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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


als Page erzogen und mir vom Herzog Sforza warm empfohlen worden. Hat sich bei ihm die Sporen verdient und soll sich durch Tollkühnheit, doch auch durch seltene Klugheit einen Namen gemacht haben. Bei uns aber“ – und plötzlich hell auflachend, zwang sie nur mit Mühe den Schalk hinter seine Thür zurück – „hat er sich einen ganz andern Titel erworben. Sie nennen ihn nur den 'welschen Schmetterling', weil er sich an jedes schöne Auge hängt. Ich will ihm wohl, denn er ist mir schwärmerisch ergeben, ohne ein Hehl daraus zu machen, und ich denke, man muß seinen italienischen Sitten etwas zugute halten. Aber still – man kommt!“

Ein Geräusch ließ Beide sich umblicken. Die Thür, durch welche sie selbst eingetreten waren, öffnete sich. Man konnte den Treppencorridor übersehen.

„Sie sind es selbst,“ flüsterte Maria.

Adelheid von Helwin trat zuerst ein und blieb nach einer tiefen Verneigung gegen die Herzogin einen Augenblick an der Thür stehen, um ihren Begleiter zu erwarten, welcher draußen noch einige Worte mit dem Diener wechselte.

Sie war eine jener schlanken Sylphidengestalten, bei denen der überraschend dünne Zusammenhang zwischen Ober- und Unterkörper unwillkürlich die Flügel vermissen läßt. Nur mußte man bei ihrem Anblick nicht an jene ungefährliche Gattung von Honigdieben denken, die trotz ihres Stachels nur von Pflanzenkost leben – nein, wie sie so dastand in ihrem violettfarbenen Obergewand über gelblicher Robe, den tiefen Ausschnitt am Halse mit einem nach der üppigen burgundischen Sitte fast durchsichtigen Schleierstoff verhüllt, das Auge seitwärts auf ihren Begleiter zurückgewendet, konnte sie sehr wohl den Vergleich rechtfertigen, den ein „gewisser Jemand“ für sie erfunden hatte, den Vergleich mit der trotz ihrer Grazie zum Geschlecht der Raubthiere gehörenden Libelle – wenn sie in Erwartung eines Lieblingsinsects scheinbar regungslos in der Luft steht, aber plötzlich durch blitzschnelles Entweichen verräth, daß trotz der geheuchelten Ruhe Flügel und Fangapparat keineswegs stillgestanden hatten. Nur freilich, was bei der Libelle Flügel und Fänge, waren bei ihr einzig und allein die Augen. Diese grünen Augen, scharfkantig geschnitten unter den fein geschwungenen Brauen und dem dunkelblonden Haar, das, wie bei ihrer Herrin, leicht ihre Stirn umspielte, hatten mit ihrem durchsichtigen Smaragdton die Eigenthümlichkeit aller ihnen in Farbe verwandten, unbewußt jede Regung auf dem Grunde der Seele zu verrathen, und zwar in solchem Grade, daß sie nur durch ungewöhnliche Selbstbeherrschung einen scharfen Beobachter hätten täuschen mögen – zumal wenn ein solcher etwa der „gewisse Jemand“ gewesen sein sollte, welcher eben mit Papieren in der Hand nach ihr den Saal betrat.

Es war ein hochgewachsener, einige zwanzig Jahre zählender Cavalier, der an der Ferse seiner silbergrau ausgeschlagenen Schnabelschuhe schon die langen goldenen Radsporen trug. Sonst war er in Schwarz von Kopf bis zu den Füßen, nur daß das Barrett und das kurze Mäntelchen – die neueste Mode für junge Cavaliere – gleichfalls silbergraue Einfassung hatten. Sein Atlaswamms verschwand, von vorn gesehen, fast unter der Wolke von feinem Linnen, das bauschig durch das Nestelwerk gezogen war, und wurde über den schlanken Hüften von stählernem Kettengurte gehalten, an welchem vorn in kleinerem Gehenke der fein ciselirte Griff eines venetianischen Dolches, an der Seite aber statt des sonst noch üblichen Kreuzschwertes der neue französische Stoßdegen mit Bügel hing. Was an dem schönen jungen Mann zunächst in die Augen fiel, war das röthlichbraune Haar, das in langen Wellenlinien ein Gesicht von edlem Oval, matter Farbe und mit dünnem, ausgezacktem Barte umrahmte. Aber was den Blick an ihm fesselte, war sein Auge. Es hatte etwas von dem Grün seiner Begleiterin, aber die engere Pupille brachte den entgegengesetzten Eindruck hervor. War das ihrige die Krystallscheibe, die den Durchblick gestattet, so war das seinige der geschliffene Stein, der das hinter ihm Liegende verbirgt, während er selbst den Lichtblitz wirft. Und dieser Blitz, im menschlichen Auge der Adlerblick genannt, scharf und durchdringend, wo er erforschen, räthselhaft bestrickend, wo er spielen, oder gar wo er Herzen gewinnen will, war das entscheidende Merkmal an Hugo von Huy.

Einem Diener voranschreitend, der ihm ein schweres ledernes Säckchen nachtrug, bot er im Vorübergehen dem Hoffräulein mit leichter Neigung zur Seite die Fingerspitzen, führte sie der Herzogin entgegen und beugte dann, sich von ihr trennend, vor dieser mit der Anmuth des vollendeten Hofmannes das Knie.

„Diese Papiere und jenes Säckchen,“ sagte er, auf den Diener weisend, „sind so eben in geheimnißvoller Weise auf der Schloßwache für Eure Hoheit abgegeben worden.“

„In geheimnißvoller Weise?“ fragte erstaunt die Herzogin.

„Der Ueberbringer, ein Unbekannter, sei sogleich wieder verschwunden, meldete die Wache.“

Maria, mit der Linken die Papiere entgegennehmend, winkte dem Ritter mit der Rechten, sich zu erheben, hob dabei aber – mochte es Zufall oder Zerstreuung sein – nicht die innere, sondern die äußere Handfläche, sodaß der erfahrene junge Cavalier hierin eine noch gnädigere Aufforderung erblicken zu dürfen glaubte und keinen Augenblick zögerte, im Aufstehen sich vorzuneigen und mit seinen Lippen ihre Fingerspitzen zu berühren. Der Handkuß war in bester Form vollendet.

Adelheid verbarg ein unwillkürliches Zucken ihres Auges rasch hinter dem Fächer, den sie aus dem spitzenbesetzten Täschchen an ihrer Linken hervorgezogen hatte.

„Wunderbar!“ sagte Maria, nachdem sie einen flüchtigen Blick in die Papiere geworfen. „Kommt doch, Base, und leset mit mir!“

Dann zog sie sich mit der Aebtissin in die kleeblattförmige Nische eines entfernteren Fensters zurück, im Vorübergehen dem Diener bedeutend, das Säckchen abzusetzen und zu gehen.

„Der Handkuß, Herr Ritter,“ flüsterte währenddessen das Hoffräulein hinter ihrem Fächer dem jungen Cavalier mit einem Tone zu, der eine gewisse Schärfe nicht verbergen konnte, „der Handkuß war bei dieser Gelegenheit ganz gegen unsere Hofsitte.“

„Ich hatte die Fürstin heute noch nicht gesehen, und Ihr wißt, die erste Begrüßung ... “

„War mit dem Ueberreichen der Papiere abgethan.“

„Am Hofe von Mailand, Fräulein ... “

„Wir sind in Gent, Ritter.“

„Auch in Florenz und Paris ... “

„Ist nicht Burgund.“

„Aber als erste Regel bei Hofe gilt bekanntlich in der ganzen Welt, schöne Hände zu küssen, so oft sich die Gelegenheit bietet.“

Und ehe sie sich dessen versah, geschweige denn es hindern konnte, hatte der Verwegene auch schon einen Kuß auf ihre Hand gedrückt und spottete mit leisem Lachen:

„War das auch gegen die burgundische Hofsitte, Fräulein?“

„In Gegenwart der Fürstin sogar gegen allen Respect,“ zürnte Adelheid, während ihr[WS 1] Auge scheu die Herzogin streifte. „Saht Ihr nicht, wie sie über's Papier hinweg zu uns herüberschielte? Ihr Blick war ungnädig.“

„Mein Gott, und es war doch nur Eure Hand, die ich küßte!“ wagte der Uebermüthige zu antworten.

Das war zu viel. Adelheid ließ den Fächer nieder; die Pupille ihres Auges zog sich wie zur Nadelspitze zusammen, und, den Kopf rückwärts geworfen, maß sie ihn über die Schultern mit einem Blicke, in dem sich mehr als verletzter Stolz, in dem sich verletzte Weiblichkeit aussprach.

„Was bildet sich der 'welsche Schmetterling' ein!“ rief sie ihm mit halber Stimme zu. „Andere mögen Euch Eure fremdländischen Sitten nachsehen, ich aber bin Fräulein von Helwin ... “

„Die stolze Erbtochter aus Brabant, gewohnt, mit ihren cavalieri servienti gelegentlich zu spielen, gelegentlich ihr Müthchen an ihnen zu kühlen ... “

„Wenn übermüthige Falter darunter sind, die keinerlei Blüthe respectiren, nicht einmal die der Lilie.“

„Ei, Fräulein, wären wir in Mailand, so könnte man wahrlich auf den Gedanken kommen, das klänge wie ... Eifersucht.“

„Eifersucht! Nennet es Spott über die Verblendung des Günstlings, der seine Anbetung so offen zur Schau trägt, daß er nicht mehr sich allein damit compromittirt.“

„Ah, das Hoffräulein schwebt als schützender Engel über der Lilie. Möchte es doch dem Engel gefallen, noch ein Weniges über der Nelke zu schweben.“

  1. Vorlage: ihre
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_613.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)