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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Ich will das Gebot gar nicht wissen,“ sagte er. „Es wäre doch umsonst. Das Himmelmoos ist mein; ich geb’ es nicht her, und wenn ich das Zehnfache von dem bekäme, was es werth ist, und was die Dienstboten anbetrifft, so mach’ ich mir keine Sorge – ich hab’ ein Paar tüchtige Arme und kann selber arbeiten. Die Judika und ich, wir kommen auch allein zurecht.“

„Die Judika?“ fragte der Vorsteher bedenklich. „Auf die wirst Du nicht rechnen können. Weißt Du denn nicht … Aber freilich, Du warst ja eingesperrt; da kannst Du ja nicht wissen, daß die Judika fort ist.“

„Das ist nicht wahr,“ fuhr Wildl auf.

„Sei so gut und straf’ mich Lügen!“ sprach lachend der Vorsteher. „Sie ist fort, gleich etwa vierzehn Tage, nachdem das Unglück geschehen war. Zuerst wohl hat sie gemeint, weil sie so lange den Hof zusammengehalten, würde sie ihn auch jetzt zusammenhalten, bis ein Ende herginge, aber nach den ersten Wochen hat sie gesagt, sie könnte es nimmer aushalten. Sie hat nicht gesagt, warum, aber das weiß ja doch jedes Kind.

„Und was weiß denn jedes Kind?“

„Daß es auf dem Himmelmooser Hof nicht geheuer ist,“ erwiderte der Vorsteher behutsam. „Es geistert – der alte Bauer geht jede Nacht um; er hat wohl keine Ruhe in der Ewigkeit, bis seinem Mörder sein Recht geschehen ist.“

Wildl war wie versteinert und wußte im Augenblicke nicht, was er erwidern sollte. Der Vorsteher behielt daher das Wort.

„Drum bleibt es bei dem, was ich gesagt hab’. Du wirst Dich hart thun, und es wird nicht gehen mit dem Forthausen.“

„Und wer ist denn jetzt auf dem Hof?“ brachte der Zuhörer mühsam hervor.

„Wer wird da sein?“ war die Antwort. „So gut wie Niemand. Der Baumann und eine alte Magd, blos damit das Haus nicht ganz leer steht. Die Oberaufsicht aber hat man mir aufgehängt, als ob ich nichts Anderes zu thun hätte. Das meiste Vieh hab’ ich verkauft und das Geld auch zum Pfarrer gelegt; nur soviel Kühe hab’ ich behalten, wie nothwendig sind für die paar Leut’. Das Beste ist, daß jetzt um diese Zeit mit der Feldarbeit nicht viel zu thun ist und das Ausdreschen nicht eilt. Jetzt kannst Du das Alles selber besorgen lassen, wenn Du doch forthausen willst, das heißt, wenn Du Dienstboten bekommst. Aber ich bleibe dabei: es wird schwer gehen. Die Geschichte von der Waitz (Gespenst) macht Alles scheu. Drum sag’ ich Dir nochmal: Du kannst nichts Besseres thun als verkaufen und fortgehen, dahin, wo Dich Niemand kennt. Mit Deinem Geld kannst Dich überall einrichten.“

Wildl schwieg noch lange. Er starrte vor sich hin, und es wollte ihm bedünken, als wäre ihm wohler zu Muthe gewesen, da er in der Kerkerzelle saß, und als thue sich vor seinen Füßen ein Abgrund auf, aber sein Vorsatz, sich dem Schicksal nicht kraftlos zu fügen und den Kampf mit demselben aufzunehmen, war unerschütterlich. Auch die schlecht verborgene Gier des Vorstehers, den Prachthof durch die Gespenstergeschichte zu entwerthen und ihn unter dem Preise abzudrücken, regte ihn zu trotzigem Widerstande an. Jetzt, wie er schon unterwegs vorgehabt, stand es wiederholt klar vor ihm, was er zu thun habe: sein Leben und seine Wirthschaft sollten alle Zweifler und Verleumder zu Schanden machen.

„Ich fürchte mich nicht vor dem Geist,“ sagte er dann, sich erhebend, „und will ein Wörtl mit ihm reden. Das mit dem Verkaufen aber muß ich mir erst überlegen und derweil schauen, wie ich halt zurecht komm’.“

„Hast Recht; kannst Dir’s ja überlegen,“ sagte der Vorsteher geschmeidig. „Probir’ es eine Zeitlang! Du kannst es mir ja immer sagen, wenn Dir die Lust kommt zum Verkaufen. Wir kommen ja oft genug zusammen.“

„Dasselbe glaube ich kaum,“ sagte Wildl nicht ohne Spott. „Ich werde nicht viel Zeit haben, in Heimgarten zu gehen, also werd’ ich auch nicht zu Euch kommen, wenn ich nicht muß.“

„Das ist’s ja gerade, was ich mein’,“ sagte der Vorsteher. „Es wird halt sein müssen. Du wirst Dich wohl erinnern, was in dem Schreiben steht. Hast es ja gehört, daß Du Dich, damit man Dich jeden Augenblick wieder packen kann, jeden Tag Mittags und Abends bei mir stellen mußt – Du wirst mit dem Gericht keine Händel anfangen wollen und also wohl thun, was es verlangt.“

Wildl konnte nicht gleich erwidern; er hatte keinen Athem, und die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er preßte beide Hände über der Brust zusammen, als ob er diese wieder der Luft öffnen und zugleich den Ausbruch des Zornes niederdämmen wollte, der in ihm aufstieg. Dann nahm er gelassen seinen Hut.

„Ich werde also thun, was ich muß,“ sagte er und wandte sich der Thür zu. An derselben blieb er stehen.

„Und wo ist denn die Judika hin? Wißt Ihr’s nicht?“

„Ich weiß es wohl,“ entgegnete der Vorsteher, „aber sagen darf ich’s nicht. Sie hat mir auf die Seele gebunden, daß ich es nicht eher sage, als bis sie es mir erlaubt oder bis Du den Hof verkaufen und von hier fortziehen willst.“

Knirschend biß Wildl die Zähne übereinander und verließ die Stube.

„Nun, wenn sie hat gehen können,“ murrte er, während er das Haus verließ, „dann werd’ ich es auch zuwege bringen ohne sie.“

Bedächtig und auf weitem Umwege schritt er dem Himmelmoose zu; er scheute jede weitere Begegnung. Bald stand er vor dem stattlichen Hause, an dessen Aussehen die wenigen Wochen nichts verändert hatten. Es lag da, so regungslos und still wie ein Todter, und mit Schnee bedeckt, als hätte man über denselben bereits ein weißes Tuch gebreitet, um ihn schon in den nächsten Stunden der Grube zu übergeben. Keine Fußspur zeigte eine betretene Bahn. Die Hausthür war fest verschlossen, und kein lebender Laut war zu hören, bis er um die hintere Hausecke herumgekommen war, wo die Ställe lagen. Dort tönte ihm das Gebell des Kettenhundes trotz seiner Rauhheit wie ein erfreulicher Willkomm entgegen; er trat zu dem Hunde und suchte ihn zu beschwichtigen, allein das Thier, obwohl es schon lange sich auf dem Hofe befand, schien ihn nicht mehr zu kennen; es bellte immer heftiger und zerrte an der Kette, als ob es dieselbe sprengen wollte.

Dafür ward ihm diesmal ein freundlicher Gruß aus Menschenmund, denn der Knecht, der einstweilen als Baumann auf dem einsamen Hofe geblieben, trat aus dem Stall hervor und kam ihm mit freundlicher Miene entgegen. Es war ein alter Mann mit dichtem struppigem Weißhaar und den unverkennbaren Zügen und Falten hohen Alters im Gesicht, aber noch voll männlicher Rüstigkeit in der hageren, beinahe nur aus Knochen und Sehnen bestehenden Gestalt. Auf der unscheinbaren Jacke hing ein kleines, nicht minder unscheinbares Kreuz: der Träger konnte sich von demselben nicht trennen; er trug es auf dem Sonntagsrock, wenn er zur Kirche ging, und heftete es auf das Arbeitsgewand; es war die ganze Freude seines Lebens, der Stolz seiner Erinnerung an den Feldzug nach Rußland und den schrecklichen Uebergang über die Beresina. Daß er auch unter den unglücklichen Kämpfern gewesen, daß er einer von den Wenigen gewesen, die das Vaterland wiedergesehen, war das Kleinod seiner Gedanken, und daß er am liebsten davon sprach und erzählte, war die Ursache, weshalb man ihm im Dorf in gutmüthigem Spott den Namen „der Rußländer“ gegeben hatte.

„Seid Ihr wirklich da?“ fragte er. „Haben sie Euch doch ausgelassen aus dem Schlaghäusel? Das ist recht. Ich bin schon im Dorfe gewesen und hab’ gehört, daß Ihr wieder da seid. Es thut Noth, daß ein Herr in’s Haus kommt. Es ist jammerschade um den schönen Hof und das ganze Sach’. Bisjetzt habe ich erhalten, was zu erhalten war – auf die Länge thut’s aber nimmer gut; es muß ausgedroschen werden und das Vieh muß wieder her.“

Wildl empfing diese Worte wie ein erquickendes Lüftchen, das die Stirn des verschmachtenden Wanderers umweht.

„Ja,“ sagte er, „ich bin wieder da und will dafür thun, daß der Himmelmooser Hof nicht herunterschwimmt. Ich sorg’ nur, ich bekomm’ keine Dienstboten. Und Du selber, alter Rußländer, willst denn Du bei mir bleiben?“

„Warum nicht?“ entgegnete der Greis bedächtig, indem er ihm fest in’s Auge sah. „Ich denke mir: Ihr seid der Bauer, und ich bin der Knecht – das ist mein ganzer Katechismus. Was es sonst zu bedenken giebt, das geht mich nichts an; das müßt Ihr mit dem Gericht ausmachen, mit unserm Herrgott und mit Euch selber.“

„Das ist es nicht allein,“ sagte Wildl, den Blick des Alten erwidernd und festhaltend. „Es geht ja auch sonst noch allerhand Gerede vom Himmelmooserhof.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_469.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)