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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Damit war der eigentliche Uebergabeact beendet und die Leipziger, sowie die Directionsmitglieder der Schiffsbaugesellschaft „Vulcan“, welche der Feierlichkeit ebenfalls beigewohnt, folgten nunmehr der freundlichen Einladung des Schiffscommandanten zu einem reich ausgestatteten Mahle in die Capitainscajüte. Mit derselben Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit wurden die Mitglieder der Leipziger Deputation später an Bord der „Medusa“ aufgenommen, deren Besuch auf den Vorschlag der Officiere von der „Leipzig“ beschlossen wurden war, um ein Kriegsschiff in voller Takelage und Ausrüstung kennen zu lernen. Die „Medusa“ ist bekanntlich dasjenige Schiff der deutschen Kriegsmarine, welches bei Anfang der orientalischen Verwickelungen bis zur Ankunft des deutschen Panzergeschwaders im Hafen zu Salonichi allein die durch den Mord des deutschen Consuls in so überaus schmählicher Weise verletzte Ehre des deutschen Reiches zu vertreten hatte, und sie wurde damals von dem Corvetten-Capitain Zirzow, dem derzeitigen Commandanten der „Leipzig“, befehligt. Auf der „Medusa“ traf am andern Tage der Generalfeldmarschall Prinz Friedrich Karl ein, um sich auf ihr nach der schwedischen Hauptstadt zu begeben. Weiter draußen am Eingange des Swinemünder Hafens ankerte die Segelfregatte „Niobe“, ein Schulschiff der deutschen Flotte, auf der sich der zweite Sohn des Kronprinzen von Deutschland, Prinz Heinrich, als Seecadett im Dienst befindet. Bei einem fröhlichen Abendessen im „Wilhelmsbad“ am Strande der Ostsee nahmen die Leipziger den denkbar herzlichsten Abschied von ihren so überaus freundlichen Wirthen.

Wenn ich jetzt eine Beschreibung der „Leipzig“ folgen lasse, so muß zuvörderst hervorgehoben werden, daß diese Glattdeckscorvette den Binnenlandsbewohner einerseits durch die imposante Größe ihrer Formen, andererseits nicht minder durch deren elegante Leichtigkeit überrascht. Daß diese wohlgefällige Ueberraschung aber nicht allein bei den „Landratten“ vorhanden war, davon empfing man an Bord des Schiffes selbst einen schlagenden Beweis. Dienstfreie Mannschaften der „Medusa“ und der „Niobe“ waren herüber nach der „Leipzig“ gekommen, um deren Einrichtung sich anzusehen, und sie gaben ganz unverhohlen ihr Erstaunen und ihre Befriedigung darüber zu erkennen. Man war namentlich damit zufrieden, daß auf der „Leipzig“ die Rücksichten auf die Bequemlichkeit und das Wohlbefinden der Mannschaft nicht mehr in dem Maße in den Hintergrund gedrängt worden sind, wie dies auf den Kriegsschiffen älterer Construction der Fall ist. Die Länge der „Leipzig“ beträgt in ihren äußersten Endpunkten 87,2 Meter, die Breite vierzehn Meter, der größte Tiefgang bei vollständiger Bemannung und Ausrüstung 6,6 Meter. Sie ist nach dem sogenannten Compositsystem erbaut. Aus der den Schiffsrumpf umgebenden Eisenhaut sind zwei Lagen Planken aus dem festesten Holze mittelst Schraubenbolzen befestigt. Vermittelst acht eiserner Querwände sind neun wasserdichte Abtheilungen hergesteckt. Die Bewaffnung der „Leipzig“ wird in zwölf Siebenzehn-Centimeter-Geschützen bestehen.

Eine der hervorragendsten Eigenschaften des Schiffes besteht in der großen Segelgeschwindigkeit, welche gestattet, fünfzehn Knoten, das ist etwa dreiunddreiviertel deutsche Meilen, in der Stunde zurückzulegen. Von den zwölf Geschützen stehen zehn in Batterie, eines auf Oberdeck und eines am Heck; das Geschütz auf Oberdeck vermag seine Ladung nach allen Richtungen hin abzugeben. Die gesammte Mannschaft der „Leipzig“ beträgt bei ihrer Indienststellung vierhundertfünfundzwanzig Mann.

Die Maschinen haben viertausendachthundert Pferdekräfte und sind nach dem Dreicylinderdrucksystem mit Oberflächencondensation nach den von der deutschen Admiralität vorgeschriebenen Bedingungen hergestellt. Eine dieser Vorschriften war, daß die Dampfmaschine zugleich die an Bord befindlichen zahlreichen Hülfsmaschinen in Betrieb setzt, zu welcher unter Anderm ein Destillirapparat, mittelst dessen das Seewasser genießbar gemacht wird, eine Dampfpumpe, eine Dampffeuerspritze etc. gehören. Die Maschine wird durch sechs Kessel mit achtundzwanzig Feuerungen geheizt, und im Ganzen hat das Schiff nicht weniger als sechszehn größere und kleinere Dampfcylinder an Bord.

Der Destilirapparat erzeugt hundert Liter Trinkwasser in der Stunde. Nach vollständiger Ausrüstung wird die „Leipzig“ an Gesammtherstellungskosten die Summe von etwa fünfeinhalb Millionen Mark erfordert haben.

Die Probefahrten fanden unter der Leitung des Oberwerftdirectors in Kiel, Capitain zur See Weikhmann, statt, und das Schiff war dabei regelmäßig von neun Uhr Morgens bis fünf Uhr Nachmittags in See. Das Ergebniß der Probefahrten war, wie schon bemerkt, ein sehr günstiges.

In dem Etablissement der Schiffsbaugesellschaft „Vulcan“ zu Bredow bei Stettin befindet sich gegenwärtig noch das Schwesterschiff der „Leipzig“, die Glattdeckscorvette „Sedan“, welche in etwa drei Monaten ebenfalls zur Abnahme bereit sein wird. Auf dem Stapel dieser großartigen Anstalt, welche nächst dem Schiffsbau sich mit der Massenherstellung von stationären Maschinen, Locomotiven etc. befaßt, liegen zur Zeit außerdem zwei Panzercorvetten, die bestimmt sind, zum ersten Male eine der deutschen Kriegsmarine völlig eigenthümliche Construction zur Darstellung zu bringen, eine in ihren Formen der „Leipzig“ und der „Sedan“ ziemlich gleichkommende gedeckte Corvette, die aber an Stelle des Kupferüberzuges mit Zink beschlagen ist. Als eine hocherfreuliche Thatsache darf es bezeichnet werden, daß jetzt endlich auch im Schiffsbau die deutsche Industrie sich von der englischen Concurrenz unabhängig gemacht hat. Zum Bau der letztgedachten Kriegscorvette liefert Krupp in Essen die großen Schmiedestücke, welche bis dahin regelmäßig aus englischen Fabriken bezogen wurden, und die Panzerplatten kommen aus den Werken in Dillingen bei Saarbrücken. Der „Vulcan“ aber, dem der genannte „Kanonenkönig“ Krupp gegenwärtig den Bau eines Transportdampfers übertragen, auf dem die Eisenerze aus den Krupp eigenthümlich gehörenden Gruben in Nordspanien nach Deutschland übergeführt werden sollen, ist so eingerichtet, daß er die großen Panzerplatten selbst biegt, hobelt und bohrt. Man kann mit Fug und Recht sagen, daß ein zweites derartig bedeutendes Unternehmen, welches den Schiffsbau in großem Maßstabe mit ausgedehnter Maschinenfabrikation vereinigt, in ganz Deutschland nicht existirt. Das Etablissement beschäftigt zur Zeit – und es ist hierbei die auf der Maschinenbranche lastende Krisis zu berücksichtigen – etwa zweitausendfünfhundert Arbeiter, außerdem an die hundert Beamte und drei Directoren. Diese Leiter der Anstalt, die Herren Haak, Stahl und Wegner, sind die Seele des Unternehmens, und ihrem Erfindungs- und Organisationstalent ist namentlich die Blüthe zu danken, zu welcher der „Vulcan“ gediehen ist. Derselbe ist seit dem Jahre 1857 in die Hände einer Actiengesellschaft übergegangen; er ist also kein Product der modernen Gründung. Vorher war er fünf Jahre in Privatbesitz und die Firma lautete: Früchtenigt und Brock.

Ich möchte diesen Artikel und damit die Mittheilungen über die Feierlichkeit in Swinemünde nicht schließen, ohne den günstigen Eindruck nochmals hervorzuheben, den Mannschaft und Material der nun schon auf einen so achtunggebietenden Standpunkt gebrachten deutschen Kriegsflotte auf die Mitglieder der Leipziger Deputation hervorgebracht haben. Sie sahen zwar keine großen Schlachtschiffe, wohl aber eine Corvette moderner Bauart, hervorgegangen aus den Werkstätten der heimischen Industrie. An diesem Schiff war auch für der Nichtfachmann die vorzügliche Herstellung wahrzunehmen, derer sich die Schiffe der deutschen Kriegsmarine erfreuen und die ihnen in der Secunde der Gefahr sehr fördersam sein wird. Es ist ein öffentliches Geheimniß unter den Seeleuten, daß die deutsche Flotte im gegebenen Falle berufen und im Stande sein wird, selbst einem an Zahl der Schiffe weit überlegenen Gegner Schach zu bieten. Daß dies möglich geworden, daran hat natürlich auch der vortreffliche Geist einen Hauptantheil, von welchem die Mannschaften und insbesondere die Officiere der Flotte erfüllt sind.

Die Aufmerksamkeit, welche Bürger der Stadt Leipzig der Flotte durch Ueberreichung einer Galaflagge an die „Leipzig“ erwiesen haben, hat am Strande der Ostsee, wie ich mich vielfach zu überzeugen Gelegenheit hatte, nicht allein in den seemännischen, sondern auch in den anderen Kreisen einen ausgezeichneten Eindruck gemacht. Mögen die Männer, die bei Stiftung und Herstellung der Flagge in erster Linie betheiligt gewesen, hierin den Lohn für ihr unter mancherlei Schwierigkeiten glücklich zu Stande gebrachtes patriotisches Unternehmen finden!

E… L…     



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_443.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)