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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


ihre entzündende Kraft besaßen. Auf der anderen Seite stand sein Weib, die Geister seines häuslichen Herdes, aber auch die Fratzen dessen, was das letzte halbe Jahr seines Lebens brandmarkte; eine gefährliche Hülfe für die arme kleine Toni.

Sie kämpften die dunkle Nacht hindurch, und sie kämpften noch immer, als der Doctor Urban die Chaussee hinunter ging, um nach Bandmüller zu forschen, und wie er vor den Männern stand, welche, die Waffen in der Hand, mit den trotzigen Gesichtern verächtlich auf den Abgefallenen blickten, da wäre die Entscheidung erfolgt, wenn er den Muth gefunden hätte, Karl Hornemann unter die Augen zu treten, aber er zögerte und zögerte, und als er sich langsam zur Rückkehr umgewandt hatte, da war der rechte Augenblick vorüber geflogen, und der Streit begann auf’s Neue.

Er ging an seiner Wohnung vorüber, dicht am Hause her, und beobachtete in der Nähe der Kaiserbrücke den Barricadenbau – lange Zeit. Hinter ihm langten schnellen Schrittes die Kämpfer an, welche draußen die Feuerprobe bestanden. „Die Hälfte von der Barricade her, die andere Hälfte von der entgegengesetzten Seite!“ hörte er sagen. „Ich werde die Führung der ersteren übernehmen – und wer wird die zweite führen?“

„Ich!“ sagte Urban plötzlich und wandte sich um. Vor ihm stand Karl Hornemann, erstaunt und kühlen Blickes. „Ja, ich, Karl,“ wiederholte der Doctor. „Ich will meine Sünden büßen.“

„Und wenn Du uns statt dessen noch einmal verräthst?“ fragte der Pascha.

Urban kreuzte die Arme. „Du hast Recht, Karl. Ich werde als Gemeiner fechten und, wenn es dem Himmel gefällt, sterben. Wer einmal im Zuchthause war, findet schwer Arbeit.“

„Heinrich, sieh’ mir in die Augen!“ sprach der Pascha wärmer und trat nahe zu dem ehemaligen Freunde heran.

„Ich habe böse Träume gehabt,“ erwiderte dieser, „vielleicht sehen sie noch etwas übernächtig davon aus.“ Aber es mußte doch etwas in den Augen geschrieben stehen, das Karl Hornemann das Herz rührte, – und als sich die Beiden umarmten, schwenkte ihre Umgebung die Waffen in der Luft und schrie Beifall. Jemand überreichte dem Neugewonnenen einen alten Reitersäbel.

Durch die Nerven Urban’s fluthete wieder brennend jener heilige Enthusiasmus, den er lange nicht empfunden. Er führte seine Truppen am Canal hin und weiter, bis sie sich in weitem Bogen auf’s Neue der Kaiserstraße näherten. Endlich machte er Halt und ließ recognosciren, und als der Erdboden vom ersten Kanonenschusse bebte und die benachbarten Fensterscheiben so eigen klirrten und surrten, da brach die Schaar auf. Die friedlichen Vedetten flüchteten; Hörnersignale ertönten auf der Kaiserstraße.

Die Leute Karl Hornemann’s kletterten über die Barricade und zwangen von drüben das Militär, sich zu theilen; in der Mitte standen die Geschütze, zum Schweigen verurtheilt. Auf beiden Seiten tobte das Handgemenge; Gewehrfeuer und Carabinerschüsse knallten. An den Scheiben hie und da ein blasses, ängstlich-neugieriges Zuschauergesicht.

Das Militär wich anfangs zurück; Reiter, und Pferde stürzten, und ein Paar der letzteren jagten scheu mit leerem Sattel, Verwirrung hüben wie drüben anrichtend, in dem Gewühle umher. Urban hieb jenen Officier vom Rosse, der draußen den Parlamentär gemacht hatte; er verschwand mit einem trotzigen Fluche unter den Hufen. Aber dann riß ein mächtiger Anprall die Ordnung der Revolutionäre auseinander; vereinzelt stak Alles zwischen den Pferden, und die blitzenden Klingen sausten Verheerung nieder. Ein schmaler Durchgang, der kaum eine Gasse zu nennen war, nahm Alles auf, was entkam. Urban war darunter, leicht am Kopfe verwundet. „Zurück zur Barricade!“ sagte er. „Wir können hier nichts mehr entscheiden.“ Er keuchte, aber seine Augen glänzten in freudigem Feuer. Sie erreichten in der Nähe des Hornemann’schen Hauses den Canal und sahen die Gegend beim Ausgange der Kaiserstraße in Pulverdampf gehüllt. Es schien, daß aus den Häusern geschossen wurde. „Eilen wir! Mir ahnt nicht viel Gutes.“

Hinter der Barricade lagen etwa zwanzig Menschen, ladend und feuernd. „Gott sei Dank!“ sagte eine Stimme, als Urban und der Rest seiner Begleiter, soweit sich dieselben nicht unterwegs verloren hatten, heraufgeklettert kam. „Es geht uns schlimm genug, und wir können Hülfe brauchen.“

„Wo ist Karl Hornemann?“ fragte der Doctor, welcher die Stimme des Stadtbaumeisters erkannte.

„Das weiß der Himmel,“ lautete die Antwort. „Was nicht gefallen ist oder Pardon genommen hat, steckt in den Häusern. Ah, da kommen sie – schießt – schießt!“

Urban blickte über die Barricaden und sah die jenseitige Böschung sich mit aufwärts kletternden Uniformen bedecken, und wie Manche auch unterwegs liegen blieben, die Meisten langten auf der Höhe an. Funkelnde Lanzen und flatternde Fähnlein – ein Herüber und Hinüber – Geschrei und Flintenschüsse; dann flüchtende Haufen, beide Seiten des Trottoirs am Canal hin und die Kaiserbrücke von ihnen bedeckt. Urban hatte eine Lanze gepackt und rang mit ihrem Träger um den Besitz, bis er stolpernd das Gleichgewicht verlor und hinunter rollte. Er raffte sich auf, und ein flüchtiger Blick belehrte ihn, daß es Wahnsinn gewesen wäre, zu bleiben. Er stürzte links das Canalufer entlang.

Zwanzig Schritte vor ihm ertönte aus der Mündung einer Straße Hufschlag und das Schnauben von Pferden. „Verloren!“ sagte er zornig. „Sie fangen mich ein.“ Aber es kam ihm ein rettender Einfall: er glitt die Ufermauer hinab in den Canal und drückte sich, halben Leibes im Wasser stehend, hart an die Wandung. Sein Herz pochte heftig; er hatte Mühe, geräuschlos zu athmen. Die Soldaten kamen auf das Trottoir geritten; er vernahm dicht über sich ihre Reden und sah Pferdeköpfe vor- und zurückschnellen. Dann erscholl ein Signal – die Gefahr entfernte sich.

Die Höhe der Mauer nöthigte ihn, in dem kalten Wasser abwärts zu waten, um eine der Steintreppen zu erreichen, welche in abgemessenen Entfernungen vom Trottoir auf das Wasser führten. Er war barhäuptig; sein Hut lag auf der Kaiserstraße, und er dankte demselben, daß die Säbelwunde auf seinem Scheitel so unbedeutend ausgefallen war; gleichwohl begann sie jetzt zu schmerzen. Das Wasser rieselte und gurgelte leise um ihn; er sah die riesigen, kahlen Aeste eines Baumes über die halbe Breite des Canals sich strecken und erblickte in dessen Bereiche Treppenstufen. Als er nach vorsichtiger Umschau über das Niveau der Straße tauchte, wollte ein neugieriges Mädchen im gegenüberliegenden Hause erschreckt das Fenster schließen, zu dem sie hinausgelugt hatte, dann aber schien ihr das Mitleidwürdige in seiner Erscheinung aufzufallen, und sie gab den verständlichen Gesten des Einlaßbegehrenden nach.

„Ist der Herr des Hauses daheim?“

„Der Herr ist verreist, nur die Frau ist zu Hause.“

„Melden Sie ihr einen verwundeten Flüchtling, der ihre Hülfe erbittet.“

Ein altes Weib steckte den Kopf aus einer Thür und sah ihn mit blöden Augen einen Moment an, um rasch wieder zu verschwinden. Langsam folgte er dem voraus eilenden Mädchen treppauf, und in seinem schmerzenden Gehirn arbeitete eine Erinnerung. Der Baum vor dem Hause – war das nicht die Wohnung –

„Sie möchten eintreten –“

Das Mädchen führte ihn in elegante Räume und warf verstohlene Blicke auf seine Beinkleider, von welchen das Canalwasser auf die Teppiche rieselte. Wohlige Wärme umgab ihn; eine Portière schlug auseinander – eine blühende, stolze Frauengestalt verließ das Fenster und winkte dem Mädchen mit plötzlicher Handbewegung, sich zu entfernen –

„Milli!“ stieß er leidenschaftlich hervor, indem er sich vor ihr niederwarf. „Ein guter Geist hat mich hierhergeführt, nicht mein Wille. Vergieb mir, was ich an Dir gesündigt habe aus trotziger Liebe! Das ist die zweite Schuld, die ich bezahle – die Quittung für die erste trage ich hier, und sie ist mit Blut geschrieben –“ Er zeigte auf die frische Wunde.

Sie neigte ihr glühendes Gesicht über ihn. „Stehen Sie auf! Um Gottes willen, wenn Jemand Sie in dieser Stellung sähe! Mich dünkt, ich höre die Thür gehen.“

„Nein, ich will beichten, knieend beichten, auch was ich an Deinem Manne verbrochen, und dann hilf mir oder weise mich aus Deinem Hause, wie Du willst –“

Leise schlich zu derselben Zeit ein Mann über den dicken Teppich des Nebenzimmers; er drängte sich vorsichtig durch die Thür auf den Corridor hinaus und stieg die Treppe hinab. Es war Zehren, der seine Gattin hatte überraschen wollen. Das Mädchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_408.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)