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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 26.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Im Himmelmoos.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„So – und wo wäre denn da die Schand’?“ rief der Alte und fuhr sich über das schlohweiße Haar.

„Wißt Ihr denn nicht, daß ich mich mit Eurem Sohne, dem Wildel, versprochen hab’? Daß er mein Schatz ist und ich der seinige? Glaubt Ihr, daß man das so glatt ausstreichen kann, wie wenn man mit einem nassen Schwamm über eine Tafel fährt? Daß man das Herz im Leibe umwenden kann, wie wenn man einen Handschuh umkehrt? Aber,“ fuhr sie abbrechend in milderem Tone fort, „für was ereifr’ ich mich denn! Es kann ja doch Euer Ernst nit sein – Ihr wollt mich nur auf die Prob’ stellen; Ihr wollt, ich soll Ja sagen, damit Ihr dann zu Eurem Sohn hingeh’n und sagen könntet: ‚da siehst Du, wie’s mit ihrer Lieb’ und Treu’ beschaffen ist; sie hat nichts von Dir gewollt, als die reiche Bäu’rin zu werden, und wie sie geseh’n hat, daß sie das auch ohne Dich erreichen kann, hat sie sich nicht besonnen und hat zugelangt …’“

„Ach was, das ist lauter dummes Zeug,“ antwortete der Bauer mit eigenthümlichem Lachen. „Der Bub’ muß eben eine Andere heirathen und seh’n, wo er einen Unterstand kriegt, und Du mußt Dir halt die Geschicht’ aus dem Sinne schlagen, und das wird Dich so schwer nicht ankommen, wenn Du nur erst Himmelmooserin bist. Und dann, wer weiß, ob ich nicht ein besseres und ein älteres Recht auf Dich hab’, als der Bub’ und wenn er zehnmal Dein Schatz ist.“

„Ihr ein Recht? Ihr auf mich ein Recht? Und wie wolltet Ihr dazu kommen?“

„Hör’ mir einmal zu und verlier’ die Geduld nit, wenn ich auf eine lange Zeit zurückgehen muß! Ich will Dir eine Geschicht’ erzählen. – Es wird so um die zwanzig Jahr’ herum sein,“ fuhr er dann nach kurzem Besinnen fort, „ja, ja, es ist schon so; zu Laurenzi hat sich’s wieder gejährt – es sind also jetzt volle zwanzig Jahr’, daß meine Bäu’rin gestorben ist. Sie ist ein gutes Weib gewesen – der Herr geb’ ihr eine fröhliche Urständ dafür! – wir haben miteinander gelebt wie die Kinder, und wenn sie bei mir hätt’ bleiben dürfen, wär’ vielleicht Manches anders, als es jetzt geworden ist. Sie ist sanft gewesen wie die gute Stund’, aber wenn’s darauf angekommen ist, hat sie das Herz und die Zung’ auf dem rechten Fleck gehabt. Die hitzige Krankheit hat aber nit darnach gefragt, wie nothwendig sie für das Haus gewesen ist und für mich: sie hat fort gemüßt und hat mich allein zurückgelassen mit dem Buben, der noch keine drei Jahrln alt gewesen ist und noch nit gewußt hat, was eine Mutter ist. Sie haben mir bald von allen Seiten zugered’t, ich sollt’ wieder heirathen, aber es hat mich nichts getrieben; die Judika, die eine gute Freundin gewesen ist von meiner Alten, hat die Wirthschaft besorgt und den Buben dazu; ich habe auch schon meinen guten Vierziger auf dem Rücken gehabt und hab’ gedacht, eine solche, wie meine Erste gewesen, krieg’ ich doch nit wieder, und so hab’ ich mir nichts einreden lassen und bin Wittiber geblieben.“

Er war bisher gebückt, die Hände um die Kniee faltend, dagesessen und hatte, wie mit sich selber sprechend, vor sich hin erzählt; jetzt sah er auf, ob das Mädchen ihm auch zuhöre. Er gewahrte die Spannung, die aus jedem ihrer Züge sprach, und fuhr fort: „Und einmal – da sind gerad’ wieder ein paar Befreundete im Heimgarten da gewesen und haben mir zugered’t, und wie sie fort waren, bin ich draußen hinterm Haus gesessen, wo das kleine Wegel von den Bergen vorübergeht, und hab’ mir über das Gered’ so meine Gedanken gemacht. Da kommt auch noch die Judika mit ihrem Strickstrumpf und dem Buben, setzt sich neben mich auf die Bank und fängt ihre alte Predigt von vorn an – daß ich heirathen sollt’, daß es nicht gleich im Augenblick sein müßt’, daß ich mich aber umsehen und mir einstweilen eine Bäurin aussuchen sollt’. In dem, so kommt auf dem kleinen Bergwegel ein Taufzug daher; die Hebamm’ tragt ein neugebornes Kind zur Tauf’ in die Kirch’ hinunter und die Gevatterin im schönsten Putz geht mit ihr – da schießt mir’s auf einmal durch den Kopf. ‚So will ich Ihr halt den Willen thun, Judika,’ hab’ ich gesagt, hab’ die zwei Frauen gestellt und das Kindel angeschaut, das in dem Taufzeug eingebunden gewesen ist und mit ein paar frischen blauen Augen um einander geschaut hat. ‚Wie soll denn das Kind heißen?’ hab’ ich gefragt, und die Hebamm’ giebt mir zur Antwort – es wär’ ein Mädel und sollt’ nach der Gevatterin Engelberta heißen. ‚Schön,’ sag’ ich, ‚kleine Engelberta,’ und nehm’s bei den linden Händeln, ‚dann gehörst Du mein – Du bist meine Braut und sollst Himmelmooserin werden.’ Die zwei Frauen haben es für einen Spaß genommen und haben gelacht und gemeint, dem Mädchen könnt’ es einmal nicht fehlen, weil es schon auf dem Kirchgang einen Bräutigam bekommen, ich aber hab’ einen alten Schatzthaler, den ich ein paar Tag’ zuvor eingehandelt hab’, aus der Tasche gezogen und hab’ ihn dem Kind in die Bänder gesteckt, damit es ein Zeichen von mir haben soll – einen alten Salzburgerthaler, einen viereckigen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_429.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)