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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


einfache Weise wieder in seine Urbestandtheile aufgelöste Stachelschwein in den dunklen Tiefen seiner Rocktasche verschwinden.

„O,“ sagte die schöne Magda höchst verwundert und machte schnell ein Trutzköpfchen, das ganz niedlich war.

„Gut sein!“ lachte bei solcher Beobachtung ihr Begleiter; „stecke zu Hause alle Zahnstocher wieder in den Kork und Stachelschwein selbst mitten auf Schreibtisch. Wird verteufelt schön aussehen.“

Das Trutzköpfchen verschwand rascher, als ich diese Zeilen zu schreiben vermag. Die Versöhnung war vollkommen.

Ich fürchte nicht, daß man die Erzählung dieser einfachen Begebenheit für überflüssig oder für noch schlimmer halten wird. Ich versichere im Gegentheil auf mein Ehrenwort, daß eben diese Begebenheit mit dem Stachelschwein für die Beiden, welche sie veranlaßten, offenbar sehr interessant zu erleben und für mich, der ich sie mit beobachtete, ganz gewiß ebenso interessant zu beobachten war. Ich habe mich in der That noch oft und gern mit ihr in Gedanken beschäftigt, und wenn ich aufrichtig sein will, hätte ich sogar gleichfalls nicht den geringsten Anstand genommen, mich von diesem reizenden Mädchen mit einem solchen Stachelschwein beschenken zu lassen und es auf meinem Schreibtisch als theuere Reliquie aufzustellen. Das wird Jedermann leicht verstehen, der schon ein- oder mehreremale das Glück gehabt hat, verliebt gewesen zu sein. Das sind aber die einzigen Leser, für die ich schreibe, und andere wünschte ich überhaupt nicht zu haben.

Nach der Table d’hôte versammelte sich der größte Theil der Gesellschaft auf der Terrasse, welche unmittelbar an den Speisesaal anstieß und einen so langweiligen Blick über Wiesen und Felder bot, daß ich froh bin, mir seine Beschreibung hier ersparen zu können. Aber es schien Sitte zu sein, hier in so bescheidener landschaftlicher Umgebung seinen Kaffee zu nehmen, und da ich selbst keine Lust hatte, mich schon wieder der heißen Nachmittagssonne auszusetzen, so bestellte ich mir wie die Andern meinen cafe nero, zündete mir ebenfalls wie die Andern meine Cigarre an und beschloß die Dinge so gut zu nehmen, wie möglich war. Dieser heroische Entschluß wurde sofort durch das Erscheinen meiner beiden Tischnachbarn belohnt, die sich im Speisesaal etwas verzögert hatten und nun, da alle Plätze ringsum schon besetzt waren, an dem kleinen Tische Platz nehmen mußten, an welchem ich selbst saß und an welchem allein noch Raum für zwei oder drei Personen zu finden war.

Die junge Dame hatte im Speisesaal dem Fenster den Rücken gekehrt, sodaß ich eigentlich erst jetzt ihrer lieblichen Erscheinung mich ganz erfreuen konnte, da das Licht des Tages ihre Gestalt leuchtend umfloß. Jetzt erst sah ich auch ganz, ein wie kecker Uebermuth in den grauen mandelförmigen Augen lag, über die sich die Brauen in weitem kräftigem Bogen hinzogen, und wie schalkhaft beim Lachen die Grübchen der von leichter Röthe angehauchten Wangen hervortraten. Die Nase war so fein und zierlich, wie man sie nur sehen konnte; eine lange dunkelblonde Locke, die indessen durchaus nichts Schmachtendes an sich hatte, fiel über die Schulter auf die Brust, und über der weißen Stirn nickten und schaukelten sich in langer Reihe allerliebste, zarte Löckchen, die ganz unzweifelhaft dazu bestimmt waren, mit der Welt zu coquettiren, und in denen mir eine große Gefährlichkeit für jeden unvorsichtigen Betrachter zu liegen schien.

Aber es war doch nicht Alles nur Lieblichkeit und Holdseligkeit an der schönen Magda. Das wäre auch langweilig gewesen.

Ihr Begleiter sprach mit großer Lebhaftigkeit von dem Pferderennen, das in den nächsten Tagen bei Quedlinburg stattfinden werde und bei dem sie die sämmtlichen Officiere der Quedlinburger Garnison zu Pferde sehen würden.

Magda lächelte. „Und Sie?“ fragte sie dann.

„Habe bereits meinen ‚Mackintosh‘ angemeldet – Sie kennen ihn – famoses Thier – schlägt Alle – auch die famose ‚Lydia‘, die neulich in Berlin und vorigen Herbst in Baden-Baden gesiegt hat. Sie wissen doch, wo damals die ‚Tante Lotte‘ des Lieutenant Kockewitz ausgebrochen. Großer Preis – zweitausend Thaler! ‚Lydia‘ war um zwei Längen Allen voraus. Baron Fürstenfeld’s ‚Demokrat‘ war ihr erst hart auf den Eisen, schon fast Gurt an Gurt mit ihr; ein verteufeltes Thier auch, der ‚Demokrat‘. Sie haben ihn, glaube ich, in Berlin schon gesehen. Aber ‚Lydia‘ schoß mit prächtigem Ansatz vor und zwar zuerst am Posten. Ist viel Geld dabei verloren worden. Hatten Alle auf ‚Demokrat‘ gewettet. Wollten durchaus Fürstenfeld Sieger sein lassen. Aber trotzdem, ‚Mackintosh‘ schlägt die ‚Lydia‘. Sie können auf ihn wetten, was Sie wollen, Famoses Thier ‚Mackintosh‘.“

„Und Sie wollen das schöne Thier wirklich mit rennen lassen?“

„Freilich,“ bestätigte der Gefragte lebhaft und strich sich den blonden Schnurrbart; „werde ihn selbst reiten.“

„Das werden Sie nicht,“ fiel die schöne Magda erregt ein. „Nein, Sie nicht – aber Sie sollen auch Ihr Pferd nicht laufen lassen.“

„He? Nicht? Warum nicht?“

„Weil es eine arge Thierquälerei ist, die ich auf den Tod hasse und die keinen Zweck hat. Sie selbst aber setzen wegen einer erbärmlichen Summe Geldes, die Sie gar nicht ansehen, Ihr Leben auf’s Spiel.“

Ihr Begleiter machte ein verdrießliches Gesicht. „Natürlich nicht wegen des Geldes“ – stieß er dann heraus – „aber für Ehre. Denken Sie, wenn ‚Mackintosh‘ ‚Lydia‘ schlägt! Gehört einem albernen Banquier von Berlin. Abgeschmackter Mensch, glaube, ist halb bankerott, lebt, wie ich denke, von Wettrennen. Aber ein verteufeltes Pferd! Wenn ‚Mackintosh‘ ihn schlägt, ist ganzes Regiment stolz auf ‚Mackintosh‘.“

„Ach was! Hier die Ehre des Regiments zu retten, ist wahrhaftig nicht Ihre Sache, lieber Freund, und denken Sie doch an den jungen Grafen Wallberg, den man mit zerschmettertem Schädel von der Rennbahn nach Hause brachte, weil sein Pferd ausbrach und seinen Reiter an eine Pappel warf, die an Wege stand!“

„Schauderöses Pech!“ gab der Andere gern zu. „Auf Ehre, schauderös. Aber hatte schon zu Wallberg gesagt, soll sich in Acht nehmen. Armer Junge, wollte nicht hören. War ein tückisches Thier. War bei seinem Begräbniß. Eine verfluchte Bestie, die ‚Miß Ella‘! Bedauerte seine arme Mutter. – Lahmte noch lange auf dem linken Hinterfuß – Sehnenverletzung – möchte wissen, wer sie gekauft hat. Aber ‚Mackintosh‘ ist zuverlässig – famoses Thier – reinstes Vollblut, klapperdürr, wie unser Rittmeister. Baron Lehndorf – Sie kennen ihn ja – reine Hopfenstange, aber zäh, ausdauernd, kommt ihm Keiner gleich.“

„Ei,“ lachte die schöne Magda, „dann lassen Sie doch Baron Lehndorf reiten!“

„Verteufelter Einfall! Auf Ehre! Aber geht nicht, würde Baron Lehndorf doch nicht machen können – ha ha! Sind ein reizendes Mädchen, haben immer so köstliche Einfälle. Baron Lehndorf beim Hürdenrennen! Wahrhaftig, werd’ es ihm morgen Abend im Casino erzählen, wird hellauf lachen und ist ein tüchtiger Camerad, der einen Spaß versteht. O, er giebt viele Stücke auf Sie, fragt mich oft nach Ihnen.“

„Das ist mir eine große Ehre; aber – Sie gehen nicht zum Rennen?“ fragte das Mädchen, das die heitere Stimmung ihres Begleiters rasch benützen zu wollen schien, in schmeichlerischem Tone.

„Wahrhaftig, kann nicht zurücktreten,“ versicherte der Andere wieder, indem er seine Hand auf die ihrige legte, „kann nicht abmelden, müßte Reugeld zahlen –“

„Ein paar Thaler! Was liegt daran?“

„Ja, und dann – ganzes Regiment ist voll Neugierde auf ‚Mackintosh‘ und wenn der Berliner –“

„Ach, der faule Börsenjobber!“ spöttelte Magda.

„Ja, ’s ist wahr – aber wenn ‚Mackintosh‘ ihn schlägt – und auf Ehre – er wird – er –“

„Er wird nicht,“ entschied jetzt das Mädchen und sah ihrem Begleiter voll in’s Gesicht. Sie blickte sehr ernsthaft und bestimmt darein; um ihren Mund lag ein fester und energischer Zug, der die kräftige Bildung des Kinns noch mehr hob und ihrem ganzen Antlitze, das bisher nur von Anmuth und Seligkeit gestrahlt hatte, einen neuen, geradezu überraschenden Ausdruck von festem Charakter und starkem Willen gab. Aber so, in dieser Haltung, schien sie mir noch schöner und verführerischer zu sein, als früher, und das leise nervöse Zittern der Nasenflügel, während sie jetzt sprach, deutete auf eine Leidenschaftlichkeit, die, wenn sie so ungeahnt und plötzlich aus einem Wesen hervorbricht, das wir bis jetzt nur für hold und lieblich gehalten haben, auf jeden Mann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_455.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)