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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

dürfte. Jeder namhafte Künstler Berlins verpflichtete sich, von seinen Handzeichnungen eine herzugeben, und die also gesammelten wurden zu einem Album vereinigt, das dem würdigen Manne im Frühling dieses Jahres überreicht worden ist.

Dieser also geehrte Mann, der mit Stolz auf ein unvergleichliches Weihegeschenk sehen kann, ist Professor Hermann Weiß, der in den weitesten Kreisen bekannte Verfasser der „Costümkunde“. Seit fünfundzwanzig Jahren ist Professor Weiß thätig, in Berlin das Studium und die Liebe zur Kunst mit heißem Bemühen zu fördern. Er steht heute in der Mitte der Fünfziger. Bart und Haupthaar hat ihm die Sorge des Lebens längst gebleicht. Aber trotz schwerer Enttäuschungen ist seine erstaunliche Arbeitskraft noch heute ungeschwächt, leuchtet sein Geist noch in jugendlicher Frische auf.

Im Jahre 1822 geboren, machte er erst die schwere Lehre des Handwerks durch, bevor er sich der Kunst zuwendete. Er brachte vier Jahre im Atelier des Malers J. S. Otto zu und begab sich dann nach Düsseldorf, wo er sich der von Schadow beeinflußten, damals herrschenden Richtung anschloß. Aber schon bald nach dem Jahre 1850 vertauschte der rastlos vorwärts strebende Mann den Pinsel mit der Feder. Er war nach Berlin zurückgekehrt und dort in die Kreise begeisterter Kunstjünger eingeführt worden, die sich um die anregend und fördernd wirkenden Nestoren der Kunstwissenschaft, um Schnaase und Kugler, sammelten. Neben den ziemlich gleichaltrigen Eggers und Lübke vermehrte er zunächst im „Kunstblatt“ die Resultate einer längeren Kunstreise, die er durch Süddeutschland, Oesterreich und Frankreich unternommen. Kugler war es, der den jungen Kunstforscher zuerst auf das Gebiet der Culturgeschichte, speciell der Costümgeschichte, hinwies. Auf seinen Rath begann er um das Jahr 1855 ein „Handbuch der Costümkunde“ zunächst für Künstler zu schreiben, von dem die erste Abtheilung 1860 im Verlage von Ebner und Seubert erschien. Die Vollendung des umfassenden Werkes, welches im Ganzen eine rastlose Thätigkeit von siebenzehn Jahren in Anspruch nahm, fiel in das Jahr 1874. Die „Costümkunde“ ist ein Werk von epochemachender Bedeutung in der Geschichte unserer Kunst und Wissenschaft. Keine andere Nation kann ihm ein ähnliches an die Seite setzen. Die „Costümkunde“, welche die Geschichte des Costümes und des Geräths von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1820 umfaßt, hat der heillosen Verwirrung ein Ende gemacht, welche bislang auf den Historienbildern unserer Maler herrschte. Kein ernst strebender Künstler konnte sich mehr den Forderungen der Costümwissenschaft entziehen; an die Stelle „malerischer“ Willkür trat fortan das strenge Studium, zu welchem die „Costümkunde“ von Hermann Weiß die Wege gewiesen. Das Werk ist noch über die Grenzen der bildenden Kunst hinaus von epochemachendem Einfluß gewesen. Der Herzog von Meiningen hat sich die tiefe Kennerschaft des Verfassers zu Nutze gemacht und ihn, gelegentlich eines Aufenthaltes am Meininger Hof, veranlaßt, jene mit bewunderungswürdiger archäologischer Treue hergestellten Costüme zu Shakespeares „Julius Cäsar“ zu entwerfen, die bei den späteren Triumphzügen der Meininger Hoftheatergesellschaft durch Deutschland die Aufmerksamkeit des gebildeten Publicums erregten und den ersten Anstoß zu einer gründlichen Regeneration des Bühnenwesens gaben. Auch die reichen venetianischen Costüme der Meininger sind nach der Anleitung des Professors Weiß gefertigt.

Für ein so verdienstvolles Wirken ist die Anerkennung nicht ausgeblieben. Im Jahre 1856 wurde Weiß zum Professor an der Berliner Kunstakademie ernannt, an welcher er bis auf den heutigen Tag als Lehrer der Costümgeschichte thätig ist. Im Jahre 1873 wurde er als einziger Preisrichter für die vervielfältigenden Künste von der deutschen Commission für die Weltausstellung nach Wien berufen. Eine stattliche Anzahl von Orden und Ehrenzeichen beweist die Anerkennung, die er für diese seine Thätigkeit und seine wissenschaftlichen Leistungen bei den Kaisern von Deutschland und Oesterreich und bei den deutschen Fürsten gefunden. Seit länger als fünfzehn Jahren war Professor Weiß an der Leitung des königlichen Kupferstichcabinets betheiligt, die er seit dem Tode Hotho’s bis zum Anfange dieses Jahres mit großem Geschick und ebenso großer Sachkenntniß selbstständig führte. Unter seiner Leitung hat das Cabinet sehr wesentliche Bereicherungen erfahren; er machte durch sorgfältige Ordnung, mit Hülfe seines treuen Mitarbeiters Wessely, die umfangreichen Sammlungen den Künstlern wie dem großen Publicum zugänglich, und darum gab sich in den literarischen und Künstlerkreisen Berlins eine allgemeine, fast demonstrative Theilnahme kund, als der verehrte Lehrer, der Macht der Verhältnisse weichend, im Anfange dieses Jahres aus der Leitung des Kupferstichcabinets schied.

Es ist hier nicht der Ort, die Motive dieses bedauerlichen Rücktritts weiter zu erörtern. Sie beanspruchen ein besonderes Capitel in der inneren Geschichte des Berliner Künstlerlebens, die ohnehin nicht reich an erfreulichen Seiten ist. Wir begnügen uns noch einmal auf das einmüthige Zusammenhalten der Berliner Künstlerschaft hinzuweisen, die ihrem Freund und Führer bei seinem Scheiden aus einer liebgewordenen Thätigkeit eine so sinnige Ovation dargebracht hat.

Wer da weiß, wie schwer sich ein Künstler von einer Handzeichnung, dem ureigensten Ausdrucke seines Wesens, trennt, der wird die gebotene Gabe ihrem vollen Werthe nach zu schätzen wissen. Das kostbare, aus dem Atelier von Vollgold und Sohn hervorgegangen Album, welches dem Professor Weiß Namens der Berliner Künstlerschaft durch August von Heyden am 15. April 1877 überreicht wurde, enthält achtzig Feder-, Kreide-, Stiftzeichnungen und Aquarelle, leichte Skizzen, Kinder des flüchtigen Augenblicks, und sorgfältig ausgeführte Blätter, denen das echte Genie den Stempel mühelosen Schaffens aufzuprägen wußte. Wer sich durch den Glanz eines berühmten Namens blenden läßt, der trifft da zuerst den Altmeister der Berliner Kunst, den knorrigen Naturalisten, den Maler des Preußenthums, Adolf Menzel, Ludwig Knaus, den berühmten Portraitisten der Wirklichkeit, der jüngst zum Erstaunen und zur Freude seiner unzähligen Verehrer die Madonna mit dem heiligen Kinde in die Grenzen der Endlichkeit bannte, der den menschlichen Kern aus der schimmernden Schale der Gottheit löste, Gustav Richter, den vornehmsten Bildnißmaler, den die Kunstgeschichte seit van Dyck kennt, C. Graef, den feinen Kenner der Seele, wie sie sich im menschlichen Angesicht spiegelt, August von Heyden, den schönheitsdurstigen Romantiker, W. Gentz, der es wie kein zweiter verstanden hat, dem nordischen Auge die Wunder des Orients in ihrer ganzen Farbenpracht zu vergegenwärtigen, Paul Meyerheim, den liebenswürdigen Thiermaler, C. Steffeck, den gewandten Sportsman auf der Leinwand, und H. Eschke, den ersten unserer Marinemaler, dessen Pinsel sich in flüssiges Gold zu tauchen scheint, wenn er die Reflexe des Sonnenlichts auf der Meeresfläche auf die Leinwand bannen will.

Da fehlt nicht der originelle Künstler, dessen kühner Naturalismus eine so nüchterne Stadt wie Berlin Monde lang völlig verblüfft hat, Karl Gussow, der Mann, der die Farbe mit derselben plastischen Kraft behandelt wie der Bildhauer den gefügigen Thon. Und hinter diesen Heroen der Kunst rückt als zweites Treffen eine stattliche Künstlercohorte heran, deren einzelne Glieder, mehr oder minder Virtuosen in ihrer Kunst, Specialitäten pflegen, welche ihren Namen zu gutem Klange verholfen haben: die Historienmaler C. Becker, Plockhorst, Spangenberg, die Genremaler Breitbach, Dielitz, Amberg, A. Schwartz, Brausewetter, F. Meyerheim, Ehrentraut, Lüben, Bennewitz von Löfen, der den heimathlichen Wäldern und Flüssen der Mark ihre eigenthümliche Poesie abgelauscht, und C. Scherres, der unübertreffliche Meister der Regenlandschaft. Auch die Bildhauer haben ihre Gaben beigesteuert: Afinger, Reinhold Begas, O. Geyer, J. Moser und Schaper.

Getreu dem Grundsatze seines Lebens, daß die Kunst das Gemeingut der Nation ist, daß die Kunst ihre erhabene Mission erst erfüllt, wenn sie alle Schichten des Volkes gleichmäßig durchdringt, hat Professor Weiß auf die Bitte des Unterzeichneten eine Perle seiner Sammlung den Lesern der „Gartenlaube“ mitgetheilt, welche in wohlgelungener Reproduction diesem Aufsatze beigegeben ist. Fritz Werner, der feinste Kenner des Rococo, der mit erstaunlicher Virtuosität die wundersame Welt des chinesischen Porcellans, des Reifrocks und der Puderfrisur aus Staub und Moder auferstehen heißt, ist der „deutsche Meissonnier“ genannt worden. Er trägt diesen Ehrennamen mit Recht; aber man thäte ihm Unrecht, wollte man ihn unter die Zahl der geschickten Nachahmer rechnen, die von erborgtem Glanze leben. Jeder seiner feinen, aber sicheren Pinselstriche verräth den geistvollen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_520.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)