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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Aha!“ unterbrach ihn der Alte. „Habt Ihr auch schon davon läuten hören? Das ist wirklich nichts als Gerede. Ich hab’ schon gar zu Viele sterben sehen, als daß ich nicht wüßte, daß Keiner wiederkommt, der einmal den letzten Schnaufer gethan hat. Ein alter Rußländer, der sich, um und um voll Eiszapfen, noch mit den Kosaken herumgerauft hat, fürchtet sich vor keiner Waitz – da hat es immer geheißen, die Courage zusammennehmen; da ist es darauf angekommen –“

Der Rußländer war im Begriff, in sein Lieblingsgespräch zu verfallen, als die Magd hinzukam, eine ältliche Person, in Dienst und Arbeit verläßlich und brauchbar, aber sonst von etwas schwachem Geist, und darum keinen Grund findend, warum sie den ihr bekannten Sohn des Hauses nicht mit ihrem freundlichsten Gesicht begrüßen sollte. So verlief der Einstand besser, als Wildl gehofft hatte, und bald saß er mit dem Rußländer in der öden Stube, um Pläne für Haushaltung und Wirthschaft zu entwerfen. Am andern Tage sollte Geld beim Pfarrer erhoben werden und Wildl den Ankauf von Vieh besorgen, der Alte aber es übernehmen, Knechte und Mägde zu dingen; er glaubte mit Recht, daß Wort und Beispiel des Letzteren viel beitragen würde, die angebliche Scheu vor dem Himmelmoos zu beseitigen.

Darüber war es früh Abend und Nacht geworden. Das Haus lag verschlossen und verwaist; Knecht und Magd hatten sich in ihre Kammern begeben – auch Wildl suchte die seine und setzte das Oellämpchen auf den Tisch des kleinen Gemachs, aber er entkleidete sich nicht. Die Eindrücke des Tages waren zu heftig gewesen, als daß sie sofort hätten verstummen können; sie mußten langsam ausklingen, ehe für den Schlaf die Möglichkeit kam, im Gemüth einzuziehen. Wildl ließ sich in einem Winkel auf der Truhe, in der sich seine Kleider befanden, nieder, und die Gedanken gingen über ihn dahin, wie ein überquellender Bach. Der einmal in der Seele gekeimte Entschluß, auf dem Hause auszuharren, wurde immer fester, wie ein Bäumchen durch die Stürme, die es bewegen, nicht erschüttert wird, sondern mit immer tieferen Wurzeln in den Boden greift.

Der Gedanke an Engerl, die Sehnsucht nach der liebgewordenen Genossin seiner Leiden – das war es, was ihn nebenbei vollauf beschäftigte, und so kam es ganz natürlich, daß die beiden Gedankenreihen zuletzt in einander flossen und die Müdigkeit verscheuchten, wenn ja solche sich einzustellen begann.

Das Gemach lag an der Rückseite des Hauses, nur wenig über die Erde erhaben, in einer Art von Mittelstockwerk, vor dessen Fenstern die blattlosen Astkronen des Obstgartens sich kreuzten; leichte Läden waren davor angelehnt, aber so sorglos, daß sie nicht ganz fest anschlossen und von den Windstößen gerüttelt werden konnten. Solche waren in der Nacht immer mehr wach geworden und machten die Läden schüttern, daß sie befremdliche Töne von sich gaben, die einer fruchtbaren Einbildungskraft wohl vorkommen mochten wie menschliche Klagetöne. Wildl achtete lange nicht darauf; der Gedanke an Engerl, die Pläne, wie er sie auffinden, wie er zu ihr gelangen, wie er sie im Hause als Frau einführen könnte, umspannen ihn immer mehr wie die Ranken einer schnellaufstrebenden Schlingpflanze, und er war so ganz darin verstrickt, daß er fast erschrocken auffuhr, als die Schwarzwälderuhr, welche nebenan in der einstigen Schlafstube des alten Himmelmoosers hing, zum Schlagen aushob und mit eigenthümlich singendem Tone Mitternacht schlug.

Aufhorchend blickte er um sich her; denn gleichzeitig hatte ein mächtiger Windstoß abermals an den Läden gerüttelt, als ob eine starke Hand sie von außen aufzustoßen versuchte. Unmittelbar darauf aber trat wieder Ruhe ein; nur die Zweige rauschten ein wenig nach; als auch sie verstummten, war es so still, daß man von draußen her jeden Laut, jeden Tritt hören mußte.

Plötzlich drang durch die augenblickliche Stille ein eigenthümlicher Klang; die Fensterläden flogen auf, daß sie rücklings an den Wänden zu beiden Seiten anschlugen, und zugleich klopfte es deutlich an der Fensterscheibe – es war ein Ton, welchen der Wind nicht hervorbringen konnte und der unverkennbar von den Fingern einer Menschenhand herrührte, die an die Scheibe geschlagen hatte.

„Was der Wind für eine Gewalt hat!“ sagte Wildl, sich erhebend, und schritt zum Fenster. „Oder sollt’ an dem Gerede von der Waitz doch etwas Wahres sein? Das ist ja gerade die Geisterstunde. Ich muß den Laden nur wieder anlegen, sonst giebt’s die ganze Nacht keine Ruh’.“

Er stellte die Lampe bei Seite, damit beim Oeffnen des Fensters nicht ein plötzlicher Windstoß dieselbe auslösche. Er hatte auch ganz recht mit dieser Vorsicht, denn als er das Fenster öffnete, fuhr der Wind wie absichtlich mit einem gierigen Stoße in die Stube, daß er Mühe hatte, die Läden zu fassen und wieder anzulegen. Als er sich wieder der Stube zuwendete, war es klar, daß es nicht der Wind allein gewesen, der die Läden losgemacht, sondern daß wirklich ein Mensch an die Scheibe gepocht hatte. Mitten in der Stube lag, feucht vom Schnee, ein Blatt Papier auf dem Boden, offenbar von Jemand auf das äußere Sims gelegt und vom Winde hereingeweht.

Er nahm es auf. Es war ein Stück groben Papiers, von ungeübter Hand beschrieben, mit Zügen, welche durch die Witterung noch undeutlicher geworden waren, als sie schon an sich gewesen. Er zog den Docht der halb erlöschenden Lampe in die Höhe und las:

„Lieber Bub’! Du wirst schon erfahren haben, daß ich fort bin, weil ich den Leuten aus dem Wege gehen will und auch Dir. Ich kann mir wohl einbilden, daß Du mich suchen wirst, ich will mich aber nicht finden lassen, es ist ja doch aus mit uns zweien für diese Welt. Es hat nicht sein sollen, daß wir zusammenkommen, und darum will ich nicht haben, daß Du an mich denkst. Aber nein! Das will ich auch nicht haben. Ich möchte schon, daß Du an mich denkst, weil ich auch an Dich denken werde, bis ich todt bin. Deswegen schreibe ich Dir, daß Du thun sollst, als wäre ich nie auf der Welt gewesen. Es wäre eine Sünde, wenn wir zwei zusammenkommen wollten; also könnte auch kein Glück dabei sein und kein Segen. Darum frage mir nicht nach! Du kannst mich doch nicht auskundschaften, und wenn Du es auch könntest, Dein todter Vater steht zwischen uns. Ich will Dich nicht verdammen, aber leben könnte ich nicht mit Dir. Also, behüt’ Dich Gott, lieber, lieber Bub’! Laß Dir’s gut gehen, recht gut! Ich bet’ schon für Dich. Ich sag’ Dir noch ’mal von Herzen tausend: Behüt’ Gott! Engelberta.“ Etwas weiter unten stand noch eine Zeile:

„Da ist eine Zäher auf meinen Namen gefallen und hat ihn fast ausgelöscht. Du wirst es aber doch schon lesen können, wer das geschrieben hat.“

(Fortsetzung folgt.)




Im Schilf.

Es rauschte im Schilf wie von weichen Schwingen;
      Der Wasservogel umkreiste sein Nest.
Wir hörten am Strande die Fischer singen –
      Das war auf dem Wettern[1] im Mittsommerfest.

Seerosen nickten und wiegten sich leise,
      Auf spiegelebener, flüssiger Bahn;
Die Möve zog über uns lustige Kreise –
      Wir saßen drei glückliche Menschen im Kahn.

Ich lehnte am Bug, und ich sah mit Entzücken
      Das Ruder, o Holde, dich führen gewandt.
Am Steuer die Schwester – um Rosen zu pflücken,
      Wie tauchte sie leicht in die Wellen die Hand!

Und wie sie sich neigte, da frugst du verstohlen:
      „O sage, ist Liebe ein flüchtiger Traum,
Wie im Schilfe der Lenznacht Athemholen,
      Wie aus schwankendem See ein vergänglicher Schaum?“

Du wandtest dich heimlich zu mir herüber
      Und seufztest – da hab’ ich an’s Herz dich gepreßt;
Ich küßte dich stürmisch; die Seele schwoll über –
      Das war auf dem Wettern im Mittsommerfest.

O Tage am Wettern, o Tage der Wonne,
      Ihr schwandet nun längst, wie ein Traumbild vergeht.
Es sterben die Freuden unter der Sonne,
      Wie Schwingenrauschen im Schilfe verweht.

Ernst Ziel.
  1. Bekanntlich einer der schönsten Seen in Schweden.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_470.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)