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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


hatten. Es regnete zwar nicht mehr so stark, aber noch immer war die Luft höchst rauh und unwirthlich. Ich stand etwa zehn Minuten am Ufer, als sich plötzlich die Wolken zertheilten und der Mond, der ja im Kalender als „voll“ angegeben war, schalkhaft herunter lächelte. Der Lichtstrahl zeigte mir genau hinter dem hohen Schilf der Insel das eiserne Ungethüm, den „Monitor“. Es war eine ungeheuere klumpenartige Masse, etwa wie ein Haus, das, in’s Wasser getaucht, mit eisernem Schornstein über die Fluthen emporragt. Majestätische Stille lagerte um das Ungeheuer.

Es wollte mir scheinen, als läge auch in dieser Stille ein gutes Stück echt türkischer Sorglosigkeit. Immer deutlicher zeigten sich die Umrisse der Wasserfestung, aber vergeblich schaute ich mich nach den beiden Booten um. Das einzige Anzeichen, welches auf deren Anwesenheit zu schließen erlaubte, war ein sehr schwacher Qualm, der über dem Schilf aufstieg. Richtig hörte ich das Geplätscher wieder und konnte noch sehen, wie eines der Boote mit aller Raschheit dem Monitor zueilte und hart an dessen eiserner Armatur anlegte. Doch hier wurde der Vorhang herabgelassen; das heißt: der Mond verbarg sich abermals hinter einer Wolke. War nichts mehr zu sehen, so hörte ich vom Winde getragene menschliche Laute; es war mir sogar, als erkenne ich die Stimme des rumänischen Officiers, der sich der Expedition angeschlossen hatte.

Plötzlich dröhnte ein Schuß und darauf ein zweiter. Das Leuchten des zweiten Schusses zeigte mir, wie in einem Traume, die Vision einer türkischen Schildwache, welche, auf der Verdeck-Brücke des Monitors stehend, zielte. Nun krachte es vom rumänischen Ufer. Nach fünf Minuten aber vernahm ich wieder das Geklapper der Räder im Wasser, und der eine der kleinen Dampfer legte an. Einer der Officiere hielt ein Ende des Drahtes, den ich früher an den Torpedo befestigen gesehen hatte, in der Hand.

„Nun?“

„Alles vortrefflich gelungen,“ antwortete ein Officier. „Wir kamen von hinten angefahren, die Anderen von vorn. Wir gelangten unbemerkt bis an den Kiel, und unser Taucher,“ er deutete auf einen durchnäßten Artilleristen, „brachte das ‚Ding‘ am richtigen Fleck an. Die Kerls müssen schlafen wie die Murmelthiere. Sie hatten wirklich nur eine einzige Schildwache. Diese war es, welche das andere Boot mit einem türkischen ‚Wer da?‘ anrief. Der Rumäne, welcher das Türkische ausgezeichnet spricht, stellte sich als ein angetrunkener Officier der Flotille, der etwas verspätet aus Matschin ankam und dem Muselmann an’s Herz legte, seinetwegen keinen Scandal zu machen. Als der Dampfer sich zu entfernen begann, schoß der Türke natürlich darauf los, aber es war zu spät. Hier sind die Uebrigen.“

Und wirklich war auch das zweite Kanonenboot sammt der Bemannung da. Man beglückwünschte sich gegenseitig; es begann wieder stark zu regnen. „Ist’s Zeit?“ fragte der Officier, welcher den Draht in der Hand hielt. Der Ingenieur antwortete mit einem Kopfnicken. Es leuchtete in die Nacht hinein, wie wenn in einem finstern Zimmer Feuerstein geschlagen wird. „Zurück! Zurück!“ hieß es, und Alle eilten die kleine Anhöhe hinauf, wo die Batterie stand. Da gab es einen Knall, so fürchterlich, so erschütternd, daß mir noch jetzt die Ohren davon summen. Nach diesem Knall folgte ein Geprassel, das ungefähr fünf Minuten dauerte, beinahe als wenn man mit einem halben Dutzend Mitrailleusen geschossen hätte. Nach diesem Geprassel noch ein Knall und darauf ein stärkerer – und dann nichts mehr. Aber von der Batterie aus sahen wir die Oberfläche des Wassers in einem weiten Umkreis geröthet, ob geröthet von Feuer oder von Blut – es wäre schwer zu sagen. Aber es war eine unheimliche Röthe, besonders da die hineinplätschernden Regentropfen hundert und hundert von kleinen Lachen bildeten. Auf der röthlichen Oberfläche schwammen einige Trümmer, aber als folgten sie einer unwiderstehlichen magnetartigen Anziehungskraft – sie versanken auf der nämlichen Stelle in die Tiefe des hochangeschwollenen Stromes.

Der Monitor war durch die fürchterliche Wirkung der mit Dynamit gefüllten Torpedos in Fetzen gerissen, so ungefähr wie ein ärgerlicher Brief in den Händen eines jähzornigen Adressaten. Daß die großen Trümmer die gewaltigen Bestandtheile der eisernen Armatur waren, konnte leicht errathen werden, aber die kleinen bunten Stücke, die eine Weile lang herumschwammen? In viele Bruchtheile mögen wohl die achtzig Mann der Besatzung zerrissen worden sein, die, als die Katastrophe sich ereignete, in tiefstem Schlummer lagen. Einer der Officiere gedachte ihrer. „Arme Leute,“ sagte er, „aber der Krieg!“ Ist’s denn aber auch Krieg, diese moderne nächtliche Massenbeförderung von Schlummernden in die Ewigkeit, und weckt da noch der Krieg, wie früher, alle Gedanken persönlichen Muthes wie mit Gefahren verbundenen Trotzes gegen den Feind von Angesicht zu Angesicht? –

In dem Festlocal hatten sich die Reihen wohl ein wenig gelichtet. Die Wenigsten wußten, was für eine Expedition geplant worden, als sie aber in dem Speisesaal den fürchterlichen Krach vernahmen, theilte man ihnen mit, um was es sich handle. Nun wurde frischer Sekt gebracht, um das Gelingen des Coups würdig zu feiern. In Braila selbst war Alles, was von Spießbürgern noch dageblieben ist, aus den Federn gefahren, als der Krach vernommen wurde. Es gab Conventikel auf dem Marktplatz, als die Leute aber hörten, daß wieder eines jener Ungeheuer, die ihnen so immensen Schrecken einjagten, zum Teufel geschickt worden, freuten sie sich unbändig. Am nächsten Tage besah ich mir die Stelle der Katastrophe. Auf den Regen war gewaltige Schwüle gefolgt; die vorübereilenden Wolken senkten sich einzeln hinter den Wasserspiegel, als wollten sie die Seelen der am kühlen Grunde Ruhenden im Paradiese Mahomed’s aufnehmen.

Paul d'Abrest.




Blätter und Blüthen.


Rumänische Volksmiliz. (Mit Abbildung Seite 399.) Mit vielem Geschick und nicht ohne einen glücklichen humoristischen Wurf ist es unserm Artisten auf dem Kriegsschauplatze gelungen, die militärischen Schwächen des kleinen politischen Gerngroß Rumänien in einem charakteristischen Bilde zu verkörpern. Der komische Ernst und Eifer, mit dem die trefflichen Söhne der Donau hier ihre strategischen Studien machen, die possirliche Art, mit der sie die ungewohnten Waffen handhaben, und das bunte Allerlei dieser schnell improvisirten Waffen selbst – alles das giebt ein wirkungsvolles Gesammtbild, welches dem Beschauer die früher nur schüchtern gehegte Hoffnung von der zukünftigen nationalen Größe des Donaufürstenthums nunmehr als untrügliche Gewißheit vor’s Auge rückt. Mit solchen Kämpfern kann das Gängelkind Rußlands den Weg des Ruhms nicht verfehlen.




Berichtigung. In einem Theile der Auflage ist in dem Feuilleton-Artikel der Nr. 22: „Leicht Gepäck“, der Schriftstellername des Dr. Fleckles mit August, statt mit Julius Walter angegeben. Wir bitten dies zu corrigiren.


Kleiner Briefkasten.

Den vielen Einsendern zorniger Missions- und sonstiger Blätter der orthodoxen Richtung sagen wir für diesen Beweis der Sympathie, besonders aber für die freundlichen, oft humoristisch gefärbten Begleitschreiben hiermit unsern wärmsten Dank und bitten uns von der zeitraubenden Abfassung von Separatantworten gütigst dispensiren zu wollen. Wir sehen aus der Fluth so erfreulicher Zustimmungen, daß unsere alten Freunde uns trotz schwarzer und rother Widersacher noch immer getreu zur Seite stehen. Die von einigen Seiten ausgesprochene Aufforderung, wir möchten die auf uns geschleuderten Wurfgeschosse in gleicher Weise erwidern, war doch wohl nicht ernst gemeint? Eine solche Erwiderung wäre übrigens heute, wie wir offen erklären, um so weniger an der Zeit, als wir inzwischen durch authentische Mittheilungen von ehrenwerther Seite belehrt wurden, daß sich in dem vielfach angefeindeten Artikel „Das Wupperthal als Hort der Orthodoxie“ (in Nr. 3 unseres Blattes) mehrere Ungenauigkeiten und unbegründete Behauptungen eingeschlichen. Die Verantwortung für dieselben müssen wir dem Herrn Verfasser überlassen, welcher uns in seiner Zuschrift ausdrücklich erklärt, daß er sich auf verbürgte Thatsachen stütze.

K. M. in Sch. Nein! Ihre Vermuthung ist falsch. Die schöne Illustration in Nr. 20: „In der Künstlerwerkstatt“, ist nach einer Photographie der „Photographischen Gesellschaft in Berlin“, nach dem Oelgemälde des Malers, auf Holz übertragen.

L. P. in B. Etwaige Manuscripte sind, wie bereits mehrmals angezeigt, stets an den Redacteur dieses Blattes, Herrn Ernst Keil, einzusenden.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_412.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)