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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


hätte, würde an der schrägen Haltung seines Kopfes bemerkt haben, daß er mit seinem ansehnlichen, von Natur wie zum Hörrohre geschaffenen Ohre auch die leiseste der Schallwellen aufzufangen bestrebt war, die in der Stille des Waldes von den Sprechenden zu ihm herüberdrangen. Diese Stellung machte ihn aber auch ebenso empfänglich für jeden anderen Laut, und just als er mit stillvergnügtem Nicken die Umarmung begleitete, mit welcher der alte Ritter seinen jungen Herrn wider Willen so grausam täuschte, mußte wohl ein fremder Ton zu ihm gedrungen sein, denn blitzschnell, aber geräuschlos, erhob er sich, nahm die längliche Halftertasche an sich und verschwand hinter den Büschen. Der ferne Hufschlag eines Pferdes aus derselben Richtung, in der sie selbst vor einer halben Stunde gekommen, war an sein Ohr geschlagen. Lautlos schlich er hinter den Reitknechten herum zu einer Stelle, wo der Waldweg sich eine weite Strecke bis hinter eine Kreuzung übersehen ließ. Er hatte sich nicht getäuscht. Ein Reiter kam von ferne dahergetrabt. Es schien ein kleines, auffallend in den Schultern steckendes Bäuerlein in blauem Wollkittel und niedrigem schwarzem Filzhut zu sein, das einen Sack vor sich auf dem Sattel trug. Als er aber an den Kreuzweg kam, hielt er seinen Gaul an und beugte den Kopf, wie spähend, zur Erde nieder.

„Aha, ich weiß genug,“ sagte sich der Graue, zog sich wenige Augenblicke hinter einen Busch zurück und erschien in unglaublich kurzer Zeit, wie durch Hexerei verwandelt – wenn es überhaupt nicht ein Anderer war – wieder bei seinen Gefährten. Ein Ausruf des Erstaunens entfuhr den Reitknechten.

„Ah!“ rief der Prinz, „Ahi!“ der Page, als sie seiner ansichtig wurden.

Es war ein rother Spielmann, der vor ihnen auftauchte – roth die Kappe, roth die Gugel, Fiedel und Bogen am Gürtel – mit spärlich blondem, ausgezacktem Barte und einem wundersamlichen Höcker auf der Nase. Und doch erinnerte er auffallend an den Grauen. Ja, der Graue mußte es selbst sein. Das war seine Gestalt, das der Schnitt seiner Kleider, sein bastumwundenes Schuhwerk; das waren die verschmitzten grauen Augen unter den schrägen Brauen und, das Sprechendste von Allem, die beredten Nasenflügel. Aber konnte ein Mensch sich verwandeln, wie eine Schlange sich häutet? Denn zugleich mit der äußern schien er auch seine innere Natur gewechselt zu haben. Das war nicht mehr der ernsthafte Alte, der dem Prinzen eben noch über die wichtigsten Dinge verständige Auskunft und wohlbegründeten Rath gegeben hatte. Mit der Farbe der Jugend mußte auch ihr Muthwille, ihre Thorheit über ihn gekommen sein. Denn als er jetzt, scheinbar ohne alle Veranlassung, anhub, seine Nasenflügel spielen zu lassen, und Höcker und Brauen sich hoben und senkten, als seien sie durch unsichtbare Fäden mit jenen verbunden, da konnten sich weder Diener noch Herren halten – sie Alle brachen in ein helles Gelächter aus. Er aber, ohne ein Wort der Aufklärung zu verlieren, riß Fiedel und Bogen von der Seite, strich als Präludium eine schrille Weise, deren Tact er mit tänzelnder Bewegung der Fußspitzen und der Hacken markirte, und ging plötzlich zu dem beliebten brabantischen Kinderliede vom Riesen über, das er mit heiserem Tenor drastisch-komisch vortrug. Bei dem Refrain des Liedes aber, wo es heißt: „Dreh' dich schnell um! Der Riese kommt, der Riese kommt“ griff er einen der verwundert lauschenden Reitknechte, schwang sich mit dem Verblüfften im Zweitritt einmal im Kreise herum, drückte ihm von rückwärts den Nacken vor, und deutete mit dem Fiedelbogen des Weges, auf dem der Reiter kommen mußte.

Ritter und Knechte halten sich die Seiten vor Lachen, während der Fiedler mit Geigen, Singen und Grimassiren fortfuhr. Und siehe da, als er mit dem Diener jetzt denselben Umschwung hielt und ihm mit dem Bogen die Richtung zeigte, erschien vor ihnen der kleine bucklige Reiter und hielt verwundert seinen Gaul an. So drastisch aber war die Wirkung, als statt des kinderschreckenden Riesen das mißgestaltete Bäuerlein vor ihnen auftauchte, daß der Prinz niemals ähnlich Lächerliches erlebt zu haben meinte, und selbst der Bucklige sich nicht enthalten konnte, ob seiner Eigenschaft als Riese in das Gelächter einzustimmen.

Sichtbar stolz auf seinen Erfolg sang der Fiedler auch noch den dritten Vers, hielt den Umschwung, zeigte hänselnd auf den Reiter, lief dann auf denselben zu, machte ihm mit einem Fußkratz seine Reverenz und hielt ihm die Mütze hin.

Die Wirkung machte die Absicht alsbald klar; denn anstatt ihm das erwartete Stüberstück zuzuwerfen, gab der Bauer hastig seinem Gaule einen Schlag mit der Weidengerte und galoppirte von dannen, nicht ohne im Vorbeireiten noch mit einem scharfen Blicke die Gesellschaft gemustert zu haben. Der Fiedler aber drehte ihm eine Nase hinterdrein und sang ihm noch einen letzten Vers nach. Dann lauschte er, bis der Hufschlag nur noch in weiter Ferne zu vernehmen war, und kehrte zum Prinzen zurück.

„Herr,“ sagte er, ganz in der frühern Weise des Grauen, „der Hallunke war ein Kundschafter des Rothbärtigen, denn ich sah ihn deutlich am Kreuzwege die Hufspuren unserer Thiere untersuchen. Ich wette meinen Kopf, er biegt bei dem ersten Seitenwege links ab und berichtet jenseits der Grenze, was er gesehen.“

„Mag er es!“ erwiderte geringschätzig der Prinz.

„Meinet Ihr, Herr? Der Rothbärtige, dünkt mich, wird also rechnen: Hat der Prinz wirklich eiligen Befehl nach Wien, so muß er durch Eupen auf der Heerstraße nach Aachen reiten, schon um in Aachen frische Pferde zu nehmen. Er ritt aber auf einem Umwege um Eupen herum und hielt Rast im Walde – das bedeutet, daß er etwas Besonderes vorhat.“

Maximilian nickte betroffen mit dem Kopfe.

„Meine Gegenrechnung aber,“ fuhr der Fiedler mit verschmitztem Blicke fort, „ist also: Es war eine lustige Rast, die der Prinz im Walde hielt; er zechte, ließ sich von einem vlämischen Bänkelsänger Schnurren vorsingen und erlustirte sich daran. Folglich kann es nichts Wichtiges, noch ein groß Geheimniß sein, was er vorhat, denn ernste Dinge geben ernste Gedanken, und er weiß, daß der Spielmann aller Welt erzählen wird, wann und wo er ihm begegnet ist.“

„Ihr seid ein Geriebener,“ nickte der Prinz.

„Was ist's mit dem Rothbärtigen, Herr?“ fragte der Ritter, der hoch aufgehorcht hatte.

„Ich erzähle Euch das unterwegs mit Allem, was Euch sonst zu wissen nöthig,“ vertröstete ihn Maximilian, sich erhebend, „denn mich dünkt es an der Zeit, aufzubrechen. Aber vorher berichtet uns: wie in aller Welt habet Ihr die Zauberei da mit Euch möglich gemacht?“

„So, Herr!“ sagte der Fiedler, nahm seine Kappe ab, hob mit einem Ruck die Gugel über den Kopf, drehte die rothe Seite nach innen und steckte den Kopf wieder hindurch, klappte ebenso die Mütze um und setzte sie wieder auf, zog einen falschen grauen Bart hervor, heftete ihn mit den feinen Drahthäkchen daran hinter den Ohren fest, riß den Höcker von der Nase und stand in weniger als zwei Minuten vor den erstaunten Zuschauern als grauer Alter da.

„Oh bella!“ rief der Page.

„Ecco Ceschy,“ lachte der Prinz, „das Fabelthier Chamäleon von außen und von innen! ... „Wahrlich, Fiedler, eine gute Vermummung.“

„Das getreue Bild eines Gelderers, Herr!“ versetzte der Graue in plötzlich wieder ernsthaftem, fast kummervollem Tone. „Er weiß nicht, ob er Fisch ist oder Fleisch, und ist doch der getreue Wasserhund, der mit Liebe an seinem Herrn hängt.“ ...

„Und dem Wir helfen wollen, so weit Wir vermögen,“ tröstete der Erbe des römischen Reiches. „Aber jetzt läßt es mich nicht mehr. Noch einen Trunk, und dann ...“ – – – –

Die Pferde standen bereit. Man schwang sich in die Sättel, und vorwärts ging es dem Norden zu. Der Graue aber führte den Zug, indem er sorgfältig die Hufspuren beobachtete, die der Klepper des Bäuerleins hinterlassen hatte.




3. Am burgundischen Hofe.

Vier Tage nach den Ereignissen, die sich an dem hohen Venn zugetragen, führte in Gent um die Mittagszeit Maria von Burgund, die junge Herzogin, ihre eben angekommene Base, die Aebtissin Gräfin Chimay, schweigend die Marmorstufen des Fürstenhofes hinauf. Es war ein trauriges Wiedersehen, und nur mit stummem Händedruck war Maria drunten im Stande gewesen, ihre fromme Base zu begrüßen. Kaum aber hatte sie im Empfangssaale das Gefolge verabschiedet und sah sich mit ihr allein, als sie ihren mit Mühe zurückgehaltenen Empfindungen freien Lauf ließ und sich mit dem Ausruf: „Base, Base, welche Zeiten!“ schluchzend an ihre Brust warf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_597.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)