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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Meister, aus dessen Seele heraus sich die Gestalten der Vorzeit zu einem neuen Leben emporringen. Seine Figuren haben nichts Gemachtes, nichts künstlich Anempfundenes, sondern jenen frischen Puls des Lebens, der das Erbtheil des Genies ist. Die farbenglänzenden Interieurs, in denen seine Gestalten leben, verrathen nirgends ein mühsames archäologisches Studium, und in wie hohem Grade ihm ein feiner, liebenswürdiger Humor zu Gebote steht, zeigt die köstliche Gruppe auf unserem Bilde, die schwierige Unterhandlung zwischen dem reichen, vornehmen Kunstliebhaber und dem verschmitzten, verwachsenen Antiquitätenhändler, der sich achselzuckend die Hände reibt und mit verliebten Blicken auf den Nautilus, die kostbare Conchylie in den Händen des Amateurs schielt, von der er sich selber nur schwer zu trennen vermag.

A. Rbg.




Ein Jubilar des königlichen Spiels.


Wer in den Gärten des Leipziger Schützenhauses um die Mitte des Juli auf- und abspazierte, ehe noch die bunten Lichter des Abends aus den Bosquets und von den Triumphthoren leuchteten, und ehe noch um den Drachenthurm und hinter der Alhambra die Alpen zu glühen begannen: der erblickte in den Colonnaden und in den Gartennischen zahlreiche Gruppen, die sich meist schweigend hin und her bewegten, hier oder dort zu dichteren Massen sich sammelten, einander zuflüsterten mit bedeutsamer Zeichensprache oder weiter hinaus in’s Freie traten, um ihrem Herzen in lauterer Rede Luft machen zu können.

Kein Zweifel, man hatte es mit einer Gemeinde zu thun, die einen besonderen Cultus pflegte; unverkennbar war es, daß hier ein Geist der Andacht herrschte, zugleich eine Spannung und Aufregung, wie man sie bei frommen Gemeinden findet, die ganz aparter Offenbarungen gewärtig sind.

Wer näher hinzutrat, der hörte denn auch geheimnißvolle Worte und glaubte in den Zauberkreis einer Kabbala gerathen zu sein oder zu Buchstabengläubigen in des Wortes verwegenster Bedeutung; denn Zahlen und Buchstaben schwirrten durch die Luft: e2 bis e4, c7 bis c5, h2 bis h3; so flüsterte es hier und dort, dazwischen tönten frommklingende Wendungen, und Schriftgelehrte hörten andächtig zu, griffen plötzlich zum Bleistift und verzeichneten auf langen Rollen eine Zeichenschrift, aus Buchstaben, Zahlen, Kreuzen und Strichen bestehend, die den Unkundigen so räthselhaft gemahnte, wie die Hieroglyphen Aegyptens und selbst der neuesten und schönsten Papyrusrolle, des vielgenannten „Papyros Ebers“.

Theilte sich aber hier und dort die dichtzusammengedrängte Menge, so fiel der Blick auf tiefsinnig herabgeneigte Gesichter, die in so undurchdringliches Brüten verloren schienen, wie die indischen Brahmanen, welche das bedeutsame Wort „Qiü“ aussprachen.

Der alte Fabeldichter Lichtwer würde bei diesem Anblicke an seine Verse erinnert haben:

Wenn sie nicht sehen, hören, fühlen,
Mein Gott, was thun sie denn? Sie spielen!

Und er hätte des Räthsels Lösung gefunden.

In der That, es war die Gemeinde des königlichen Spiels, des Schachspiels, die sich in Leipzig zusammengefunden hatte, um das fünfzigjährige Jubiläum des berühmten Meisters, des Professors Anderssen, festlich zu begehen. Und wie man in den verschollenen Zeiten des Ritterthums zu festlicher Feier Turniere veranstaltete, so geschah es auch hier; die unblutigen und geräuschlosen Turniere des Schachs nahmen eine Woche lang ihren Fortgang; es bedurfte keiner Heilkünstler und Heilkräuter für die Verwundeten, und dennoch fühlte Mancher innerlich eine unsanfte Erschütterung, wenn er aus dem Sattel gehoben wurde.

Sie waren aus allen deutschen Landen herbeigeströmt, die Meister und Freunde des Schachs, um sich an der Feier zu betheiligen; auch aus Wien war einer der besten Spieler erschienen; die Rheinlande hatten tüchtige Kämpen gesendet, ebenso die Hauptstadt des deutschen Reiches und das benachbarte Elbflorenz; ja, aus London war Zuckertort, von dem ältesten Club der Erde, dem St. Georg-Club, abgesandt worden, um dem Professor Anderssen das Ehrendiplom zu überreichen. Die beiden Brüder Paulsen, von denen besonders Louis Paulsen einer der ausgezeichnetsten Matchspieler ist, betheiligten sich an dem Meisterturniere; kurz, es war die Blüthe der Ritterschaft des edlen Schachs versammelt, um dem ältesten Meister zu huldigen.

Adolf Anderssen ist kein Schachspieler von Profession; er ist in staatsbürgerlicher Hinsicht Professor, Lehrer der Mathematik und deutschen Sprache am Friedrichs-Gymnasium zu Breslau.

Schon früh zeigte er ein hervorragendes Talent für das Schach; der Verfasser dieser Zeilen hat mit ihm bereits im Jahre 1844 in den Räumen der sogenannten „Nova an der grünen Baumbrücke“ manche Lanze gebrochen; schon damals galt Anderssen für ein Phänomen des Schachspiels. Es war die Zeit der jungen Berühmtheiten, eine zukunftsvolle Zeit. In dem einen Zimmer spielte man mit Anderssen Schach; in dem andern debattirte man über philosophische Fragen mit dem jungen Ferdinand Lassalle, der damals ebenfalls schon für einen ausgezeichneten Kopf galt und im Fangspiele der Begriffe eine seltene Gewandtheit besaß.

Anderssen’s Weltruhm als Schachspieler datirt von dem großen Londoner Turniere im Jahre 1851, auf welchem er nicht nur namhafte Spieler, wie Kinseritzky und Spun, besiegte, sondern auch den berühmtesten englischen Schachmeister Staunton aus dem Sattel hob. Bei dem zweiten englischen Turniere im Jahre 1862 gewann er wiederum den ersten Preis. Dagegen war er im Wettkampfe mit dem Amerikaner Morphy in Paris 1858 unterlegen und hatte gerade dadurch wesentlich dazu beigetragen, dem Rufe des nordamerikanischen Weltwunders eine glänzende Folie zu geben. Ohne jene thörichte Eitelkeit, welche einmal gewonnenen Ruhm ängstlich zu bewahren sucht, ist Anderssen, im Vertrauen auf seine Kraft, die durch einzelne Unfälle nicht geschädigt werden kann, stets von Neuem bei zahlreichen Wettkämpfen erschienen, sowie er immer bereit ist, mit Großen und Geringen zu spielen; jede falsche Vornehmheit ist ihm fremd, und zahlreich sind die Preise, die er bei kleineren Turnieren davon getragen hat. Vor dem Pariser Wettkampf war Anderssen etwas aus der Uebung; sagt er doch selbst: „Die Schachmeisterschaft läßt sich nicht gleich einem Kleinode im Glasschränkchen aufbewahren, um sie zur Nothzeit bei der Hand zu haben, sondern sie kann nur durch stete gediegene Uebung conservirt werden.“

Doch selbst in jenen Partieen mit Morphy haben die feinsten Kenner des Schachspiels bei Anderssen die Ueberlegenheit genialen Spiels, eines ungewöhnlichen Tief- und Scharfblickes anerkannt, während der Amerikaner dagegen Sieger blieb durch die nie wankende Festigkeit seiner Ueberlegungen, die seltenste Ruhe in den schwierigsten Situationen, welche nie ein offenbares Versehen macht. Von solchen Versehen, ja selbst von Fingerfehlern ist Anderssen’s Spiel nicht ganz frei gewesen, namentlich in Paris, wo die Fremdartigkeit der Umgebungen den Sinn des deutschen Gastes zerstreuen mußte. Für das praktische Spiel waren die Vorzüge Morphy’s entscheidender und warfen das ausschlaggebende Gewicht in die Wagschale von Gewinn und Verlust; für die Fortschritte des Schachspiels selbst waren auch Anderssen’s Verlustpartieen lehrreicher, wie dies erst neuerdings in einem schmeichelhaften Schreiben der große Theoretiker, Heydebrandt von der Lasa, der deutsche Gesandte in Kopenhagen, ausdrücklich, anerkannt hat.

Mancher Leser und manche Leserin wird vielleicht verwundert fragen, wie man von einem Spiel so viel Wesens machen kann, zu welchem ein einfaches Brett und eine Schachtel voll Figuren die einzigen Requisiten sind. Ja, der geheimnißvolle Türke in der Schachmaschine, der übt eine besondere Anziehungskraft aus. Freilich nur das Geheimniß der Maschinerie, das Spiel selbst erscheint dabei als gleichgültig. Die Schachmaschine ließ erst den Congreß vorübergehen, ehe sie im Leipziger Schützenhaus ihren Einzug hielt; sie betheiligte sich nicht an den Schachturnieren; die Chronik ihrer Siege wäre sonst in bedenklicher Weise durchlöchert worden.

Gewiß, es sind einfache Mittel, deren sich das Schach zur Erreichung seiner Ziele bedient; aber wie einfach sind die vier Saiten einer Violine, wie einfach ist die Claviatur eines Pianoforte und welche Welt von Tönen und Empfindungen weiß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_521.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)