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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Portal der alten, unlängst zum Rathhause umgewandelten Kaiserpfalz ein ehrbarer Dachdeckermeister anrufen, als er in seinem niedrigen, schwarzen Filzhut und dem braunen, mit nachgemachtem Pelz besetzten „Trappert“, dem bei den Bürgern noch üblichen Urvater der vornehmeren „Schaube“, vor einem Karren mit Hohlziegeln einher schritt, um die Schäden auszubessern, die der Aprilsturm am Dache der Pfalz angerichtet, „he, Gevatter, wißt Ihr's schon?“

Der Meister sah auf und blickte in das spitznasige, pfiffige Gesicht des kleinen Rathsschließers oder „Castellans“, wie er sich lieber nennen hörte, der in Hemdsärmeln, aber zum Schutze gegen die frische Morgenluft schon mit der rothen, hinten im Nacken mit Zaddeln gezierten Mütze auf dem Kahlkopfe, im Fenster lehnte. Das Männchen galt für einen jener Spaßvögel, die man im benachbarten Flamland „Geestigart“ zu nennen pflegte, ohne Unterschied, ob sie ihre Späße auf mehr oder weniger geistige Art zu machen verstanden.

„Gott zum Gruß, Gevatter, was soll ich wissen?“ erwiderte der Angeredete stehen bleibend.

„Daß Prinz Max da ist und bei Euch in die Lehre gehen will!“

Die Gesellen, die den Karren zogen, lachten laut auf und blieben gleichfalls stehen. Vorübergehende traten hinzu.

„Danke für die Ehre!“ rief der Meister launig nach oben. „Wozu sollte der Prinz auch so hoch hinauf wollen, mit mein Handwerk zu lernen?“

„Weil es am Dache von Burgund etwas zu flicken giebt!“

„Glaub's!“ stimmte der Dachdecker mit Lachen bei.

Inzwischen hatte das laute Reden und Lachen auch die Nachbarsleute herbeigezogen. Baarhäuptig mit lang herunterhängendem, über der Stirn glattgeschnittenem Haar, der sogenannten „Kolbe“, oder schon im niedrigen Filzhut zum Ausgehen, kamen sie in ihren farbigen Wollenblousen, den Tuniken des Nordens, in ihren strumpfartigen Beinkeidern und farbig ausgeschlagenen Lederschuhen aus den Häusern geschlüpft, wie stelzbeinige Hofhähne, wenn sie nach dem Frühwetter ausschauen oder Morgenfutter wittern, und bald schwirrte es, gleich dem Gegacker auf dem Hühnerhofe, von Fragen und Gegenfragen laut durcheinander.

„He, Jungfer Sibylle,“ rief der Kleine einem Mädchen zu, das im braunen Leibchen über dem hochgeschürzten rothen Rocke, ein weißes Tuch gleich dem Weisel der Nonnen über dem Flachshaar mit langen Zöpfen, zwei Milcheimer am Schwengel über den Schultern trug und eben in das Portal einbiegen wollte, „he, Jüngferchen, Du kommst von der Frankenburg? Hohe Gäste angekommen?“

„Ja, Herr Castellan, der Prinz ist da.“

„Mit großem Gefolge?“

„Ein alter Ritter, ein schöner welscher Junker und viele Pferde und Hunde.“

„Pferde und Hunde als Gefolge!“ erscholl es in lautem Gelächter.

„Der Heerbann ist auf den Hund gekommen!“ witzelte das Männchen. „Aber ich sag' es Euch: Krieg giebt es doch, großmächtigen blutigen Krieg ... mit französischen Wölfen und vlämischen Sauen! Wo jagt man denn, Kleine?“

„Kann's nicht sagen, Herr. Aber da kommt Einer, der's besser weiß. Ist ein Vetter zum Herrn Waldvogt.“

Damit deutete das Mädchen auf die Straße, auf welcher zwei Männer hinter einander gingen, und wollte eintreten.

„Der Rothe?“ fragte der Rathsschließer noch.

„Nein, der Bunte!“ lachte das Mädchen und verschwand unter dem Portal.

Der Bunte, ein junger Mann in der Tracht der Armbrustschützengilde, stutzermäßig im kurzen bunt gestreiften, mit grauem Kaninchenfell besetzten „Scheckenrocke“, dessen am Handgelenk enge, bis oben aufgeschlitzte Aermel eine hellere Jacke durchblicken ließen, stolzirte in den eng anliegenden Beinkleidern und den langen Schnabelschuhen, einen Federstutz am Barett, die Armbrust seitwärts am Gürtel hangend, keck daher und sah sich, als er die Gruppe erreichte, alsbald von Fragenden umdrängt.

„Ihr kennt den Waldvogt?“

„Wißt Ihr, warum Prinz Max gekommen?“

„Nur zum Jagen?“

„Wo will er jagen? Was will er jagen?“

Auch der Rothe war jetzt herzugetreten und, als er die Fragen hörte, überrascht stehen geblieben.

„Das kann ich Euch ganz genau vermelden,“ erwiderte sichtlich geschmeichelt der Bunte, indem er sich selbstgefällig das lange Haar aus beiden Seiten des Gesichtes strich. „Der kaiserliche Waldvogt ist mein Herr Vetter. Prinz Max wollte längst gern auf Sauen jagen. Sintemal aber das Rudel mit den stärksten Ebern zwischen dem Hohen Venn und dem Ardennerwald wechselt, so hat mein Herr Vetter vorerst an den burgundischen Wildmeister in Verviers schreiben lassen, er solle ihm zu wissen thun, wann das Schwarzwild hüben liege, und ob er zu einer Grenzjagd mit dem Prinzen halb Part mit ihm machen wolle. 's hat lange gedauert, aber endlich ist Antwort kommen. Am hohen Venn, unweit der Grenze, liegt das Wild, und der Prinz wollte heute in aller Frühe mit meinem Herrn Vetter von der Frankenburg wegreiten. Er muß schon fort sein.“

„Mit Verlaub,“ nahm jetzt der Rothe das Wort, „welchen Weg nehmen sie da?“

„Ueber Eupen gen Montjoie,“ antwortete der junge Mann leichthin.

„Der Prinz wird doch nicht über die Grenze gehen?“ fragte Jener mit auffallendem Eifer weiter.

„Je nachdem. Warum auch nicht?“ versetzte der Andere, sich verwundert umwendend, zumal da dem Rothen ein Ausruf des Schreckens, wenn auch in unverständlicher Mundart, entfuhr. Und jetzt erst richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf den neuen Ankömmling.

Es war eine seltsame Erscheinung, der hagere Mann in der fremdartigen Tracht, der mit Fiedel und Bogen am Gürtelhaken als wandernder Spielmann vor ihnen stand. Auf dem kurzgekräuselten Haar von jener aschgrauen Farbe, die nicht altert, weil man ihr das Alter nicht ansehen kann, trug er eine rothe Filzkappe mit grünem Zweige. Ueber seinen Schultern hing eine gleichfalls rothe „Gugel“, jene aus einem Stück Tuch mit Kopfloch bestehende einfachste Gattung aller Mäntel, die bei Landbewohnern üblich war. Die grauen Beinstrümpfe dagegen hatte er, nach Art der Waldbewohner früherer Jahrhunderte, von den Schuhen bis über die Wade mit Bast umwunden.

Das Auffallendste an ihm aber war nicht die Tracht, sondern das Gesicht. Denn eingerahmt von ungewöhnlich dunklen, schräg nach oben laufenden Brauen über kleinen, grauen, verschmitzt blickenden Augen und einem krausen, nach burgundischer Sitte ausgezackten blonden Barte, erhob sich auf der ursprünglich leichtgebogenen Nase wie ein Vorgebirge ein großer röthlicher Höcker. Und wunderbar, dieses Promontorium schien nicht am Nasenbeine festgewurzelt, sondern nur ein Auswuchs der Haut zu sein, denn es ließ sich, je nach dem Willen seines Besitzers, durch ein bloßes Zucken der Gesichtsmuskeln auf so lächerliche Weise verschieben, daß derselbe sich schon mit dieser Kunst allein hätte für Geld sehen lassen können. Es war damals nichts Ungewöhnliches, daß wandernde Spielleute zugleich mehr oder weniger die Possenreißer spielten, um mit größerem Beifall auch größere Kupfermünzen zu ernten; aber das Kunststück, das der Rothe jetzt unmittelbar nach seinem Ausrufe und, wie es dem Kleinen im Fenster schien, absichtlich um die Aufmerksamkeit von seiner Frage abzulenken, den ihn neugierig Angaffenden zum Besten gab, verfehlte selbst auf die an derbe Späße Gewöhnten seine Wirkung nicht.

„He, was gafft Ihr?“ rief er, mit vorgestrecktem Kopfe im Kreise herum, die Nächsten groß anstarrend. „Habt Ihr noch keine richtige Nase gesehen? Da seht sie, seht sie, seht sie!“ Und mit tiefem Athemzuge seine weiten Nasenflügel aufblähend und sie zittern machend, schob er mit demselben Athem Höcker und Brauen in die Höhe und ließ sie im raschen Wechsel so krampfartig auf- und niedertanzen, daß die anfangs verblüffte Menge alsbald in ein unauslöschliches Gelächter ausbrach.

„Ein Affe, ein Affe!“ schrie es und lachte es von allen Seiten.

Auch der Kleine im Fenster schien seinen Verdacht vergessen zu haben und erlustirte sich weidlich an dem Schauspiele. Dann aber konnte er dem Verlangen nicht widerstehen, sich mit seinem grotesken Mitbewerber um die Gunst des Publicums auf „geistige Art“ zu messen.

„He, Nasenkönig,“ lachte er herunter, „was bist Du denn für ein Landsmann?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_548.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)