hatte die starke Dampfflotte der Türken auf der Donau operiert, und sie schien einen Uebergang der Russen über den mächtigen Strom unmöglich machen zu können, bis derselben Zweierlei entgegengestellt wurde: schweres Geschütz in Küstenbatterien und in der Donau selbst die Höllenmaschinen unter dem Wasser, die Torpedos.

Beiden ist es gelungen, ihre ersten Triumphe zu feiern, und da beide Ereignisse als Thatsachen unumstößlich festgestellt sind, so wollen wir sie nach den zuverlässigen Mittheilungen unserer Berichterstatter erzählen.

Braila, das von den türkischen Monitors am meisten zu leiden gehabt, ist von den Russen dafür mit einem stattlichen Kranz von Batterien geschmückt worden. Da aber, schon nach Vater Homer, „das Eisen den Mann anzieht“, so fühlten auch die türkischen Dampfer sich von diesem Feindesschmuck angelockt und beschauten sich ihn oft in anständiger Entfernung. Am 11. Mai fuhren wieder mehrere derselben in dem „Matschinacanal“ genannten Donauarm auf und ab und kamen den Batterien Nr. 1 und 2 an der Südseite der Stadt so nahe, daß eine Kanonade der Russen auf dieselben begonnen werden konnte. Von den beiden Batterien aus bemerkt man in Nr. 2 nur die Mündung des Canals, während Nr. 1 in denselben hineinsehen läßt; von beiden begann etwa um 2 Uhr das Feuern. Von den Schiffen war das größere die Panzercorvette „Lutfi Dschelil“ (d. i. Freude der Welt) mit fünf Vierundzwanzigpfündern, Capitain Nekib Bey, zweihundert Mann Besatzung; während diese das Feuer aushielt, ohne einen Schuß zu erwidern, zog ihr kleinerer Begleiter sich aus der Feuerlinie zurück. Die Russen ließen sich durch das beharrliche Schweigen des Schiffes nicht irre machen, sondern donnerten aus den genannten Batterien darauf los aus Vierundzwanzigpfündern, Haubitzen und Mörsern, sodaß die Geschosse rings um dasselbe einschlugen, augenscheinlich ohne den Dampfer selber zu treffen. Ein drittes, den Matschincanal daher kommendes Kriegsschiff, das von dem vorsichtigen kleineren ebenfalls eiligst als Schutzwand benutzt wurde, kam auch dem Feuer nicht zu nahe, selbst nachdem dem „Lutfi Dschelil“ wirklich ein russischer Gruß durch die Takelage gefahren war. Um diese Zeit verließ dasselbe Admiral Bujuk Pascha in einer weißen Barke und eilte auf dem Canal wahrscheinlich der Festung Matschin zu, die wir im Hintergrunde unsers Bildes, von dem zweiköpfigen Tabadaghberge überragt, erblicken. Das Schiff blieb schweigsam, auch als die russischen Batterien jetzt, wenn auch etwas lässiger, fortschossen.

Plötzlich steigen aus dem Lufti-Dschelil Ballen von Rauch und Dampf, sich mächtig fortschiebend, auf, dann bricht eines jener Feuerwerke los, die das Herz erschüttern, eine Flammensäule, zerfallend in Flammengarben,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_393.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)