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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Unser Kriegszeichner in der Dobrudscha.
Selbstportrait von N. Karasin.



zu deuten und wenn unser Vagabund das ist, so können wir uns auch sein hartnäckiges Schweigen erklären, aber um zu erfahren, an wen sie gerichtet ist, müssen wir wissen, von wem sie kommt, und letzteres wird schwer halten. Der Brief und die Adresse geben zu wenig Anhaltspunkte. Doch halt, was ist das? Sehen Sie sich einmal den Aufgabestempel an!“

Der Wachtmeister betrachtete denselben sorgfältig, und wir kamen bald dahinter, daß bei dem Abstempeln des Briefes am Aufgabeort folgende Manipulation vorgenommen war. Der Name des Ortes auf dem Stempel begann mit den Buchstaben Ha; die folgenden Buchstaben waren nicht zum Abdruck gekommen, und das konnte nur dadurch geschehen sein, daß bei dem Abstempeln irgend ein Hinderniß, z. B. ein Streifen Papier, zwischen Stempel und Brief gelegt worden war. Die Buchstaben Ha und die Zeit waren in dem Abdruck des Stempels zu deutlich sichtbar, als daß das Fehlen der weiteren Buchstaben auf einem Zufall beruhen konnte. Derjenige, der den Brief am Aufgabeorte abstempelte, hatte offenbar verhüten wollen, daß man den Aufgabeort aus dem Abdruck des Stempels entnahm. Jedoch er war, wie das so oft vorkommt, zu schlau gewesen. Hätte er den Brief wie andere Briefe abgestempelt, so würde Niemand den Absender erfahren haben, jetzt aber führte seine Vorsicht die Entdeckung herbei. Die Oberpostdirection des Gerichtsbezirkes erkannte sehr bald aus dem Sternchen, welches sich unter dem Datum des Abdruckes befand – der Briefstempel hat bekanntlich außer Ort und Datum oft noch ein Zeichen in Gestalt eines Kreuzchens oder Sternchens – den Ort der Aufgabe, stellte Nachforschungen an, und da ergab sich denn, daß der abstempelnde Briefträger auf den besonderen Wunsch eines ihm bekannten Frauenzimmers die Manipulation vorgenommen hatte, um den Aufgabeort zu verheimlichen. Mit dem Frauenzimmer war auch die Sache aufgeklärt. Ich konnte sehr bald den Vagabunden wieder vorführen lassen und sagte ihm, nachdem er wieder jede Auskunft, sein Nationale betreffend, hartnäckig abgelehnt hatte:

„Sollten Sie nicht vielleicht der Techniker Wilhelm Delbrück aus Kassel sein?“

Der Vagabund fuhr erschreckt zurück, dann stammelte er leichenblaß: „Wer hat Ihnen das verrathen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_494.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)