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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Herr von Z. sich erbot, mir als Cicerone zu dienen, und gar von Gastfreundschaft in seinem Quartiere sprach, war bei mir von der beabsichtigten Concentration nach rückwärts vorläufig keine Rede mehr. Ein rothausgeschlagener Wagen mit zwei guten Pferden, wie man sie überall in der Walachei findet, selbst in den entlegensten und kleinsten Ortschaften, nahm uns auf, und wir fuhren mitten in strömendem Regen in das Quartier meines Freundes, welches am nördlichen Ausgange der Stadt lag.

Ich dachte, daß das Geknatter in dieser Gegend kein Ende nehme – ich war aber eine Stunde im Quartier meines Gastgebers und hatte noch keinen einzigen Schuß gehört. Herr von Z. bemerkte, daß, seitdem der famose Monitor in die Luft geflogen, die Türken von ihrer in den ersten Tagen documentirten Bombardirungswuth vollständig gelassen hatten, dies zur nicht geringen Befriedigung der Bewohner der Stadt, die sich einbildeten, man würde ihre Behausungen in einen Schutthaufen verwandeln, und die nun mit dem heilen Schrecken und einigen durchlöcherten Mauern davongekommen sind.

„Aber mich wundert,“ bemerkte Herr von Z., „daß unsere Leute heute so beharrlich schweigen; sie pflegen sonst die Nachbarn drüben zu begrüßen – richtig, man feiert ja heute den Namenstag des Platzcommandanten und deshalb wird er wohl den Artilleristen, da nichts zu besorgen ist, Ruhe gegeben haben.“

Das Fest wurde in dem größten Gasthofe, „Hôtel St. Petersbourg“, gefeiert, und wir fuhren dorthin.

In der Restauration knallten die Champagnerstöpsel; ein Toast folgte auf den andern; mit slavischer Ueberschwenglichkeit umarmten sich die Cameraden und küßten einander, daß es schnalzte. Eine Regimentscapelle trug das Ihrige zur Erhöhung der festlichen Stimmung bei, und draußen behingen flinke Artilleristen den Eingang des Festsaales mit Laternen. Inmitten der allgemeinen Festlichkeit, die drinnen herrschte, war mir der Ernst mehrerer junger Officiere aufgefallen, von denen zwei die Uniform des Ingenieurcorps, zwei jene der Artillerie trugen. Von Z. hatte mit denselben einige Worte gewechselt und raunte mir in’s Ohr: „Es bereitet sich für heute Nacht etwas vor; was es ist, kann ich Ihnen nicht sagen, aber es giebt für Sie etwas zu sehen.“

Da von Z. Nachtdienst hatte, verließ er mich bald und wiederholte, daß sein Diener Befehl habe, auf mich zu warten. Ehe er wegging, stellte er mich jedoch einigen Officieren, neben welchen wir saßen, vor. Das Gespräch wurde durch die Dazwischenkunft eines rumänischen Officiers unterbrochen. Die Herren plauderten deutsch – wahrscheinlich in der Meinung, daß die Sprache für mich eine unverständliche wäre. „Nun?“ fragte der Russe, „waren Sie drüben?“

„Den ganzen Nachmittag,“ antwortete der Rumäne, der offenbar – das merkte ich an dem Accente – in Wien studirt haben mußte. „Ich war wie gewöhnlich als Dattelnhändler mit meiner Ladung Früchte nach Matschin gekommen – und was der Zufall will! Ein Matrose ladet mich ein, mit ihm auf das vor der Canalbiegung ankernde Schiff zu kommen, weil der Capitain ein großer Dattelnfreund wäre und mir gewiß meine Waare gut abkaufen würde. Zuerst glaubte ich mich entdeckt und besorgte, in eine Falle zu gehen – aber die Aussicht, das feindliche Terrain mit eigenen Augen zu recognosciren, siegte über alle Bedenken. Ich ging mit der Barkasse an Bord des Monitors.“

„Wirklich?“ unterbrach der Russe.

„Wie ich es Ihnen sage. Der Capitain, ein dickbäuchiger Effendi, hoch in den Vierzig, kaufte mir meine Datteln ab und warf mir dafür diese Münze zu –“ der Rumäne zog einen silbernen Medjise aus der Tasche – „und als ich ihm herausgeben wollte, wies er das Kleingeld zurück, aber begann mich auszufragen. Er hielt mich offenbar nicht für einen Spion, wohl aber für einen jener Landstreicher, die in solchen Zeiten überall herumkommen und durch welche nicht immer Wahres, aber immerhin Etwas zu erfahren ist. Der Effendi bekümmerte sich ganz besonders um die Musik und das festliche Gewoge, welches seit heute früh vom Schiffe aus gehört und beobachtet wurde. Ich erzählte sofort, daß im russischen Lager wegen der Einnahme von Ardahan Schnaps und Bier für die Soldaten, Champagner für die Officiere in Strömen flossen, und daß vor Einbruch der Nacht Alles hier – total betrunken sein werde. Der Effendi wendete sich zu den Officieren, welche aus der Schale sehr eifrig meine Datteln aßen: ‚so können wir wenigstens heute Nacht ruhig schlafen,‘ er gähnte dabei; ‚es wird uns nichts schaden.‘ Er winkte, und die nämliche Barkasse, die mich an Bord geführt hatte, brachte mich nach Matschin, von wo ich auf dem gewohnten Wege an’s andere Ufer gelangte.“

„Und haben Sie sich,“ fragte der Russe, „den Standplatz des Monitors auch ganz genau gemerkt?“

„Ich könnte im Finstern hin treffen.“

„Gut,“ antwortete der andere Officier, „heute Nacht muß es geschehen; ich will nur mit dem Commandanten reden.“

Er ging zum General, der oben an dem Ehrenplatze der Tafel vor einem riesigen Blumenstrauße saß. Er raunte dem Vorgesetzten einige Worte in’s Ohr; der General that sehr verwundert und nickte schließlich zustimmend. Indessen wendete ich mich deutsch an den rumänischen Officier und eröffnete ihm, die Aufrichtigkeit gebiete mir zu erklären, daß ich das soeben Gesprochene verstanden hatte. Der Rumäne war ziemlich bestürzt, und wechselte mit dem russischen Officier einige erregte Worte. Dieser aber beschwichtigte ihn mit ruhiger Bewegung der Hand und äußerte, daß, da die Sache einmal beschlossen sei, es nicht darauf ankomme, ob einer mehr oder weniger davon wüßte. Ja, er lud mich sogar ein, den Vorbereitungen zur „Operation“ beizuwohnen, wenn ich dazu, trotz des rauhen Wetters, einige Lust verspürte. So ging es denn hinaus, durch die ganze bereits stille Stadt, hinaus an das Wasser. Die ausgelassene Freude der Soldaten schien sich in’s Unendliche gesteigert zu haben; die nationalen Gesänge erschallten, und wenn man näher kam, sah man die abenteuerlichen Gestalten sich in raschen Reigen drehen. Die Türken jenseits des Matschinarmes, in der Stadt Matschin, wo man einige Lichter flackern sah, mußten sich in der That beruhigt fühlen. Ein Heerlager, wo man sich amüsirt, kann auf nichts Böses sinnen. Die Donau beschreibt bei Braila eine Biegung um die Stadt, und diese Biegung ist es, die man den Matschincanal zu nennen pflegt. Am Ein- und Ausgange wurden von den Russen starke Batterien errichtet; wir begaben uns zu jener oberhalb der Stadt. Ich konnte nicht umhin, die Stärke des Baues und die Zweckmäßigkeit der schützenden Erdarbeiten zu bewundern. Jede Kanone, die ihren ungeheuren, ehernen Schlund neugierig in die Nacht hinaus steckt, ist da in eine Behausung untergebracht, wo die Kanoniere bequem und sicher manövriren konnten; hinter der Batterie, welche in ihrer Gesammtheit eine Art von Schanze bildete, befindet sich das ziemlich geräumige Blockhaus. Auf dem Schiffe eines der Officiere trat ein Unterofficier der Artillerie aus dem Blockhause; der Officier redete ihn russisch an, und der Mann kehrte nach einer Weile zurück, von etwa zwölf Artilleristen begleitet. Vier davon trugen je zwei zu zwei einen Kübel, der eine blecherne Hülse enthielt. Lautlos setzte sich der kleine Zug in Bewegung, in der Richtung nach der Donau hinunter.

„Ich muß Sie aufmerksam machen,“ bemerkte einer der Ingenieur-Officiere, „daß die Sache eine sehr gefahrvolle ist. Was Sie in den Kübeln sehen, sind Torpedos. Wir werden trachten, das Zeug unter einem der Monitors anzubringen, die da hinten im Schilfe lagern. Wird die Mannschaft an Bord des Ungethüms rechtzeitig alarmirt, so genügen zwei Salven, um uns auf den Grund zu schießen. Auch wenn das Feuerwerk zu früh losgehen sollte, könnten wir mit den Türken zusammen das Bad nehmen.“

„Aber wie gelangen Sie hin?“ fragte ich.

Wir waren an den Rand des Wassers gekommen. Auf der Oberfläche schaukelten sich zwei sehr winzige, zierliche Dampfer, so klein, daß sie auf einem Garten-Bassin hätten schwimmen können, mit einem engen, fadenscheinigen Schlauch, so dünn wie eine Häringssehne. Aus den beiden Schläuchen quoll Dampf. Schweigend nahmen Officiere und Mannschaften, je zur Hälfte, auf einem der kleinen Fahrzeuge Platz.

„Finden Sie Ihren Weg allein zurück?“ fragte mein Officier. „Wenn nicht, so warten Sie auf unsere Rückkehr, was hoffentlich nicht lange dauern wird!“

Ich sah noch, wie der Torpedo aus dem Kübel geholt wurde und wie mit ungeheuerer Vorsicht ein großer Draht hineingefädelt wurde. Darauf hörte man leise im Wasser plätschern, aber die Nacht war so stockfinster, daß man auf zwanzig Schritt die Fahrzeuge nicht mehr sah, die sich entfernt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_411.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)