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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

sowie kamige Biere neu zu beleben und blank zu machen“; doppelt schwefligsaurer Kalk, als Mittel, „das Fortschreiten der Gährung zu verzögern“ (was sonst ein guter Keller besorgt) und „den Zuckerstoff zu erhöhen“, oder ein gut Theil „Hopfen zu ersetzen“. Ferner werden ausgeboten doppelt schwefligsaures Natron, Salicylsäure, Weinsteinsäure, kohlensaures Magnesium, Alaun, Moussirungspulver, Entsäuerungspulver, Chlorkalk, Leinsamenschleim etc.

In der bedeutendsten Fachzeitschrift, dem „Bierbrauer“, deren Herausgeber der Director einer Brauakademie in Süddeutschland ist, und auf den mit Medaillen geschmückten Prospecte machen sich Anpreisungen von Mitteln breit, wie folgende. „Brauereien sparen fünfundzwanzig bis vierzig Procent, welche sich Traubenzucker von Stärke oder Reis nach einfachster Methode selbst bereiten.“ Jeder weiß, wie schwer und kostspielig es ist, Trauben- d. h. Kartoffelzucker völlig rein herzustellen, und man kann sich nun eine Vorstellung machen, was für eine ekelhafte Schmiere bei dieser Selbstbereitung durch den Brauer zu Stande kommt. Ein anderer erbietet sich, Anleitung zur Herstellung jedes kranken Bieres zu geben, oder lehrt, „fertiges einfaches Bier im Fasse selbst zu Doppelbier, Salvator oder Bock zu machen und zwar mit fünf bis zehn Pfennige Auslage für das Liter“, oder ihm die Eigenschaften des Münchener Bieres zu geben. Und wem der kolossale Gewinn, welcher durch Schmieren mit Glycerin erzielt wird, noch nicht genügt, der findet eine vortheilhafte Ersetzung des Glycerins angeboten, „wobei der unangenehme Geschmack, den dasselbe stets mit der Zeit mittheilt, durch einen angenehmen ersetzt ist“. Ein anderes Geheimmittel bewirkt, „daß der Schaum im Glase fingerdick stehen bleibt“. Die beiden Hauptsitze dieser Schmierartikelfabrikanten sind Berlin und Nürnberg. Ich habe ein gutes Sortiment solcher Anpreisungen und Annoncen in den Händen und kann jederzeit eine große Anzahl Ehrenmänner namhaft machen, welche ausschließlich oder vorherrschend Brausurrogate fabriciren und recht gute Geschäfte machen. Am Schluß solcher Prospecte fehlt dann nie die Versicherung strengster Discretion – „Verschwiegenheit meinerseits Ehrensache“ – sowie die Bitte, bei der Bestellung gefälligst bestimmen zu wollen, als was der Brauer das Surrogat declarirt haben will; „es versteht sich wohl von selbst, daß bei uns kein Abnehmer genannt wird, und daß die Waare unter der Bezeichnung versandt wird, die Sie uns aufzugeben belieben,“ schreibt der Eine, während ein Anderer noch einen Schritt weiter geht, indem er schreibt: „Durch Rücksichten, deren Art und Bedeutung ich wohl nicht hervorzuheben brauche, bin ich verhindert, Ihnen eine große Zahl Firmen zu nennen. Es ist nicht nur Geschäftsprinzip, die Namen meiner Kundschaft in diesem Artikel gegen Dritte strengstens geheim zu halten, ich habe außerdem Vorkehrungen getroffen, daß dieselben nicht in meinen laufenden Geschäftsbüchern vorkommen,“ und in derselben Anpreisung eines Surrogates, dessen geringer Preis „durch einen verminderten Hopfenzusatz mehr als ersetzt wird“, heißt es ferner: „Diese Methode ist ihrer Einfachheit halber und weil die Manipulation dadurch vor dem Personal geheim gehalten werden kann, die gebräuchlichste.“ Man begreift in der That nicht, wie solche Elemente bis jetzt dem Staatsanwalt haben entgehen können, obgleich die Anpreisungen wiederholentlich in großen Zeitungen offen erwähnt worden sind. Und dann liest man auf den Preismedaillen, welche den Prospecten und Rechnungen dieser Leute vorgedruckt sind, Aufschriften wie „Zur Beförderung des Gewerbfleißes“. Mit demselben Rechte, wie diese Malzsurrogate, könnte man auf Ausstellungen z. B. die Erfindung eines polizeisicheren Verfahrens beim Kellerwechselreiten, Lombardenfixen, bei Falschmünzerei etc. durch Preismedaillen auszeichnen. In Amerika giebt es bereits, wie die Zeitungen melden, Fabriken, die sich mit der Herstellung vollständiger Apparate von Diebshandwerkzeug beschäftigen, und es könnte uns nach den bisherigen Erfahrungen gar nicht mehr befremden, wenn solch ein sauberes Besteck mit Brechstangen, Ditrichen etc. auf einer der nächsten Weltausstellungen erschiene und zur „Beförderung des Gewerbfleißes“ prämiirt würde.

So wandern denn tagtäglich die ekelhaften, rein auf die Täuschung des Publicums berechneten Surrogate im Unschuldskleide einer gefälschten Declaration als Faßlack, Holzlack, Maschinenöl etc. unter den Augen der wachsamen Polizei und der noch wachsameren Sanitätsbehörden ganz munter in die chemischen Laboratorien – ich wollte sagen Bierbrauereien. Die Bezeichnung Holzlack ist ordentlich sarkastisch und trifft den Nagel auf den Kopf, denn mit diesem Holzlack werden die Holzköpfe von vertrauensseligen Consumenten gründlich lackirt.

Geradezu gesundheitsgefährlich sind die Schmierartikel nicht, – ich wiederhole das ausdrücklich – aber ob sie wirklich ebenso zuträglich sind, wie reines Malzextract, ist eine wohlaufzuwerfende Frage. Ein Bier, das durch chemische Mittel so krystallklar, durch Glycerin so vollmündig, durch Syrup und andere Zuckerstoffe (auf eine äußerst billige Weise) so gehaltreich gemacht worden ist, hat doch schwerlich denselben Werth, wie ein Bier, das solche Eigenschaften der Verwendung reinen Malzes verdankt. Der Consument bezahlt durchschnittlich in ganz Norddeutschland das Glas Bier mit fünfzehn Reichspfennigen, gleichviel ob es ausschließlich aus Malz und Hopfen, oder mit einer Ersparniß von dreißig bis vierzig Procent mit Hülfe von Surrogaten gebraut worden ist.

Mithin bezweckt, da nie ein Brauer oder Schenkwirth die Verwendung von Surrogaten zu seinem Bier einräumen wird, das Schmieren eine Täuschung und Uebervortheilung des Publicums. Aber auch das ist noch nicht Alles; die meisten Surrogate sind ohne Frage unappetitlich, die Kartoffelzuckerpräparate, weil sie nie oder selten wirklich rein zur Verwendung kommen, das Glycerin, um nur eines näher in’s Auge zu fassen, weil es aus solchen thierischen Fetten hergestellt wird, welche zu Genußzwecken nicht mehr verwendbar sind. Bekanntlich wird das Glycerin meist als Nebenproduct von Seifensiedereien und Lichtfabriken gewonnen. Jedes Kind weiß, daß in diesen Fabriken kein Gänseschmalz und kein frischer „Schweineschmeer“ verarbeitet wird; Fette, die noch nicht einen so merklichen Haut-gout haben und die der Fleischer noch irgendwie mit anderen Fleischsubstanzen in die Därme stampfen kann, die so manches weniger Koschere verdecken müssen, werden wohl schwerlich in diese Fabriken wandern, wo sie die Concurrenz mit der aus den Abdeckereien stammenden Waare auszuhalten haben. Es ist selbstverständlich ganz gleichgültig, ob das dort verarbeitete Fett frisch ist, oder ob auf der ekelhaften stinkenden Masse tausende von fingerlangen Maden herumkriechen. Nicht blos der Fleischer, auch der Abdecker liefert, wie schon angedeutet, Rohmaterial zur Herstellung des appetitlichen Glycerins. Also aus dem Fette der Miserabeln des Thierreichs, aus den Cadavern schwindsüchtiger Hämmel, räudiger Hunde, von Seuchen hingeraffter Ochsen und von Eiterbeulen zerfressener Karrengäule und von dem ihrer glücklichen Erben, der Maden, wird jene lieblich-süßliche, wasserhell-unschuldige, ölige Flüssigkeit destillirt, die z. B. auf die aufgesprungene Haut gestrichen, selbst in ihrer denkbar chemischen Reinheit noch immer einen widerlichen Geruch wahrnehmen läßt, der lebhaft an die Reinheit ihrer Abkunft erinnert. Und dieses Genußmitel nimmt die vorhin citirte Redaction der „Allgemeinen Zeitschrift für Bierbrauer etc.“ (Wien), welche doch sicher Fühlung mit der Brauerwelt haben und am besten die Stellung ihrer Leser, der Brauer, zur Glycerinfrage kennen dürfte, mit folgenden Worten in Schutz: „Wir können das Glycerin nicht als unappetitlich ansehen; im Gegenteil ist dasselbe etwas recht Appetitliches, wenn es auch aus Fetten gewonnen wird. Wohin käme man, wollte man bei Allem, was man genießt, immer fragen, woraus es bereitet würde? Gar oft käme man auf unappetitlichere Sachen, als thierisches Fett ist“.

Nun ja, „ein gut Schwein frißt Alles“, sagt das Sprüchwort. Und nun die Logik! Wenn es noch unappetitlichere Sachen giebt, die wir, Dank den Schmierern und Fälschern in anderen Gewerben, unbewußt genießen müssen – ich denke übrigens auch mit diesen noch ein Wörtchen zu reden – ist deshalb das Glycerin appetitlich? Könnte man nach dem eben angeführten Satze der geehrten Redaction nicht etwa folgendermaßen weiter argumentiren: wir können das Beschneiden und Abdrehen von Goldmünzen nicht als unredlich ansehen, im Gegentheil, es ist das etwas recht Reelles. Man vergleiche nur dieses Verfahren mit der neuesten sinnreichen Herstellung täuschend richtig klingender und aussehender Goldkronen aus billigeren Metallen – und man würde noch auf ganz andere Dinge kommen. Oder: Wer wird nur ein solches Geschrei erheben über kleine Felddiebstähle, es giebt ja genug Menschen, die einbrechen, rauben, morden etc., letztere sogar engros wie Thomas, oder wie – die Bierverfälscher.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_601.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)