Seite:Die Gartenlaube (1877) 519.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Jede akademische Kunstausstellung, die sich früher alle zwei Jahre wiederholte und nun alljährlich stattfinden soll, giebt uns ein getreues Abbild von dem bunten Treiben, dem respectabeln Können, dem gegenseitigen Wetteifer, der in der Berliner Künstlerrepublik herrscht, wie der Eine dem Andern seine Kunstgriffe ablauscht, um ihn gelegentlich zu übertrumpfen, wie Dieser sich eigensinnig abschließt und seine eigenen Wege wandelt und wie Jener im Stillen wächst und wächst, um dann urplötzlich Freunde wie Neider zu überraschen.

Beim Antiquitätenhändler.
Nach der Werner’schen Federzeichnung aus dem Weiß’schen Album der Berliner Künstler.

Aber eine solche Kunstausstellung gewährt uns doch immerhin keinen Einblick in das intime Schaffen der Künstler. Sie gleicht einer künstlich arrangirten Gruppirung, zu deren Besichtigung das verehrungswürdige Publicum geladen ist. Rivalitäten und Gegnerschaften spielen da ihr Spiel. Jeder tritt auf den Plan in der bewußten Absicht, sein Bestes geben zu wollen. Auch in seinem Atelier trägt der Künstler nicht immer sein Hauskleid. Wer in das innerste Wesen eines Künstlers, in seine Geistesrichtung, in die Manier seines Schaffens eindringen, wer seine geistige Stufe kennen lernen will, der sehe sich in seinen Studien und Handzeichnungen um. Das weiß der Künstler selbst, und darum hütet er sie wie einen Schatz. Er läßt sich nicht gern in seine Karten gucken, und doch offenbart sich der Künstlergeist am reinsten und freiesten in diesen blitzartig hingeworfenen Gedanken. Wie viel geht auf dem langen Wege zwischen der ersten Studie und dem fertigen Gemälde verloren! Wenn erst die Reflexion dazwischen tritt und die ersten schöpferischen Gedanken feilt und glättet, dann bleibt selten mehr als ein blasses Abbild von der ursprünglichen Idee zurück. Nur wenigen großen Meistern war es vergönnt, den Weg vom Gedanken bis zur That mit Blitzesschnelle zurücklegen zu können, so lange der schaffende Funke noch glühte.

Handzeichnungen sind darum Leckerbissen für artistische Feinschmecker. An ihnen regelt sich das Urtheil über manchen Verkannten und Mißachteten, an ihnen erhebt sich das Gefühl der Hochachtung vor Dem und Jenem zur unbedingten Bewunderung. Selten nur glückt es dem Freunde der Kunst, einen Einblick in die Handzeichnungen eines lebenden Meisters zu erlangen, aber wohl noch niemals hat sich die Gelegenheit geboten, mit einem Blicke eine beträchtliche Anzahl hervorragende, moderne Künstler in ihren Handzeichnungen bewundern zu dürfen.

Ein seltener Anlaß hat den Freunden der Kunst diesen unverhofften Genuß verschafft. Die Berliner Künstlerschaft hat sich im Anfange dieses Jahres vereinigt, um einem verdienten Lehrer der Kunst, den widrige Umstände zwangen, seine umfassende, segensreiche Thätigkeit theilweise einschränken, als ein Zeichen ihrer Hochachtung und Dankbarkeit ein Ehrengeschenk zu stiften, der Geber wie des Empfängers in gleicher Weise würdig, ein Ehrengeschenk, das in seiner Art wohl einzig dastehen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_519.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)