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verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Blätter und Blüthen.


Künstliche Blumen als Wetterpropheten. Wir haben ein Bouquet künstlicher Blumen vor uns, das jüngst die Reise von Paris nach Deutschland gemacht hat und etwas Neues und Besonderes vorstellen soll, nämlich ein Barometer oder richtiger Hygrometer oder Feuchtigkeitsmesser. Es sind Species aus mehreren Familien des Pflanzenreichs, unter denen vorzugsweise Rosaceen vertreten sind. Neben der Ungleichartigkeit in der Form der Stengelblätter und in der Gestalt der Blumenkronen, der Kelche etc., wie sie eben durch die botanische Verschiedenheit der Pflanzen bedingt ist, zeigen alle Blumenblätter eine Gleichmäßigkeit in dem Wechsel der Farbe bei verschiedenartiger Witterung.

An trüben, regnerischen Tagen oder überhaupt an Tagen, an denen die Luft viel Feuchtigkeit enthält, erscheinen die gefärbten Theile der Blumenkronen in einem zarten Rosenroth. Wird die Luft etwas trockener, so ist dem Roth ein bläulicher Ton beigemischt. Betrachten wir die Blumen bei noch geringerem Wassergehalt der Luft, so zeigen sämmtliche Blumenblätter eine graublaue Farbe. Bei vorwaltend trockener Witterung dagegen haben wir ein Bouquet blauer Blumen vor uns; denn die Färbung der Kronen geht dann in ein schönes Hellblau über.

Den Blumen ist eine Scala beigegeben, mit den Farben „dunkelblau“, „rosenroth“ und „graublau“ und mit den Bezeichnungen „beau temps“, „pluie“ und „variable“. Hierbei ist zu bemerken, daß nach meinen Beobachtungen die graublaue Farbe durchaus nicht immer veränderliches Wetter anzeigt, sondern meistens schon eine bessere, beständige Witterung, während die rothen Farbennüancen vorwiegend auf Regen hindeuten. Noch mehr Bestand hat das Wetter beim Eintritt des hellblauen Farbentons, dagegen dürfte das Dunkelblau sich nur ausnahmsweise bei äußerst trockener Witterung zeigen. Das Auftreten der letzterwähnten Farbe konnte von mir während einer Beobachtungszeit von mehreren Wochen nicht wahrgenommen werden, obgleich ein neben den Blumen angebrachtes August’sches Psychrometer (ebenfalls eine Art Feuchtigkeitsmesser) einige Tage hindurch nur einen geringen Wassergehalt der Atmosphäre anzeigte.

Man sieht aus den vorstehenden Angaben, daß die drei Farben der Scala eigentlich nicht ausreichend sind und man daher genöthigt ist, auch die Uebergangsfarben mit zu berücksichtigen. In Bezug auf die Ausstellung der Blumen zur Wetterbeobachtung ist hervorzuheben, daß dieselben an einem vor Regen geschützten Platze im Freien oder in der Stube unmittelbar vor dem geöffneten Fenster zu placiren sind.

Daß diese meteorologischen Blumen keinen Anspruch darauf machen können als wissenschaftliche Instrumente benutzt zu werden, ist selbstverständlich; auch können dieselben den bewährten Hygrometern in der Bestimmung der atmosphärischen Feuchtigkeit in keiner Weise Concurrenz machen, aber trotz alledem verkünden uns diese Wunderblumen durch die chamäleonartige Aenderung ihrer Farben, ob die Luft an Wasserdampf reich oder arm ist, und je feuchter die Luft ist, um so eher ist ein atmosphärischer Niederschlag zu erwarten.

Was nun den Farbenwechsel der Blumen betrifft, so beruht derselbe auf folgendem Vorgang: Die Blumenkronblätter sind mit einer concentrirten Lösung von Chlorkobalt getränkt. Dieses Salz sieht in feuchtem Zustande rosenroth aus und wird in trockner Luft nach und nach blau. Der Uebergang von Rosenroth in Blau tritt sofort ein beim directen Erwärmen über einer Flamme. Hält man daher die rothgefärbten Blumen in angemessener Entfernung über den Cylinder einer angezündeten Petroleumlampe, so werden die Blumen momentan dunkelblau.

Diese Eigenschaft des Chlorkobalts ist übrigens durchaus keine Entdeckung der Neuzeit; sie ist schon früher von Liebenden benutzt, um mit einer verdünnten Lösung dieser Substanz in einem unsichtbaren Rosenroth sich geheime Geständnisse zu machen, die erst durch das Erwärmen des Liebesbriefes von Seiten des Empfängers in einem deutlichen Blau zum Vorschein kamen, um nach dem Erkalten wieder spurlos zu verschwinden.

Die hübsche Anwendung dagegen, den künstlichen Blumen eine wetterprophetische Eigenschaft beizulegen, so daß wir uns durch einen Blick auf das Bouquet von dem geringeren oder größeren Feuchtigkeitsgehalt unserer Atmosphäre überzeugen können, ist neu und höchst originell. Ein bekannter chemischer Vorgang ist durch eine neue Idee in eine elegante, anmuthende Form gebracht worden.

Dr. Julius Erdmann.




„Unfall oder Mord?“ So fragten wir noch in der Ueberschrift zu dem mit der Abbildung der Stilfserjochstraße (Nr. 3, S. 53 dieses Jahrgangs) geschmückten Artikel, in welchem wir über den offenbar gewaltsamen Tod der Gattin eines Herrn von Tourville in den Abgründen dieser höchsten aller Alpenfahrstraßen berichteten. Seitdem hat das Geschworenengericht zu Bozen seinen Spruch gethan und den Gatten der Todten als Mörder zum Tode verurtheilt, und zwar mit elf Stimmen gegen eine Stimme.

Die Untersuchung dieses Verbrechens ist eine der aufregendsten der neuesten Zeit gewesen; sogar die russisch-türkischen Kanonaden an der Donau wurden durch jenen Proceß zeitweise in Vergessenheit gebracht. Die Nachforschungen und Verhöre der Untersuchungsbeamten stellten über Vorleben und Unthat Tourville’s ein Material zusammen, das vom k. k. Staatsanwalt R. von Köpf in Bozen als „Anklageschrift gegen Henry de Tourville, wegen des Verbrechens des meuchlerischen Gattenmords zur Verhandlung verwiesen vor das Schwurgericht Bozen im Juni 1877“ veröffentlicht worden war. Aus demselben erfuhr man, daß der Angeklagte nicht Tourville, sondern Henry Perreau heiße, 1837 in Valenciennes in Frankreich geboren sei, eine gute Erziehung und Bildung genossen und dann England, die Schweiz, Belgien und Deutschland bereist habe. Später kehrte er nach England zurück, um „eine gute Partie zu machen“. Aus dieser Zeit erzählt der Curat Dr. Albert Glynn zu St. Peter in Liverpool Folgendes: „Er habe im Seebade zu Scarborough in einer Tischunterhaltung über ‚die Schwiegermütter‘ aus Perreau’s Munde die Aeußerung gehört: er würde eine Schwiegermutter sich leicht vom Halse schaffen, indem er sie bäte, bei der Reinigung eines Revolvers den Mechanismus zu untersuchen, und – der Revolver würde dann losgehen. Seine Frau aber würde er mit sich auf das Festland nehmen; sie würde sich an einem Platz die Schönheit der Gegend ansehen und dann fallen.“ – Der Curat spricht von dem Abscheu, den diese Aeußerung erregt, und daß er selbst die Damen der ihm bekannten Kreise vor diesem Menschen gewarnt habe.

Trotzdem reichte im December 1867 Henriette, die Tochter der reichen Wittwe Elise Brigham in London, ihm die Hand. Er selbst hatte sich für einen reichen Gutsbesitzer ausgegeben, und man glaubte es. Etwa fünfthalb Monate später von einer großen Festlandreise zurückgekehrt, ereignet sich in Forleyhalle das Unglück, daß Perreau beim Reinigen eines Revolvers seine Schwiegermutter erschießt. Zwar ergab die Untersuchung, daß die Kugel nicht von vorn, sondern von hinten in den Kopf gedrungen war, aber trotzdem fiel auf den reichen Mann kein Mordverdacht. Der Ausspruch der Jury lautete auf „Tod durch unglücklichen Zufall“. Aus Vorsicht siedelte Perreau jedoch mit seiner kränklichen und schwachsinnigen Frau und ihrem einzigen Kinde, einem Knaben, nach London über und nahm den Namen „de Tourville“ an; dort starb die Frau am 30. Juni 1871. – Im Jahre 1875 heirathete Perreau, oder nunmehr Tourville, die Wittwe Madeline Möller mit einem Vermögen von siebenzigtausend Pfund. Ihr Ende ist allbekannt: sie sah an einem Platze die Schönheit der Gegend an – und fiel dann hinab, genau nach dem Programm von Scarborough.

Man hatte den Leichnam der Frau an einer Stelle gefunden, an welche sie nicht gefallen sein konnte, und fand sie, den Kopf mit Wunden bedeckt und in einer Lage, die auch den Verdacht des Selbstmords, wie Tourville ihn behauptete, ausschloß. – So sprachen alle Anzeichen gegen ihn, und die englische Vergangenheit drückte noch das Siegel auf das schon im Voraus fast allzufest bestimmte allgemeine Urtheil.

Musterhaft war die Leitung des Geschworenengerichts durch den Gerichtspräsidenten Grafen Melchiori. Offenbar bedrückte das so entschieden voraus bestimmte allgemeine Urtheil sein juridisches Gewissen, und er befürchtete eine Beeinflussung der Geschworenen durch dasselbe. Denn „schwerlich ohne Absicht,“ sagt eine Stimme der „Süddeutschen Presse“, „warnte er in dem ergreifenden resumirenden Schlußplaidoyer die Geschworenen vor einem leichtfertigen 'Ja'; er sprach sogar das in dem Munde eines Gerichtspräsidenten seltene Wort aus, daß man im Zweifelsfalle lieber freisprechen solle.“ Auch ist nicht unbeachtet geblieben, daß der Präsident während der ganzen Verhandlungen nie das Wort Verbrecher gebraucht habe. Jedenfalls gereicht dieser Proceß dem österreichischen Richterstande zur Ehre.




Ein Kosakenstückchen. „Auch die Kosaken,“ schreibt uns einer unserer Correspondenten aus Braila, „haben an Popularität nichts verloren, und ganz Bukarest lachte einige Tage über ein Stückchen, das Einer von ihnen unweit des Dorfes Vakaresci aufgeführt hatte. Er kam dort vor eine ‚Kretschma‘ (Wirthshaus) und ließ sich nicht unbedeutende Quantitäten Spirituosen verabreichen, dann machte er ganz ruhig Miene sein Pferd zu besteigen und fortzureiten. Der Wirth kam jedoch noch rechtzeitig seiner Vergeßlichkeit zu Hülfe und mahnte an die Bezahlung. Unser Kosak zieht seufzend ein furchtbar schmutziges Portemonnaie aus der Tasche und will hineingreifen, als plötzlich sein Pferd unter ihm wie vom Schlage getroffen zusammenstürzt. Der Kosak ist ganz verzweifelt; er thut alles Mögliche, um es aufzurichten, giebt ihm die zärtlichsten Namen – umsonst. Es bleibt steif und regungslos – ist todt. Die Umstehenden, wissend, daß das Pferd persönliches Eigenthum des Kosaken ist, der somit von einem solchen Verluste schwer betroffen wird, werden von der Scene lebhaft gerührt, und im Nu ist eine kleine Sammlung improvisirt, dazu bestimmt, den tiefen Schmerz des trostlosen Steppensohnes ein wenig zu lindern. Auch der Schenkwirth trägt das Seinige bei und regalirt ihn noch mit einigen Glas Wein. Der Kosak schnallt endlich resignirt seinen Sattel ab, nimmt ihn sammt der Lanze auf den Rücken, wirft noch einen letzten wehmüthigen Blick auf sein treues Thier zurück und geht. Auf tausend Schritte Entfernung bleibt er noch einmal stehen – ein gellender Pfiff tönt herüber.

O Wunder! Das Pferd vernimmt das Zeichen, steht plötzlich wieder auf den Beinen und eilt, freudig wiehernd, wie ein Pfeil seinem Herrn nach. Den nächsten Augenblick sitzt dieser auf dem Pferd, dankt den Versammelten durch eine Handschwenkung für die gütige Theilnahme und verschwindet am Horizonte.

Der Schenkwirth ist seit der Zeit auf Kosaken sehr schlecht zu sprechen.“



Kleiner Briefkasten.

A. M. in Berlin. Sie haben Recht. Die Thatsache, daß der alte tapfere Fritz Harkort (der leider jetzt bedenklich krank darniederliegt), wie für jede freisinnige Bestrebung, so auch für die der Altkatholiken seine Theilnahme zeigte, mag zu der Annahme verführt haben, daß er selbst denselben beigetreten, folglich Katholik gewesen sei, ein Irrthum, zu dem auch unser Referent in Nr. 27 unseres Blattes sich verleiten ließ. Die Harkort’s gehören ausschließlich einer alten protestantischen Familie an, was wir, um jeder Weitertragung jenes Irrthums entgegenzutreten, hiermit ausdrücklich erklären.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1877, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_498.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)