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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Augenblick den Frieden aufrecht zu erhalten, und namentlich die Ueberfluthung der staatlichen Politik durch den Panslavismus zu verhüten. Gortschakoff ist nicht stark genug, um sich eines bei Hofe gut gelittenen, auf einen mächtigen Anhang gestützten widerspänstigen Gesandten zu entledigen.

Als der Krieg ausgebrochen war, setzte General Ignatieff seinen Ehrgeiz darein, den Czar vom Fürsten Gortschakoff völlig zu isoliren – und es gelang ihm. Der Reichskanzler lebt im russischen Consulat in Bukarest wie im Exil, und hat nicht einmal directe telegraphische Verbindung mit dem Hauptquartier. Sorgsamer als je wacht jetzt der ehemalige Gesandte darüber, daß Rathschläge der Mäßigung und Vernunft, von dem gewiegten Staatsmanne ausgehend, ja nicht ihren Weg in das Hoflager finden.

Ignatieff ist im Hauptquartier der Fixstern, um den alle panslavistischen Trabanten gravitiren. Unter dem Zelte, welches der General-Diplomat bewohnt, finden bis spät in die Nacht hinein Berathungen statt, wo die Träumereien vom großen slavischen Bruderreiche auf’s Eingehendste und Gründlichste erörtert werden. Alle Südslaven, Bulgaren und Bosniaken, die Schmerzesschreie in der Kehle tragen, erleichtern ihr Herz bei Ignatieff, alle Aspiranten, die ihre werthvollen Dienste der zukünftigen bulgarischen Verwaltung als Präfecten, Polizisten, Säckelmeister etc. anzutragen gedenken, wenden sich an Ignatieff. Hier in diesem Zelte wird trotz Plewna den Türken kein Pardon gegeben; sie müssen über den Bosporus hinüber nach Asien. Auch England und Oesterreich kommen da schlecht weg; der Champagner schmeckt süßer, wenn man ihn in dieser Gesellschaft auf die Erniedrigung Albion’s und den Verfall Austria’s leert. Ignatieff verkehrt beständig mit dem Kaiser und speist tagtäglich zwei Mal an dessen Tafel, die übrigens auch für andere Gäste gedeckt wird. Gewöhnlich nehmen nicht weniger als achtzig Personen um die länglichen Tische Platz, welche Punkt elf Uhr Morgens und Punkt sechs Uhr Abends in schöner symmetrischer Ordnung unter einem Leinwand-Altan dastehen. Der Kaiser nimmt den durch einen gepolsterten Stuhl bezeichneten oberen Sitz ein. Dieses Halbfauteuil ist das einzige Salonmöbel; die übrige Tafelrunde muß mit schlichten Holzschemeln oder Bänken vorlieb nehmen. Das Essen mundet aber vortrefflich bei dem Bewußtsein, hier im primitiven Bulgarien, wo sich die Einwohner von Schafkäse und rohem Mais nähren, nach den strengen Vorschriften des Codex der Feinschmecker zu speisen. Der Leiter der kaiserlichen Feldküche ist dessen gewöhnlicher Maitre d’hôtel, ein Franzose, Mousieur Vavasseur. Ich traf diese wichtige Persönlichkeit, unter einem halb aufgeschlagen Zelte gemüthlich sitzend, wie er mit dem schärfsten Blicke das Treiben von einem Dutzend Köche und eben so vieler Kochgehülfen im classischen weißen Costüm überschauete.

Die Kessel, Casserolen, Pfannen etc. waren in der Erde eingegraben, und es brodelte überall tapfer. Unter dem Feldstuhle, auf dem er saß, hatte Herr Vavasseur eine ganze Batterie Flacons mit Saucen und Weinen aufgeschichtet. In schwierigen Fällen kam einer oder der andere der Unterköche heran und erholte sich von seinem Feldherrn Rath. Mit doctoraler Miene deutete Herr Vavasseur auf die eine oder die andere Flasche, welche der in der Gefahr des Verdorbenwerdens schwebenden Speise die Weihe vollständiger Würze ertheilen sollte. Herr Vavasseur hat durchaus nichts an sich von jenem Hochmuth, den man gar so oft bei seinen Berufsgenossen findet, und für die der Mensch erst am Bratspieß anfängt. Er gab mir alle Aufschlüsse über die Mobilisirung seines Armeebestandes, zeigte mir die ungeheueren, schwerbepackten Vorrathswagen (die kaiserliche Küche schleppt deren fünfzig mit sich) und erklärte mir, wie sämmtliche in der Küche zur Verwendung gelangende Butter, in Kupferkapseln verpackt, direct aus Isigny (in der Normandie) komme, weil der kaiserliche Magen keine andere Zubereitung vertrage. Es koste, fügte er hinzu, ungeheuere Mühen und Anstrengungen, um in dieser 'Wildniß' etwas Ordentliches zweimal am Tage auf den Tisch zu bringen. Da es in Gornji-Studen an Holz fehlt, so wurde ohne viele weitere Ceremonien ein Dutzend tscherkessischer Häuser abgebrochen, deren Bewohner das Weite gesucht hatten, und die Trümmer dienten den kaiserlichen Ragouts zur Unterlage.

Während hier drüben im kaiserlichen Viertel Herr Vavasseur thront, giebt es auf dem andern Hügel im Lager zwei sehr hübsch eingerichtete Zeltrestaurationen. Die eine gehört einem Bukarester Hôtelier, die andere haben Elsässer errichtet, die den heimathlichen Herd verlassen, um hier ein wenig Geld ziemlich sauer zu verdienen. Die Marketender und Restaurateure im Hauptquartiere erfreuen sich der besonderen Aufmerksamkeit des Commandanten und Polizeigewaltigen General Stein. Dieser versteht das Metier nach altrussischen Begriffen. Einer der ersten Bukarester Gasthausbesitzer, der im Lager ein Geschäft errichtet hatte, erhielt die Weisung, binnen vierundzwanzig Stunden seinen ganzen Kram zusammenzupacken und das Hauptquartier zu verlassen. Beim geringsten Vergehen werden die Uebriggebliebenen tüchtig abgekanzelt und zu beträchtlichen Geldstrafen verdonnert, für deren richtige Beitreibung die namhafte Caution haften muß. Unter den Zelten aber sitzt es sich in der That recht angenehm. Vor uns breitet sich die große Fläche aus, von den hellweißen Zelten besäet. Die Regimentsmusik spielt im Dunkeln nach einander den Marsch aus dem „Propheten“, die Verschwörer-Arie aus „Madame Angot“ und ein Potpourri vortrefflich auf. Dann folgt tiefe Stille – die Soldaten stellen sich vor ihren Zelten in Reih und Glied auf; dreimal hinter einander wirbelt die Trommel, und es erhebt sich aus dreitausend Kehlen ein mächtiger Choral. Weit und tiefergreifend tönt es durch die sternenhelle Nacht. Es ist das Abendgebet, welches überall abgesungen wird, wo es russische Truppen giebt. Die Töne verstummen – nochmals wirbeln die Trommeln; nach und nach werden alle Lichter ausgelöscht; selbst drüben hinter dem Flor, welcher die kaiserlichen Fenster behängt, wird es auf einmal stille und finster. Unter den Zelten aber sitzen die Officiere beim Glase bis spät über Mitternacht. Lange, ehe sie den Weg „nach Hause“ antreten, ruhten wir, in’s Plaid gehüllt, an der Seite des Wägleins, welches uns den nächsten Tag dem Balkan näher bringen soll.

Paul d'Abrest.




Blätter und Blüthen.


Der Rumänenfürst an seinem Rubicon. (Mit Abbildung auf S. 615.) Diesmal heißt der Rubicon – Donaustrom, und die verhängnißvolle Ueberschreitung desselben durch die Spitze der rumänischen Armee geschah in der Nacht vom 24. zum 25. August. – „Wenn Du über den Halys gehst, wirst Du ein großes Reich zerstören“ – weissagte die delphische Priesterin dem Crösus vor seinem Untergange, und auch zum Halys kann die Donau werden, trotz des hinkenden Vergleichs.

Von dem Augenblicke an, wo Fürst Karl mit der Nachricht überrascht worden war, daß die Russen unangemeldet über die rumänischen Grenzen eingedrungen seien, ist er aus der türkischen in die russische Vasallenschaft gerathen, wenn er jetzt, wie eine österreichische Zeitung sagt, „mit zäher Zudringlichkeit es durchgesetzt hat, seine Landeskinder auf die Schlachtbank zu führen“, so geschieht dies ausschließlich für die Russen, denn er selbst darf, nach dem bestimmt ausgesprochenen Willen Oesterreichs, Eroberungen auf dem rechten Donauufer, selbst wenn ihm dergleichen gelingen sollten, nicht behalten. Man sucht vergeblich nach vernünftigen Beweggründen für solch einen militärischen Opferdienst und kommt auf den Verdacht, der Fürst habe seine gesammte Armee nur deshalb unter sein Commando gestellt, um Soldaten und Officiere Rumäniens vor der fernerweiten Mißhandlung und Mißachtung von Seiten der moskowitischen Freunde zu sichern.

Fürst Karl ist in seiner Stellung als Fürst der Moldau und Walachei nie sehr zu beneiden gewesen, weniger als jetzt aber niemals. Als der siebenundzwanzigjährige Gardedragonerlieutenant Prinz Hohenzollern vor elf Jahren an seinem Geburtstage (20. April) zum Nachfolger des Fürsten Kuza erwählt und mitten durch das ihm feindliche Oesterreich glücklich nach Rumänien durchgeschmuggelt worden war, mochten bei dem festlichen Empfang und Einzug in Bukarest (am 22. Mai 1866) ihn alle Freude des Herrscherthums anlächeln. Wir haben früher in der „Gartenlaube“ dargestellt, wie bald jene Festkränze verwelkt und zerrissen umherflogen und wie hart der Fürstenstuhl war, auf welchen der junge Mann sich so eilig gesetzt hatte. Er blieb dem Volke ein Fremder, und gerade die deutschen Siege von 1870 erweiterten den Spalt, weil nach dem Beispiel des mit französischem Bildungsfirniß glänzenden Adels das Volk den Franzosen seine Sympathie erwies, seinem „Hohenzollern“ zum Trotze. Sogar seine kinderlose Ehe konnte als Vorwurf gegen ihn benutzt werden. Seit er 1871, des widrigen Treibens endlich müde, mit Abdankung gedroht, schienen die Verhältnisse zwischen Fürst und Volk sich gebessert zu haben.

Selbst während des serbischen Aufstandes wußte Rumänien seine Ruhe zu behaupten. Da kam die große nordische „Befreiung“, winkte mit Souveränität und Königskrone und erbat sich den Hausschlüssel des künftigen Rumänenreichs – und so ist alsbald mit unwiderstehlicher Gewalt die Freundschaft eingezogen, an welcher das arme Volk jetzt daheim zu leiden und jenseits der Donau zu bluten hat. Das schwerste aber hat es von der russischen Dankbarkeit zu ertragen. Nicht wie auf dem Freundesboden eines Verbündeten, sondern wie in einem eroberten Lande betragen sich die Russen. Der schwerste Theil der Kriegslast liegt auf Rumänien, es ist nicht mehr Herr seiner Straßen und Bahnen; der Russe befiehlt jeder Obrigkeit – und der Fürst geht über die Donau, um wenigstens seiner Armee befehlen zu können, so lange es die russischen Generäle gestatten. Kann eine Königskrone von Rußlands Gnaden die tausend Wunden des Landes wieder heilen, die so tief herabgesetzte rumänische Fürstenwürde wieder herstellen?





Deutsche Flotte. Zu den Füßen des Hermann-Denkmals liegt das freundliche Detmold. Klein ist das Städtchen und mit der Welt nur durch den Telegraphen, die Post und den Omnibus verbunden, aber es bietet doch so manche Erinnerung. Wer wird nicht unter Anderem erinnert an Freiligrath, an Grabbe, Lortzing und Andere? Wer denkt nicht daran, daß noch bis vor wenigen Jahren Bürger’s literarischer Nachlaß dort unbekannt und unbenutzt verborgen lag? Noch eine andere vergessene Reliquie ist dort geborgen, ihrem Wesen nach der entgegengesetzte Ausdruck dessen, was das Hermanns-Denkmal so unverkennbar ausspricht. Es sind dies die Flaggen der Schiffe, welche einst die „deutsche Flotte“ bildeten und 1852 unter den bekannten Hammer kamen. Bis auf vielleicht zwei Stück sind diese Flaggen in guter Hand vereinigt und bislang vor dem Untergange bewahrt geblieben: der Neffe Hannibal Fischer’s, des einstigen lippe-detmoldischen Ministers, kaufte sie bei der Flottenauktion, bei welcher er mit seinem Oheim thätig war, an und hat sie so der Verschleppung und Vernichtung entzogen. Ihm danken wir es, daß diese Zeugen einer geschichtliche Periode gerettet worden sind, und geben diese Zeilen vielleicht Veranlassung, daß der Besitzer, Herr Cabinetssecretär Fischer in Detmold, die Flagge einem Museum überweist, damit ihr Schicksal gesichert ist.

E. O.





Verschiedenen Fragestellerinnen zur gefälligen Notiznahme. Wer Krankenpflegerin zu werden wünscht, wende sich an Fräulein Emilie von Bunsen zu Karlsruhe in Baden! Die genannte Dame ist Mitglied des „Vaterländischen Frauenvereins“, dem die Kaiserin vorsteht.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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