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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Sache. Zu rühmen bleibt auch, daß in den Volksscenen, welche Impromptus nicht blos zulassen, sondern dazu herausfordern, der gesunde Sinn des Tiroler den Mutterwitz nie in Rohheit oder Zweideutigkeit ausarten läßt.

Mit herzlicher Freude durften wir uns sagen, ein echtes Stück kerndeutschen Lebens in origineller Form geschaut zu haben. Möchten diese gegenwärtig schon selten gewordenen und den Tirolern so theuren Spiele ihnen für alle Zukunft erhalten bleiben!




Im Himmelmoos.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„Guten Abend, Base,“ sagte er eintretend, indem er den Schnee von sich und von der Mütze schüttelte und in die erstarrten Hände schlug. „Ein Hundewetter das! Es stöbert und weht die Flocken durcheinander, daß man keinen Schritt vor sich sieht. Es ist doch nur ein Katzensprung von der Werkstätte zum Haus, und ich hab’ doch eine ganze Schneedecke mitgebracht.“

Judika war aufgestanden und hatte sich erboten, einen andern Rock zu holen, der Meister aber lehnte es ab und setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl.

„Laß’ Sie es sein, Base!“ sagte er. „Das greift unser einen nicht an. – Es ist noch Niemand da, wie ich sehe. Die Magenuhr der Gesellen geht also zu spät, oder die meinige geht vor.“

„Ich will gleich das Zeichen geben,“ sagte Judika, „und für’s Anrichten sorgen.“

Sie wollte der Küche zueilen, aber der Meister hielt sie zurück.

„Hat nichts zu sagen,“ begann er wieder, „wenn’s auch ein paar Minuten später wird. Es ist mir ganz recht, daß wir so unter vier Augen beisammen sind; endlich kann ich Ihr sagen, was ich mir schon lange vorgenommen hab’ und was sich nicht länger aufschieben läßt. Ich muß wissen,“ fuhr er fort, als Judika ihn verwundert ansah, „wie ich mit Ihr d’ran bin. Sie weiß, mein Weib hat das Versprechen, das sie mir am Altar gegeben, mein Lebtag’ bei mir zu bleiben, nicht gehalten. Sie liegt drüben im Friedhof, und ich hab’ ihr selber einen schönen, schweren Stein auf’s Grab gemeißelt, aber ich habe selbst doch einen noch viel schwereren Stein auf mir liegen, an dem gar nichts Schönes ist. Ich muß arbeiten, muß mich plagen, mit fremden Leuten hausen; denn heirathen will ich nicht wieder. Ich möcht’ es mir selber und könnt’ es meiner Clara im Grabe nicht anthun. Das Mädel, das ich von ihr hab’, ist im Kloster, damit sie nicht da in der Wildniß aufwächst und etwa ein Unkraut wird. So muß ich in der Wirthschaft eine treue, vertraute Person haben, und so hab’ ich gemeint, ich höre einen Engel singen, wie Sie mir auf meine Anfrage die Botschaft gethan hat, daß Sie nimmer im Himmelmoos bleiben, sondern zu mir kommen wolle, wenn ich einen Platz für Sie hätte.“

„Auf eine Zeit lang,“ bemerkte Judika mit Nachdruck. „Auf eine Zeit lang, habe ich gesagt; für alleweil hab’ ich nichts versprochen.“

„Das ist es eben,“ begann er wieder. „So kann’s nicht fortgehen. Ich muß wissen, auf was ich mich verlassen kann. Ich habe selbiges Mal gleich angespannt und hab’ Sie mit Roß und Wagen abholen wollen, aber Sie hat es nicht gewollt, und hat gesagt, das brauche Niemand zu wissen, wo Sie wäre. Es wär’ Ihr von wegen des Geredes der Leute. Ich hab’ eingewilligt und hab’ auch den Maurer, den Fazi, der seinen Namen nicht mit Unrecht führt, in die Arbeit genommen, so wenig es mich gefreut hat, blos weil Sie ein gutes Wort für ihn eingelegt und gesagt hat, es wäre vielleicht doch noch möglich, einen ordentlichen Burschen aus ihm zu machen.“

„Ja, das habt Ihr allerdings gethan, Vetter,“ entgegnete Judika. „Aber ich hab’ mein Wort auch gehalten und das Hauswesen gewiß so geführt, daß Ihr nichts dagegen einwenden könnt.“

„Nicht soviel, als ein Vogel auf dem Schweife wegtragen kann,“ erwiderte er rasch. „Das ist es eben; ich möcht’ Sie für immer behalten; dann wäre, glaube ich, meine letzte Sorge auf Erden gehoben. Will Sie nicht bleiben, dann muß ich eine Andere suchen. Das ist eine schwere Sach’; deshalb muß ich bei Zeiten darum wissen, daß ich mich vorsehen kann. Sag’ Sie mir rund heraus, wie es damit steht!“

„Es steht noch alleweil’, wie es gestanden hat,“ sagte Judika. „Ich kann noch immer nichts Bestimmtes versprechen, aber es wird wohl nicht mehr lange dauern. Ich muß nur noch Eins abwarten – wenn das zutrifft, dann ist Alles gut, dann werd’ ich bald wissen, was ich zu thun hab’. Wenn’s aber fallirt, so ist es mit mir auch gefehlt, und dann bin ich wohl zu nichts mehr zu gebrauchen.“

„Ach, so arg wird’s nicht werden,“ rief der Meister. „Glaub’ wohl, daß die schreckliche Geschichte vom Himmelmooser Hofe Ihr schwer auf’s Herz gefallen ist; man sieht’s Ihr auch an, daß Sie es noch nicht verwunden hat.“

„Und werd’s auch wohl mein Lebtag nicht verwinden. Drum habt nur noch eine klein’ Geduld, Vetter; es geht mir im Geist vor, als wenn sich die Sach’ bald entscheiden müßt’.“

„Aber was soll sich denn entscheiden?“ fragte der Meister. „Warum hält Sie denn so hinter’m Berge damit? Wenn ich es wüßte. könnt’ ich Ihr vielleicht behülflich sein.“

„Nein, das kann Niemand; das muß ich schon allein durchmachen,“ erwiderte Judika mit traurigem Kopfschütteln.

„Es ist also doch, wie ich mir gleich vom Anfange eingebildet hab’. Sie hat einen besondern Grund gehabt, wegen dessen Sie vom Himmelmoos fort ist; ich hab’ mir gleich nicht einbilden können, daß eine so gescheidte Person wie Sie wegen der Waitz, wegen dem Gespenst, fort sein soll; Sie hat gewiß etwas Anderes im Sinne.“

„Da habt Ihr Recht, Vetter. Euch hab’ ich’s auch nie geleugnet. Ja, ich hab’ was im Sinne, aber ich darf noch nicht davon reden.“

Der Meister wollte noch etwas fragen, als die Steinmetzgesellen und Häuer eintraten, den Meister begrüßten und nach einem kurzen Gebete sich um den Tisch reihten, während Judika in der Küche verschwand, um bald mit einer Schüssel dampfender trockener Kartoffeln zu erscheinen, welche sie auf das Tischtuch schüttete und eine mächtige Schüssel mit brauner Brühe daneben stellte, in welcher Fleischstücke herumschwammen. Während die Arbeiter sich ihren Antheil holten und zu essen begannen, ging der Blick des Meisters in der Runde herum und blieb an dem Platze an der Ofenecke hängen, welcher unbesetzt war.

„Ich zähle nur sechszehn Köpfe,“ sagte er dann. „Wo ist denn Nummer siebzehn? Das ist gewiß der Fazi. Ich will nicht hoffen, daß er schon wieder blau gemacht hat.“

„Das just nicht, aber auch nicht viel anders,“ erwiderte lachend der Obergeselle. „Es hat Einer hingehen müssen in’s Dorf, um beim Obern Wirth wegen dem Grabsteintransport anzufragen. Der Fazi hat sich dazu angeboten; so hab’ ich ihn gehen lassen, weil ich gemeint hab’, daß er dazu immer noch besser zu brauchen ist als in der Werkstatt.“

„Das sieht dem Burschen gleich,“ sagte der Meister ärgerlich. „Wenn er sich nur von der Arbeit losschrauben kann! Da kann er wieder im Wirthshaus ein paar Stunden verludern und versaufen; ich glaub’ so, daß er nur wegen der Kellnerin, der unnützen Dirne, dahin geht.“

„So heißt’s wenigstens,“ sagte einer der Gesellen. „Ich hab’ erzählen hören, er wolle mit ihr fort und warte nur, bis er das Geld dazu beisammen habe.“

Die Gesellen lachten, der Meister aber unterbrach sie.

„Lacht nicht!“ sagte er. „es ist kein Spaß mit dem Fazi; dem trau ich Alles zu. Gott weiß, wo und auf welche Weise er das Geld zusammenbringen will, mit der Arbeit gewiß nicht.“

„Ich möchte nur wissen,“ unterbrach Judika, welche mit ruhiger Aufmerksamkeit zugehört hatte, „warum Ihr gerade gegen den Burschen so scharf seid und seid doch sonst ein so guter Mann. Er hat Euch versprochen, daß er sich bessern will.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_509.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2019)