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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Keiner erlaube sich, bei hochnotpeinlicher Ahndung, uns anders zu nennen! Selbst unsere Heimath bleibe verschwiegen! Unser Herr sei im fernen Osten der 'Weißkunig', und das minnigliche Fräulein, um dessen Hand ich werbe, heiße 'Ehrenreich'. Mißglückt dann das Wagniß, so war es ein fahrender Ritter, der es unternahm, und leichtlich mag er sich mit Golde lösen. Glückt es aber und habe ich Maria die freie Herrschaft zurückgewonnen, dann erscheint Maximilian wieder in Köllen und die Gesandtschaft mag für ihn werben, zu Ehren des Reiches! ... Ihr lächelt, Alter? Euch scheint das wieder ein romantisches Jugendstück? – O, gönnt doch der Jugend ihr Vorrecht! Gedenkt Eures eigenen Sohnes! Neun Jahre alt ist er freilich erst, Euer kleiner Siegmund in Wippach, aber denkt ihn Euch in meinem Alter, denkt, daß auch von ihm einst die Umstände ein warmes Herz und ritterliche That verlangten, und sagt ehrlich: Möchtet Ihr Euren Sohn in solcher Lage erst vorsorglich rechnen, ihn erst die Erlaubniß seines Vaters abwarten sehen? ... Ihr stampft mit dem Fuße. Ihr würdet es nicht – Wohl, Alter, so dürft Ihr es auch nicht von mir begehren, sonst müßte ich Euch sagen: Es ist nur die eigene Verantwortlichkeit, die Ihr scheuet.“

„Ihr habt eine glatte Zunge, Prinz,“ murrte sichtlich betroffen der Alte. „Aber sparet Eure Ueberredungskünste! Ich bin ein Kriegsmann und kenne nur die eine Pflicht, Gehorsam gegen den Befehl.“

„Herberstein, wenn Ihr jeden anderen Grund zurückweiset, so möget Ihr auch den letzten noch hören. Vielleicht daß Ihr dann doch Euch bewegen lasset, denn er kommt aus der Seele dessen, den der Himmel durch Geburt zum künftigen Herrn des deutschen Reiches berufen hat. Sehet, nicht allein wäre für mich auf ewig Maria verloren, auch für mein Haus Burgund. An unserer Statt gewönne es ein Feind, und ob für den Augenblick des Clevers Schwänke oder Ludwig's Ränke die Beute davon tragen, schließlich muß sie dem mächtigen Frankreich zufallen zum Verderben Deutschlands. Dagegen hilft keine noch so glänzende Gesandtschaft; dagegen hilft nur rasche That. O, nicht umsonst hat mich mein Vater in den Historien alter und neuer Völker unterweisen lassen. Ich habe es gelernt von den Helden aller Zeiten, vor Allen aber von Carolus Magnus, dem 'Sonnenspiegel des Reiches', was kühne That zur rechten Stunde vermag. Oder fragt der Landmann, wenn die goldene Maht zum Heimsen vor ihm liegt und drohend Gewölk am Himmel steht, ob der Erntewagen festlich geschmückt sei? Und so ist es hier, ist es mit Burgund. Diese blühenden Lande, durch Säumniß schwacher Kaiser losgelöst vom deutschen Verbande, liegen sie nicht unter der Sichel der Noth wie eine goldene Maht vor mir und harren meines Armes, daß er ihre Schätze für uns einheimse? Stellt Euch doch vor Augen, welchen Segen sie für Deutschland bieten! Denkt ihrer meerbeherrschenden Flotte, die bis an die fernsten Nordspitzen des Landes der Russen segelt! Denkt, welche Stapelplätze uns ihre Häfen sein werden, welch ein Markt für den Welthandel ihre Städte, die den Reichthum aller Welten jetzt in eitel Genuß und Prunksucht verschwenden! Denkt aber auch des köstlicheren Gewinnstes für die Bildung unseres Volkes auf ihren sechs hohen Schulen, für unsere Gewerbe in den Werkstätten ihres Kunstfleißes. Denkt des Einflusses, den der burgundische Thron als Muster in Pracht, Kunstsinn und seiner Hofsitte auf alle Höfe Europas ausübt – und ich sollte zögern, auf einen Zug solche Schätze für meine Heimath zu gewinnen, sie zu ihrem Ansehn, ihrem Ruhme zu verwerthen? O, mein schönes, großes und doch so sterbenssieches Vaterland, wie sehr bedarfst du nicht frischen, gesunden Blutes, um zu genesen, zu erstarken und zu neuer Größe zu erblühen! Ja, Herberstein, ich träume ihm noch eine goldene Zukunft, und, so Gott mir beisteht, möchte ich mein Theil dazu thun.“

Hohe Begeisterung strahlte aus dem Antlitz des schwärmerischen Kaisersohnes, als er seinen Gedankenflug zum ersten Male also verlautbarte. Mit offenem Munde und großen schwarzen Augen starrte ihn der Page in unverhohlener Bewunderung an. Tief gerührt aber schritt der Ritter auf ihn zu.

„Lasset Euch umarmen, Prinz!“ rief er. „Das sind Worte, die einem deutschen Herzen wohlthun.“

Mit vollem Entzücken umarmte ihn der Prinz. Er wähnte den Alten besiegt, für seine Sache gewonnen.

„Ja, mein alter Hofmeister,“ rief er, „Ihr sollt mir das neue Banner vortragen, und das sei eine weiße Fahne mit goldenen Glückssternen und Marienäpfeln darunter!“

Schmerzlich wandte sich der Alte ab. „Ihr habt mich gerührt, Prinz, denn Ihr habt mich einen tiefen Blick in Eure edle Seele thun lassen. Aber das Banner trage ich Euch nicht, denn Euer Unternehmen kann ich nimmermehr gutheißen.“

„Herberstein, noch immer nicht?“ rief, kaum seinen Ohren trauend, der Prinz. „Dann habt Ihr kein Herz für mich, kein Herz für das Reich in der Brust.“

„Ob ich es habe!“ sagte mit zum Himmel erhobenem Blick der Alte. „Für Euch – wie hättet Ihr mich sonst also rühren mögen? Für das Reich? O Prinz, wollte Gott, daß Ihr das edle Feuer, das in Euch glühet, einst in weise Schranken zu dämmen verstündet, auf daß es den Herd des Reiches erwärme und nicht knisternd über Rand und Band in unfruchtbaren Funken zersplittere! Aber die sicherste aller Schranken übersprüht es schon jetzt, und diese Schranke ist – das Recht.“

„Das Recht, Herberstein?“

„Mit welchem Rechte strebet Ihr in das Geschick eines fremden Staates einzugreifen und seine Schätze Euch für das Reich anzueignen?“

Mit dem Rechte des künftigen Gemahls,“ erwiderte erstaunt der Prinz. „Ist nicht Maria längst meine verlobte Braut?“

„Nein, Prinz,“ nahm, also herausgefordert, dieser das Wort. „Die Staaten sind es, die jetzt über die Hand der Herzogin zu bestimmen haben, denn sie hat eingewilliget und verbrieft, sich nicht ohne ihre Zustimmung zu vermählen.“

„Ha, Alter, und was hat ihnen die Einwilligung verschafft? Empörung gegen ihre junge Herrin in der Stunde der Noth. Noch jetzt ist sie in der Gewalt frecher Aufrührer, und nicht zum Letzten bin ich gesonnen, ihr die Freiheit und ihr angestammtes Recht zurück zu gewinnen.“

„Es mag ein zweideutig Ding um das Recht der Empörung sein und um das neue Recht, das es schaffet,“ nickte sinnend der Alte vor sich hin, „aber keinesfalls ist es klug, noch geziemet es Euch, in ein fremdes Wespennest zu stören.“

„Also hätte ich Euch schon so weit, Herberstein,“ fuhr Maximilian, scharfen Blickes die Blöße erkennend, fast erbittert in dieselbe hinein, „daß Ihr von der Pflicht zum Rechte und vom Rechte zur Klugheit heruntergestiegen seid. Die Klugheit aber rechnet, und da ich das Rechnen verschmähe, wo Ruhm und Ehre rufen, so bin ich zu Ende mit meinem Latein und kann Euch nur sagen: Rechnet, Alter, rechnet in Wien mit meinem Vater! Denn so Ihr mir nicht folgen wollt, gehe ich allein.“

Mit großen Augen sah ihn der Alte an. „Was sagt Ihr, Prinz? Welch ein Gedanke! Und das könnet Ihr für möglich halten? ... Ich Euch verlassen? O Prinz, Euch zu warnen, bis zum Aeußersten zu warnen, war ich meiner Pflicht, meiner Treue gegen Kaisers Majestät schuldig, und redlich habe ich die Pflicht erfüllt. Aber nicht ich habe über Euch zu bestimmen – Ihr seid ja selbstständig worden. Und Euch verlassen, ich, in der Stunde der Gefahr? Prinz, Prinz, wie verkennet Ihr mich!“

Mit Thränen in den Augen breitete er die Arme gegen ihn aus.

„Ich wußte es ja,“ rief gerührt der Prinz und warf sich an seine Brust.

„Bravi, bravi!“ jubelte der Page, das Trinkhorn ergreifend. „Und jetzt angestoßen, Herr!“

„Auf ihr Wohl!“ rief Maximilian, trank und reichte das Horn dem Ritter.

„Auf ihr Wohl und das Eure!“ sprach feierlich der Alte und trank.

„Nun zeige auch Du, Jünkerlein, wie viel Du schon von Liebe verstehst!“ wandte sich fröhlich Maximilian an den Pagen und reichte ihm das noch zur Hälfte gefüllte Horn.

„Alla di léi salute!“ rief ernsthaft der Junker, ließ den Wein auf einen Zug unaufhaltsam hinunterrinnen und machte lachend eben die Nagelprobe, als ein lauter Ausruf der abseits gelagerten Reitknechte Aller Augen auf einen neuen Ankömmling lenkte.

Niemand von ihnen hatte bisher auf den Grauen geachtet, der, nachdem er sein Pferd versorgt, am Rande des Baches seine einfache Kost zu sich genommen hatte. Wer ihn freilich beobachtet

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