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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


sei. So darf ich hoffen, mir Kaisers Majestät noch zu Dank zu verpflichten und nicht nur mein eigenes Land zu behalten, sondern Burgund und Niederland dazu.“

„Alle Achtung!“ sagte der Kanzler, sich verneigend. „Und meinen Glückwunsch für Burgund und Niederland, wenn Ihr es regiert!“

„Den gedenken wir noch heute Abend entgegenzunehmen – verlaßt Euch darauf! Ihr aber, Ravestein, müßt mir herausbringen helfen, welcher Verräther hier den Vermittler gespielt hat. Der Vertraute der Herzogin ist jetzt dieser Huy.“

„O, der ist ungefährlich, Herzog, denn er ist verliebt bis über die Ohren.“

„Soll aber doch ein kühner Parteigänger gewesen sein. Das giebt mir zu denken, Kanzler. Beobachtet ihn scharf!“

„Da steht er auf dem Balcon mit dem Hoffräulein,“ lächelte Ravestein, „der Eine rechts und die Andere links, als wären sie, sich wildfremd – man kennt das schon. Wenn irgend Jemand, wäret Ihr der Mann, ihn zu erforschen, Herr Herzog.“

„Habe es schon versucht!“ versetzte Cleve mit einer bitteren Zuge. „Er ist glatt wie ein Aal und hat eine scharfe Zunge, aber was verschlägt's? Man faßt ihn einmal mit einem festen Griffe – dann ist's aus mit dem Winden; und giebt er den leisesten Verdacht, dann ... dann ... ist er geliefert. He, wie steht's draußen, Ritter Huy?“ rief er mit raschem Entschlusse sogleich diesen selbst an.

„Kopf an Kopf gedrängt!“ antwortete Hugo, den Balcon verlassend. „Seltsam, Herr Herzog, man scheint noch nicht zu wissen, daß die Audienz abbestellt ist.“

Der Herzog blickte wie fragend auf den Kanzler. Dieser zuckte die Achseln.

„Es kann doch keinerlei Mißverständniß vorgekommen sein?“ sagte der Herzog ihm offen in's Auge blickend.

„Kaum möglich!“ erwiderte der Kanzler. „Ich selbst habe dem höchsten Befehle gemäß, den Boten abgesendet. ... Indessen, es ist doch auffallend. Ich werde selbst Nachfrage halten.“ Und eilig verließ er den Saal.

„Gut, daß wir allein sind, Huy!“ wandte sich jetzt der Herzog an diesen. „Ich traue hier Keinem, der in Verdacht stehen könnte, zu Frankreich zu halten. Sagt doch“ – und vertraulich ihn unter den Arm nehmend, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort –: „hat die Herzogin, oder habt Ihr schon von einem Spuk gehört, der sich 'Hugh' nennen soll?“

„Ah, doch kein wirkliches Gespenst?“ lächelte Hugo, scherzhaft zurückschreckend.

„Jedenfalls eines, das schon bis in's herzogliche Schloß dringt!“ erwiderte der Herzog, ihm fest in's Auge blickend und mit einer Betonung, als ob der Scherz hier nicht am Platze sei.

„Das wäre! . . .“ war die erstaunte Antwort.

„Auch der angebliche Raub der Papiere und ihre Ablieferung an die Herzogin scheint damit zusammenzuhängen.“

„Dann müßte der Spuk in Eurem Solde stehen,“ versetzte Hugo lächelnd.

„Wie das?“

„Nun, mich dünkt, er hätte dann das Möglichste gethan, Euch von dem Dauphin zu befreien. Wenigstens benutzt Ihr die Gelegenheit meisterlich.“

„Woher glaubt Ihr ...?“

„Auch wenn es nicht von Eurer Staatsklugheit vorauszusetzen wäre, Herr Herzog,“ antwortete Hugo mit verbindlichster Miene, „so glaubte ich es doch eben drunten auf dem Platze deutlich zu erkennen. Ich sah verschiedene Eurer ... Anhänger, unter Anderen einen gewissen baumlangen Nikol, sich auffallend durch das Volk drängen und hinter ihnen viele Arme und Bewegungen, wie wenn man ... Gold austheilt – das französische jedenfalls,“ fügte er lachend hinzu.

Jetzt war es am Herzoge, sich der Verlegenheit zu erwehren, so beruhigt er sich im Uebrigen durch den unbefangenen Ton des jungen Hofmanns fühlte.

„Wie möget Ihr mich solcher Handlung für fähig halten!“ stieß er heraus. „Ich glaube überhaupt noch nicht an die Wahrheit der Geschichte von dem Raub und weiß von keinem Golde.“ Dann aber, einen Augenblick zögernd, überlegte er eben, auf welche Weise er seinen Abscheu vor solcher Zumuthung am treffendsten mit der Erforschung des Anderen vereinigen möge, als ihm der natürlichste aller Verbündeten erwünschten Aufschub verschaffte.

Hinter ihm erklirrte ein schwerer Fußtritt; er wandte sich um: der junge Prinz von Cleve, sein Sohn, war eingetreten und begrüßte ihn.

Es hätte sich für den Physiognomen wohl der Mühe verlohnt, die Beiden, wie sie so neben einander standen, prüfend zu vergleichen.

Der Sohn war auf den ersten Anblick das entschiedene Ebenbild des Vaters und doch bei näherer Betrachtung, offenbar durch das Erbtheil einer vielleicht innerlich mehr, aber äußerlich weniger fürstlich ausgestatteten Mutter, grundverschieden von ihm.

Von Natur derb untersetzt, ja vierschrötig, glich er in den wasserblauen Augen mit dem treuherzigen Ausdruck und in der Form des Gesichts mit dem kurzen Kinn, nur mit stärkeren Backenknochen, ganz dem Herzog. Aber die ein wenig, wenn auch nicht unangenehm aufgestülpte Nase und die aufgeworfenen Lippen unterstützten bei ihm den Ausdruck der Augen durch eine so unzweideutige Ehrlichkeit, und das mitten auf der Stirn gerade weggeschnittene, zu beiden Seiten der Schläfen flach herunterhängende blonde Haar, sowie die am Kinn vorstehenden beiden Hörnchen von lichtem Flaumbart gaben, im Verein mit dem gewaltigen Knochenbau und den tatzenartigen Händen und Füßen, der ganzen Erscheinung etwas so ungemein Groteskes, daß es der für einen jungen Mann seines Standes ganz ungewöhnlichen Eckigkeit seiner Bewegungen kaum bedürft hätte, um schon, bevor er noch ein Wort gesprochen, den Schmeichelnamen zu rechtfertigen, mit welchem ihn die Herzogin ihrer Base geschildert hatte. Und was etwa an dem Bilde des „ungeleckten jungen Bären“ noch fehlte, das vervollständigte sein Anzug. Zwar würde das Auffallendste an demselben, die fast eine Elle langen Schnabel-Ueberschuhe mit je zwei Absätzen unter den Holzsohlen und rückwärts mit Sporen so lang, wie die Schnäbel vorn, seinen Zeitgenossen als Mode des Tages kaum befremdend erschienen sein, aber im Verein mit dem dichten Zobelbesatz an seinem dunklen Scheckenrock würden sie einen weit in's Nordmeer gefahrenen flandrischen Seemann doch unwillkürlich an einen Grönländer auf Schuhschlitten erinnert haben. Auch das turbanförmige Barett mit Reiherfeder, das er in der Hand hielt, war seit den Türkenkriegen nur modern, aber die ganz uncavaliermäßig langen, der Größe seiner Hand entsprechenden Kreuzgriffe seines Schwertes und seines Dolches würden jeden harmlosen Wanderer, der ihm auf einsamem Waldwege begegnet wäre, fürchten gemacht haben, und gar als er jetzt ein „Gott grüß Euch, Herr Vater!“ herausstieß, kam ein so unmusikalisches, in der Mittellage unausgeglichenes Organ zum Vorschein, daß es dem Gebrumm eines jungen Bären nicht unähnlich war.

Der Herzog erwiderte den rauhtönigen Gruß seines Sohnes mit kurzem Nicken und fertigte ihn, als er sich während des kräftigen Händedrucks, den derselbe mit Hugo wechselte, seine Antwort zurecht gelegt hatte, wie einen augenblicklich ungelegenen Gast kurz ab.

„Laß uns jetzt, Adolf! Ich habe noch mit Huy zu sprechen. Sage unterdessen dem Fräulein dort Schönes! Die beste Schule für Dich!“

Dann nahm er den jungen Ritter wieder unter dem Arm und zog sich, eifrig auf ihn einsprechend, in den Hintergrund mit ihm zurück.

Der Prinz aber blieb auf halbem Wege zum Balcon stehen und brummte unwillig für sich:

„Schule! Immer Schule, wie ein Lateinschüler! ... Wenn man die ersten Kämpen schon dutzendweise in den Sand gesetzt hat ... Und mit den Sporen da ... In's Feld will ich, in's Feld und nicht in die Schule.“

Als er jedoch sein Auge auf den Balcon richtete und den erwartungsvoll lächelnden Seitenblick bemerkte, mit dem ihn Adelheid eben zum Kommen einzuladen schien, flog es wie ein Lichtschein über seine Züge. Diese Lateinschule hatte offenbar etwas von einem Feldzuge. Und ein Feldzug war von jeher so sehr das Ideal seiner Wünsche, daß er sich selbst mit Gedanken und Worten im Lagerleben bewegte und schon seinen Magister zu Cleve vermocht hatte, ihm das beliebte Musterzeitwort der ersten Conjugation in „pugnare“ zu verwandeln. Jetzt freilich mußte er sich wohl auch mit dem sonst üblichen schon ganz leidlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_629.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)