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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


die Scheuerbürste. Zweihundert Pferdekraft in Dampf bewegen außer wenigen Maschinen nur die Stoffe hin und her. Die Anfuhr und Abfuhr aller Lasten geschieht auf der neuen Brauerei mittelst Locomotive; die ältere konnte ihrer unebenen Lage wegen kein Gleis erbauen, muß daher einen Fuhrpark halten.

An Gerste, dem vornehmsten Bestandtheile des Bieres, verbrauchen beide jährlich ein Quantum von dreihundertfünfzigtausend österreichischen Metzen, etwa einundzwanzig Millionen fünfhunderttausend Liter. Zur Versinnlichung dieser Zahlen sei angeführt, daß ein Acker, der diese Menge erzeugen sollte, drittehalb Quadratmeilen oder ungefähr vierzehntausend Hectaren groß sein müßte. Man sagt, Hopfen sei ein Unkraut, nun, wohl Dem, dessen Acker solch ein Unkraut trägt, die Saazer Hopfenbauern streichen für die nöthigen 3500 Centner Unkraut alljährlich die Summe von einer Million vierhunderttausend Mark ein.

Die Feuer unter den Dampfkesseln, den Malzdarren und den ungeheueren Sudpfannen fressen jährlich zweitausend Wagenladungen Kohle. Ebenso muß auch für den zweiten Hauptfactor in Brauereien, die Kälte, gesorgt werden. Siebentausend österreichische Kubikklaftern oder achthunderttausend Centner Eis sind nöthig, um die äußerste Klärung zu bewerkstelligen. Eine gleichzeitige Anfuhr dieser wahrhaften Gletschermassen würde vierundsechszigtausend Pferde erfordern. In dem milden Winter von 1872 zu 1873 war das Eis in Pilsen ein kostbarer Artikel, mehrere tausend Wagenladungen mußten die Locomotiven aus den Gebirgen herbeischleppen, ohne daß der volle Bedarf gedeckt werden konnte. Es ist gut, daß unsere Erde wieder der Eisperiode zusteuert. Zehntausend Centner Pech hat der Böhmerwald jährlich Tribut nach Pilsen zu entrichten. Doch zur Hauptsache, zu den Biermassen.

Man glaubte bei der Gründung mit vierundsechszig Eimern das tägliche Bedürfniß Pilsens zu decken, heute muß weit mehr sein für den Hausbedarf in den Brauereien selbst. Der Hauskellerbeamte der bürgerlichen Brauerei versicherte, daß er fünfzig Eimer täglich an das Personal verzapfen lasse; um nicht fehl zu greifen, nehme ich den Actiendurst nur mit dreißig Eimer an, die Notiz wird dadurch an Frappanz nichts einbüßen, denn das sind achttausendachthundert deutsche Seidel oder halbe Liter auf nur siebenhundert Kehlen.

Was man übrig lassen muß, fordert natürlich ein ganzes Heer von Zechern; und die Zahl Derer, die da glauben Pilsener zu trinken, ist Legion; leider schlagen betrügerische Wirthe oft mit sehr zweifelhaftem Gebräu Capital aus dem rechtlich erworbenen Rufe des Pilsener Bieres und, was das Schlimmste ist, sie schädigen ihn bei dem, der nicht im Stande ist, die Täuschung zu erkennen.

Den stärksten Antheil an dem Verbrauche nimmt Oesterreich selbst. Nächstdem stellt der reichsconsolidirte Germane seinen Mann. Die berühmtesten Bierstädte Baierns, München voran, sind nicht die geringsten Abnehmer. In dem waldfrischen Schlesien, in dem sonnigen Rheinland, im rührigen Sachsen und Thüringen, bei den Holsten, bei den Schwaben wie bei den Aelplern erfreut man sich an dem krystallklaren, bernsteinfarbigen Bierquell. Selbst von hoher Stelle zu Berlin ergingen Befehle an die jüngere Braunixe, ob im allerhöchsten Auftrage, weiß ich nicht, jedenfalls ist der königliche Trank auch eines kaiserlichen Durstes würdig.

Der Magyar, der Pole trinkt das beliebte Naß des unbeliebten Teutonen; es perlt champagnerlustig auf den Tafeln der sarmatischen Großen, und selbst der gemeine Russe räumt ihm hie und da neben dem Sanct Wutky noch ein Plätzchen in seinem Herzen ein. Auch in Italien und in Frankreich werben die reifenumschnürten Pilsener Apostel eifrig um Proselyten.

Obgleich der Franzose noch mißtrauisch auf die „neue germanische Invasion“ hinblickt, im Geheimen gesteht er, wie der Verbrauch zeigt, doch zu, daß die Schaumraketen unwiderstehlich sind, wie die Kanonen von Krupp. Die böhmischen Riesinnen werfen ihre Netze aus über den Ocean. An allen Strömen der neuen Welt kennt und verehrt man die Töchter der Radbusa, und ein etwas stärker gebrauter Trank aus der Actienbrauerei geht in Flaschen über die Prairien und die Rocky Mountains bis hin zu dem fernsten Mitarbeiter der „Gartenlaube“, nach San Francisco; es durchkreuzt den Aequator nach Java, Indien und den La Platastaaten; der Malaie, der Hindu, der Gaucho trinkt es oder sieht es trinken von dem sonnengebräunten Europäer; es sucht den himmlischen Sohn des Reiches der Mitte auf; es steigt über die Anden zu den Enkeln der Azteken und Altperuaner.

Daß solche Mengen von Bier, die sieben bis acht Monat lagern müssen, große Kellereien beanspruchen, daran dachte schon der Leser, doch wird seine Vorstellung kaum die Wirklichkeit erreicht haben. Reihen wir die hohen, gutventilirten Gewölbe, die nach allen Richtungen hin von den Hauptstollen aus abzweigen, aneinander, so erhalten wir einen Tunnel von der Länge einer vollen deutschen Meile. Hier lagern stätig für fünf Millionen Mark Bier. Friedlich und schweigsam liegen die Faßungeheuer neben- und übereinander, nur zuweilen vernimmt man ein unheimliches Knurren, wie stille Seufzer gewaltsam unterdrückter Freiheit.

Alle hier angegebenen Zahlen fundiren auf statistischen Ausweisen, zum Theil von amtlicher Natur; beide Brauereien zahlen bei höchster Tagesproduction viertausend Gulden Brausteuer, im Jahre etwa einundeinhalb Millionen Mark. Wahrlich, ein Finanzminister hat Ursache, den Durst in seinem Reiche zu fördern.

Das Brauen selbst ist ein ziemlich einfaches Verfahren, wenn nicht die Chemie hineinsündigt. Malzersatzmittel, aber noch mehr die des Hopfens, als da sind: Belladonna, Quassia, Bitterklee, Strychnin, Kokelskörner, Herbstzeitlose, Colchicum und ähnliche liebliche Gegenstände, machen den Brauproceß freilich verwickelter; doch sei gleich zur Ehre einer zahlreichen Berufsclasse hinzugefügt, daß die Welt wohl sehr viel auch über die Geheimnisse an den Braupfannen fabelt. Man rechnet sich vor: mit wie wenig Strychnin läßt sich ein Centner Hopfen für zweihundert Gulden zur Nothdurft ersetzen? Man findet das krampfhaft verlockend, aber man bedenkt nicht, daß jeder Braubursche eine Zunge im Munde führt, die theurer werden könnte, als der beste Saazer Hopfen. Daß es vorkommt, ist unstreitig, Schelme giebt es in jedem Stande, freilich kann ein brauender Schelm mehr Unheil anrichten, als tausend Einbrecher, er bricht Tausenden in die Schatzkammern der Gesundheit. Für die Pilsener Etablissements in dieser Angelegenheit einzutreten, ist wohl überflüssig, man müßte dort selbst Kokelskörner bis zur Betäubung genossen haben, wenn man angesichts der großartigen Erfolge von dem alten guten Recepte abweichen wollte.

Geeignetes Wasser, Gerste, Hopfen und Hefe in rechter Zusammensetzung, dann eine sorgfältige Behandlung, schließlich eine tadellose Reinlichleit – das schafft uns, abgesehen von einigen Handwerksvortheilen beim Gähren und Klären, einzig und allein ein gesundes gutes Bier; die neuere Zeit hat nur die Behandlung verbessert, an den Stoffen haben die Jahrtausende seit der Erfindung nichts hinzusetzen können als Werthloses und Niederträchtiges. Das Weitergehende, die Finesse, das Exquisite im Geschmacke einzelner Biere läßt sich nicht absichtlich herstellen; diese Tränke werden, so scheint es, von Launen der Natur begünstigt, die oft mit dem Fachberufenen ein wahres Versteckenspiel treiben. Was hat man nicht Alles schon nachbrauen wollen, und wie wenig ist es gelungen! Auch die Oertlichkeit muß auf die feinsten Grade des Gelingens von Einfluß sein; man hat z. B. Pilsener Wasser nach auswärts verfrachtet, man hat aber kein Pilsener Bier daraus gebraut.

Wer von den geehrten Lesern sich für ein einfaches Brauverfahren interessirt, der folge mir durch die ganz modern eingerichtete neue Brauerei, die wegen ihrer äußerst vortheilhaften Anlage den übersichtlichsten Betrieb zuläßt.

Sobald die Gerste im Brauhaus ankommt, bringt man sie durch ein Paternosterwerk auf die Sortirmaschine, ein Werk, welches selbstständiger arbeitet als so mancher Mensch, man braucht sich stundenlang nicht um dasselbe zu kümmern; Alles, was hier die Eigenschaft eines Gerstenkorns nicht besitzt, wird durch eine sinnreiche Vorrichtung beseitigt, ebenso werden alle leichten schlechten Körner, als unwürdig einer so trefflichen Veredelung, herausgeworfen. Ein Schneckenwerk, das heißt eine Welle, an der in schneckenhausförmigen Windungen Flügel angeschraubt sind, die sich innerhalb einer Röhre umdrehen, rollt und drängt die gereinigten Körner auf die Speicher, wo sie, zu wahren Hügeln aufgethürmt, ihres Schicksals harren.

Den natürlichen Fall benutzend, lassen die Mälzer das nöthige Quantum nach dem Souterrain und zwar vorerst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_572.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)