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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 37.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Teuerdank’s Brautfahrt.
Romantisches Zeitbild aus dem 15. Jahrhundert.
Von Gustav von Meyern.
(Fortsetzung.)


„Rege Dich nicht unnöthig auf, armes Kind!“ bat die Aebtissin. „Das Alles weiß ich ja, habe es ja erlebt. Der Allmächtige läßt vom bösen Feinde Schuldige und Unschuldige leiden zu ihrer eigenen Läuterung und zur Erziehung einer besseren Menschheit, wann die goldene Zeit gekommen sein wird, wo Sein Auge aus blauem Himmel wieder mit Wohlgefallen auf der Erde weilt. Aber, Kind, nicht Jeder ist unschuldig, der es scheint, und Deinen Räthen sagte man nach, sie hätten durch Dich Burgund an Frankreich verkaufen wollen.“

Mit keinem Trostgrunde hätte die gute Aebtissin die Lebensgeister der armen jungen Herzogin besser zu wecken vermocht, als mit diesem Angriffe auf ihre unglücklichen Räthe. Es schien fast, als fühle Maria eine wunde Stelle in sich selbst getroffen, so plötzlich fuhr sie vom Sitze empor.

„Verkaufen wollen? Ei, Base, Ihr wißt mehr, als ich glaubte, aber Ihr wißt es falsch. Was ich den Richtern bekannt, wenn es auch das Volk nicht weiß, Euch will ich es sagen: Ich selbst hatte die Kanzler bevollmächtigt, zu thun, was sie gethan. O, sie kannten nur zu gut den ländersüchtigen elften Ludwig, der nach meines Vaters Tode plötzlich die schmähliche Lüge erfunden, seine bedrängten Stammesgenossen riefen ihn in das heimgefallene burgundische Lehen. So war er über mein armes Land hergefallen, hatte eine Stadt, eine Provinz nach der andern erobert. Um meine Krone, um mein Land zu retten, riethen mir meine Kanzler, das Opfer zu bringen und mich dem Dauphin zu verloben.“

„Dem mißgestalteten, siechen Kinde! Das allein schon war ein Verbrechen, Maria. Und Dich vermochten sie dazu zu bestimmen, Dich, mit Deiner Liebe zu Maximilian im Herzen? Es war sündhafter Mißbrauch Deiner Noth, Deines Edelmuths.“

„Ach, Base, die Aermsten haben furchtbar gebüßt, wenn sie irrten. Ich aber – Ihr kennt mich ja“ – und unwillkürlich flog ein schmerzliches Lächeln über ihr Gesicht – „ich bin leicht zu heldenmüthigem Entschlusse gebracht, wenn ... wenn die That noch fern ab liegt. Und – um Euch die ganze Wahrheit zu sagen, so hoffte ich dem Himmel Gelegenheit zu geben, durch einen seiner glücklichen Zufälle, vielleicht durch ... Maximilian selbst es noch zu hintertreiben. – Ach, was hat mir jetzt der Aufschub genützt? Ludwig’s Heere haben reißende Fortschritte gemacht; schon ist Adolf von Geldern gegen sie gefallen; das Staatenheer, das der junge Präsident ihnen entgegenführt, kann sich nicht gegen sie halten; vier Meilen von hier stehen ihre Vortruppen. Da war ein Waffenstillstand unumgänglich, und heute, wo er wieder abläuft, so recht geflissentlich zur letzten Stunde, bringt des Königs Gesandtschaft auch sein letztes Wort.“

„O, nun verstehe ich,“ nickte die Aebtissin sorgenvoll vor sich hin. „Und hast Du auch Truppen, Geld und feste Städte – Du hast keinen Feldherrn.“

„Ach, hätte ich meinen ritterlichen Max statt dieses Herzogs von Cleve! Aber gerade von ihm droht mir das Schlimmste! Seht, Base, da hat sich dieser Grenzherzog an unsern Hof gedrängt, hat unter dem Vorwande, mir beizustehen, Truppen geworben, hat sich mit Schmeichelkünsten beim Volke beliebt gemacht, mit Gold den Pöbel erkauft und hält in Abwesenheit des Staatenheeres mit seinen Söldnern schon die Thore der Stadt besetzt, sodaß ich ganz in seiner Gewalt bin. Nun denkt, dieser heuchlerische Fürst, der mit der sanftesten Stimme und dem biedersten Wesen mich insgeheim wie ein Drache überwacht, plant nichts mehr und nichts minder, als mir seinen Sohn zum Gemahl aufzudrängen.“

„Also wirklich? Noch ein Freier? Mein Gott, der Zwölfte, von dem ich weiß.“

„Und was für Einer, Base! Ein gänzlich unerzogener Prinz, der hier seine Ausbildung erhalten sollte, von Grund aus treuherzig, es ist wahr, tapfer, selbst nicht ohne Mutterwitz, aber mit Lebensformen, Base, mit Lebensformen ... seht, trotz meines Elends kann ich noch lächeln“ – und die Mundwinkel hoben sich, und der Schalk lugte hinter den zwei Perlenreihen hervor – „ich sage Euch, wie ein ungeleckter junger Bär.“

„Was meinst Du, Kind,“ sann, den Kopf wiegend, die Aebtissin, „ließen sich nicht Vater und Sohn gegen die Franzosen schicken?“

„Der Rath wäre gut, aber der Alte ist schlau und nie um eine Ausrede verlegen. Er müsse mich vor dem Pöbel schützen, sagt er, und er selber ist es doch, der ihn hetzt. Täglich, ja stündlich, wo er geht und steht, läßt er um sich her schreien: 'Heil dem Herzog von Cleve! Heil dem tapferen Prinzen! Heil unserem künftigen Herzog!' Ja sogar mich umtoben sie schon bei meinen Ausritten, und Ihr stellt Euch nicht vor, Base, wie mir das durch alle Gliedern fährt! Glaubt mir“ – und wieder lugte der Schalk hervor – „ich bin nicht eigentlich zaghaft, o, ich kann recht wohl Muth haben – so unter gesitteten Leuten und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_611.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)