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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


lassen!“ – Schlimmsten Falles solle er sie tödten, damit sie wenigstens nicht als Zeugin gegen ihn auftreten könnte, falls die böse Angelegenheit, welche sinnreich mit einem Besitzinteresse des bischöflichen Stuhles verwoben wird, untersucht werden sollte. Beide Ritter sind zu allen Schandthaten bereit.

Nun erscheint Siegmund Steinburg im Gewand eines Minnesängers, um zu spähen. Er berichtet dem Grafen Ubald als große Neuigkeit des Tages, daß in Palästina zwischen „dem großen Saladin und dem Vicekönig von Aegypten“ Friede geschlossen worden sei, und in Folge dessen bereits viele Ritter vom Kreuzzuge heimgekehrt wären, unter Anderen auch Steinburg der Sohn, worüber Rädinger erschrickt, Ubald aber sich erbost. Siegmund bleibt unerkannt, es glückt ihm, in der Eilenburg Nachtquartier zu bekommen, und ganz unverhofft begegnet er dort seines Vaters treuem Burgvogt, der bei dem Feind in Dienst getreten, um sein Fräulein zu erkunden. Schon hat er herausgebracht, daß Hedwig im Schauerthurm schmachtet; auch hat er erhorcht, daß eine gewisse Stelle dieses Verließes schwach vermauert sei. Der Moment scheint gerade jetzt günstig. Siegmund will ihn benützen. Im Begriff, sich mit einem kolossalen Brecheisen Eingang in den Thurm zu erzwingen, wird er hierbei von Rädinger erwischt, der ihn nun selbst in das Verließ abführen läßt. –

Dieser Schauerthurm, ein ganz ansehnliches Gewölbe, macht trotz seiner dunklen Quadern keinen unwohnlichen Eindruck. Hedwig sitzt dort in schwarzem Atlaskleide, mit Schnallengürtel und weißem Stehkrägelchen. Sie trägt schwere eiserne Ketten und aufgelöste Haare, was sie recht vortheilhaft kleidet. Da es gilt, Verzweiflung auszudrücken, bewerkstelligt sie das, indem sie regelmäßig nach jeder dritten Silbe eine Kunstpause macht. Da kommt der böse Ubald herein.

„Eine Menschenstimme?“ sagt sie. „Der Schreckliche? O falsche, seifenblasenleere Welt! Ich bin zum Sterben bereit!“

Er: „Du machst mich rasend! Sei mein Weib!“

„Nein!!“

Schon stürzt er mit gezücktem Schwert auf sie los, da fällt ihm Rädinger in den Arm. Er ist soeben mit dem gefesselten Siegmund eingetreten und droht nun seinerseits Hedwig, „den Bruder vor ihren Augen zu Tode zu martern, falls sie dem Willen seines Freundes noch länger widerstehe.“ Rührendes Erkennen der Geschwister, die sich in den gefesselten Armen liegen. Hedwig beginnt ihre Feinde anzuflehen: „Seid Ihr Menschen von Fleisch und Blut? Die Brust des Herzens dreht sich mir im Leibe herum!“

Schließlich giebt sie nach. Während Ubald sie nach der einen Seite hin fortschleppt, dringt plötzlich von der anderen Ritter Guido, welchen der treue Burgvogt herbeigeholt hat, mit vielen Knappen durch die bewußte schwache Mauer in das Verließ. Rädinger flieht vor der Uebermacht in die Burg zurück, während Guido dem Gefangenen die Ketten abnimmt. Sobald Siegmund, der Berserker, sich frei sieht, beginnt er vor Freude zu tanzen.

Wir treffen nun zunächst im Saale den überaus zornigen Rädinger: „Wo kann man sich in dieser höllverfluchten Burg verbergen? Sie brennt an allen Ecken. Soll ich hier wie ein wildes Schwein lebendig gebraten werden?“

Ehe es hierzu kommt, treten Siegmund und Guido auf und bedrohen ihn mit dem Tode durch das Schwert, falls er nicht sagt, wohin Ubald die Geraubte gebracht. Er stellt sich, als wollte er seinen Freund verrathen, sagt nicht allein, derselbe sei mit Hedwig nach Wien, um sich dort mit ihr trauen zu lassen, sondern beschuldigt Ubald auch, ihn selbst zu allem Bösen verführt zu haben, fleht um Vergebung seines unfreiwilligen Antheils an allen Missethaten und bietet Siegmund seine Dienste und Treue an. Als dieser, durch so viel Heuchelei getäuscht, sich ihm nähert, springt Rädinger plötzlich von seinen Knieen auf und versucht Siegmund zu erdolchen, wird aber statt dessen selbst von Guido niedergestoßen.

Der letzte Act: „Kampf auf Leben und Tod“, beginnt mit einem sehr hübschen Zwischenspiel. Vor dem Hause des Ochsenwirthes wird ein Bauernfest gefeiert. Die Straße vor dem Wirthshause ist durch eine Barrière in zwei Theile geschieden, welche mit Wappen etc. reich geschmückt ist, denn das Volk hat sich hier versammelt, um den Markgrafen von Oesterreich zu empfangen. Ueberraschende Wahrheit der ganzen Scenerie sowohl als der Gruppirung und des Zusammenspiels, anmuthige Einzelscene, welche ein mit einander schmollendes Liebespärchen mit heiterer Schalkhaftigkeit durchführt, ländliche Blechmusik und Volksweisen, die im Chor gesungen werden – Alles das erfreut Auge und Ohr. Der Wirth erzählt einen komischen Vorfall, an dem frischer Antheil genommen wird; volles, regsames Leben pulsirt durch diese Scene.

Nun erscheint Ubald, der gleichfalls hier den Markgrafen begrüßen will; mit ihm Hedwig in weiß-goldenen, purpurnen Prachtgewändern, einen strahlenden Stirnreif im Haar. Sie fleht Ubald an, sie ihres erzwungenen Schwures zu entbinden, sie wünscht den Schleier zu nehmen.

Nun erscheint der Markgraf mit großem Gefolge. Er prangt in Sammet, Goldstickereien und Hermelin. Sein Volk begrüßt ihn mit freudigem Zurufe; er selbst erklärt, daß er in das Land komme, um Gnade und Gerechtigkeit zu üben. Da treten Guido und Siegmund in voller Rüstung vor die Barrière, als Kläger gegen den Grafen und Kanzler Ubald von Eilenburg, den sie öffentlich des „Ueberfalles, Mordes und Dirnenraubes“ zeihen. Der Markgraf, welcher eben noch seinen Kanzler in Gnaden begrüßt, fordert denselben bestürzt zur Erklärung auf. Ubald leugnet Alles. Ein viermal wiederholtes Verhör, zu dem auch Hedwig herangezogen wird, welche sich jenseits der Barrière zurückgezogen, stellt endlich die Sache klar. Siegmund fordert den Gottesgerichtskampf, welcher ihm vom Markgrafen bewilligt wird.

Nun klirren die Schwerter eine geraume Zeit. Ubald und Siegmund kämpfen gewaltig, bis der Bösewicht fällt. Ehe er stirbt, bekennt er seine Missethaten, und Hedwig gewährt ihm die erflehte Verzeihung.

Nun wird die so vielfach Geprüfte vom Markgrafen mit Guido zusammengethan.

Höchst effektvolle Gruppirung der die Bühne füllenden, in glänzenden Farben strahlenden und durch die Vermischung von Volk und Ritterschaft sehr lebendigen Menge. Rothe bengalische Beleuchtung als Schluß.

Dürfen wir nun den Gesammteindruck dieser Schaustellung zusammenfassen, so bleibt er als ein freudiger zurück. Wenn auch falsche Betonung des ungewohnten Hochdeutschen, wenn einige Coulissenreißerei und mancher drollige Anachronismus mitunter eine Heiterkeit weckt, welche dem rührenden Stoffe des Ritterspieles widerspricht, so trägt der Zuschauer doch weit Besseres mit nach Hause, als die Erinnerung an humorvolle Stunden. Wahrhaft volksthümliche Züge im Gange der Handlung, ein aufmerksames Zusammenspiel und der Eifer, womit jeder Theilnehmende seiner Aufgabe gerecht zu werden sucht, müssen an sich schon jeden Freund echter Volksbelustigung befriedigen. Ueberdies tritt uns in der belehrenden und religiösen Tendenz des Stückes die ganze ursprüngliche Anlage der alten Spiele entgegen. Dieser „Schwur um Mitternacht“ spiegelt vollständig jene zu Anfang unseres Jahrhunderts so beliebten Ritter- und Schauerstücke wieder, was den Gang der Handlung betrifft. Doch hat der gesunde Sinn des Volkes dieselben gleichsam umgeschmolzen und in seine eigene Form gegossen, denn das Bauernspiel übertrifft jene hyper-romantischen Ritterspiele sowohl durch weit größere Natürlichkeit und Unmittelbarkeit, als durch sein nicht blos moralisirendes, sondern vorwiegend religiöses Gepräge. Gott wird beständig angerufen, eine höhere Leitung bleibt dem Zuschauer in Angst und Graus als Trost zurück, denn sie webt sich als sichtbarer rother Faden durch die Handlung.

In dem von uns hier skizzirten Stücke erhebt sich die Behandlung des Stoffes nicht selten zu echter Poesie. Momente wie Siegfried’s Erkennen seines Vaters im Sarge, wie das Zusammentreffen der Geschwister im Verließe sind von so unmittelbarer Wirkung, daß der Ernst, womit das Volk seinen Spielern lauscht, sehr begreiflich ist. All’ die Hunderte, welche das ländliche Schauspielhaus füllten, folgten mit sichtlicher, eifriger Spannung jeder Scene des ihrem romantisch-religiösen wie ihrem sittlichen Bewußtsein höchst zusagenden Stückes. Diese Hingabe an das Schauspiel begegnete sich von Seiten der Zuschauer wie der Spieler. Einzelne der Letzteren, wie Vater Steinburg und Rädinger, überraschten durch die Wahrheit und Innigkeit ihres Spieles, und wenn Andere der Aufgabe nicht ebenso gut gewachsen waren, so lag das wahrlich nicht am eigenen Eifer für die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_508.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)