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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Russen in die Hände gefallen ist. Allerdings war diese Division auf ein Minimum zusammengeschrumpft, denn sie zählte nur sechstausend ganz herabgekommene, halb verhungerte Menschen. Es klingt daher auch nicht wie bloße Rodomontade, wenn erzählt wird, daß die Meisten froh waren, in Gefangenschaft zu gerathen. Jedenfalls sah gestern der zur Internirung nach Bukarest abgehende Assam-Pascha, ein feister, nicht unschöner Herr, nicht darnach aus, als mache ihm sein Schicksal besondere Schmerzen. Er speiste wohlgemuth in dem Absteigequartier, wo er den Tag zugebracht hatte, spaßte mit den ihn begleitenden russischen Officieren und schien sich wenig um die Neugierde zu kümmern, die er hervorrief, als er vom Bahnhofe Targovisti in der Richtung nach Kischenew weiter dampfte.

Der jähe Fall von Nikopolis wird als ein Fingerzeig für das Schicksal von Rustschuk betrachtet. Gegen diese offenbar dem Untergange geweihte Stadt zieht sich ein artilleristisches Donnerwetter zusammen, gegen welches das bereits ausgestandene kaum ein Sprühregen sein dürfte. Ihr Berichterstatter ist am Posten und wird bald von dieser Richtung aus Interessantes zu erzählen haben, das sich jedoch im heutigen Stadium der Berichterstattung noch entzieht.

Paul d’Abrest.




Einer jungen Braut.
Segensspruch von Herman Semmig.


Ich sah dich blüh’n; fast noch ein Kind,
Hast du gesessen mir zu Füßen,
Zart wie die Rose, wenn sie lind
Die ersten Sonnenstrahlen grüßen.
Ich seh’ dich noch, die Schülerin,
Aufmerksam lauschen meinem Worte,
Wenn ich mit treu bedächt’gem Sinn
Dir aufschloß der Erkenntniß Pforte.

Doch wenn, was wahr und schön und gut,
Ich deinem Mädchenaug’ enthüllte
Und mit der Dichtung heil’ger Gluth
Begeisternd deine Seel’ erfüllte:
Dann leuchtete dein Augenpaar
Bei jedem Wort, das ich gesprochen,
Und frommen Ernstes wunderbar
Sah oft ich deine Schläfe pochen.

Dann zogst du aus die Kinderschuh’
– Es werden ja aus Kindern Leute –
Und plötzlich nun erscheinest du,
O süßer Schreck! im Schmuck der Bräute.
Wie auch voll jugendlicher Lust
Dein Herz geschwelgt im Glanz des Maien,
Froh schauernd ahnt es deiner Brust:
Am schönsten lebt sich’s doch zu Zweien.

Im Haar der keuschen Myrte Zier,
So gehst du hin nun zum Altare –
So geh’ beglückt! Gott sei mit dir,
Mit Euch, dem wonnetrunk’nen Paare!
Der edler Frauen Werth erkannt,
Das höchste Glück durch sie gefunden,
Nun segnet dich auch seine Hand
Und ihn, dem liebend du verbunden.

O sei gewiß! es täuscht dich nicht,
Was dir geahnt im Mädchenherzen;
Selbst um die sorgenschwere Pflicht
Spielt gaukelnd eine Schaar von Scherzen.
Und ob der Jugend Mai verblich,
Ob einst auch schnei’n des Alters Flocken:
Ein Paradies erblüht um dich
Voll Engelchen in blonden Locken.

Und wenn dereinst voll Mutterlust
Du mild die eignen Kleinen lehrest,
Durch fromme Sprüch’ in ihrer Brust
Den Erbschatz deiner Tugend mehrest:
Dann denk’ als frohe Lehrerin
Des Lehrers noch in grauem Haare,
Der einst in dir gepflegt den Sinn
Für alles Schöne, Gute, Wahre!




Im Himmelmoos.
Von Herman Schmid.
(Schluß.)


Es war keine Täuschung; es hatte wirklich so gerufen. Auch Judika war darüber emporgeschnellt und stand, ebenfalls bebend, mit bleichen Lippen da. Und abermals und noch näher erscholl derselbe Ruf von derselben Stimme, nur noch kläglicher und ängstlicher.

Fazi murmelte von Zuckungen geschüttelt: „Das ist seine Stimme; er ist’s. Er ist’s,“ schrie er abermals und versuchte sich zu erheben, aber im Augenblicke ging die Thür auf und auf der Schwelle stand Wildl. „Da ist er selber!“ rief Fazi wieder, raffte sich abermals auf und versuchte zu entfliehen, da er aber die Thür verstellt fand, stürzte er gewaltsam zu Boden. „Helft, helft!“ heulte er, sich am Boden wälzend. „Er kommt; er will mich. Ich will ja Alles sagen. Ich bin’s gewesen; ich hab’ ihn umgebracht.“

In höchster Erregung beugte sich Judika über den Unglücklichen, der, von immer heftigeren Krämpfen geschüttelt, dalag und nicht gewahr wurde, daß das Bekenntniß seiner Schuld bereits Zeugen gefunden hatte. Der Meister und einige Arbeiter waren auf das Geschrei herbeigeeilt, auch Wildl war eingetreten, sichtlich in hohem Grade erregt und geängstigt, was ihn um Vieles älter erscheinen ließ und es wohl erklärlich machte, daß Fazi in seiner Verwirrung den Vater in ihm zu erblicken glaubte. Als derselbe allmählich zu sich kam, sich erhob und um sich blickte, als mit dem Verfliegen des Rausches ihm die Erinnerung und das Bewußtsein des Vorgefallenen klar wurde, versuchte er nicht mehr dagegen anzukämpfen – wie betäubt ergab er sich darein, als die Häuer ihn an Händen und Füßen knebelten, um ihm das Entrinnen unmöglich zu machen.

Auch Wildl’s plötzliches Erscheinen erklärte sich bald.

Er war am Morgen beim Vorsteher gewesen, hatte demselben sein Vorhaben wegen des Verkaufs und der Auswanderung erklärt und von dem Manne, der die Erfüllung eines Lieblingswunsches nahe sah, ohne Schwierigkeit Judika’s Aufenthalt erfahren, der unter diesen Umständen kein Geheimniß mehr für ihn sein sollte. Sofort war er zu Engerl geeilt, um auch sie davon in Kenntniß zu setzen und dann das Fuhrwerk zu rüsten, das sie in den nicht sehr entlegenen Bruch führen sollte. Auf dem Rückwege zwischen den Zäunen und Häusern hinschreitend, ward er, ohne bemerkt zu werden, ein paar Bauern in eifrigem, lautem Gespräche gewahr, aus dem er deutlich seinen Namen heraushörte.

Lauschend blieb er stehen und erfuhr daraus zu seiner nicht geringen Verwunderung, daß in der Zwischenzeit der Nachtwächter, der eine Weile im Schnee liegen geblieben, dann aber mit einer Beule am Kopf heimgeschlichen war, beim Vorsteher die Geschichte angezeigt und dieser sofort die Verhaftung des Frevlers angeordnet hatte, der es gewagt, sich an einer obrigkeitlichen Person zu vergreifen. Man suchte ihn im Hofe, und es war offenbar, daß, wenn man ihn dort nicht fände, man im Steinbruche nach ihm fahnden würde. Die Fahrt mußte daher aufgegeben und auch der Gang bis zum Abend verschoben werden. Die Hütte, welche Engerl zur Herberge gedient, wurde zum Versteck für Beide, und erst bei vollständig eingebrochener Dunkelheit machten sie sich auf den Weg. Die nächtliche Wanderung wäre auch ohne alle Schwierigkeiten vollendet worden, hätte nicht zu der Finsterniß sich Unwetter und Schneegestöber gesellt, sodaß Engerl das Unglück hatte, ausgleitend sich den Fuß zu vertreten, sodaß sie nicht mehr zu gehen vermochte und Wildl sie auf den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_528.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)