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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Das deutsche Patentgesetz.


1. Ist ein Patentschutz nöthig?

Im Sommer 1871 trat ein Mann in mein Arbeitszimmer mit der Bitte, einen von ihm erfundenen Ofen zu beurtheilen und günstigen Falls ihm einen Käufer dafür zu schaffen. Nach längerem Sträuben, von einer Erfindung Kenntniß zu nehmen, die doch jedenfalls vorläufig geheim gehalten werden müsse und mich leicht in den Verdacht der Untreue bringen könnte, wenn sie auf anderweitigem Wege verrathen würde, mußte ich mich doch den dringenden Bitten des Erfinders fügen, der fast mit Thränen in den Augen versicherte, keinen Menschen zu kennen, dem er mehr Vertrauen schenken möchte. Ich bestellte ihn auf eine gelegene Stunde des nächsten Tages, wo er sich denn auch einfand und mich mit Hülfe einer ziemlich verständlichen Zeichnung in den Stand setzte, mein unmaßgebliches Urtheil auszusprechen.

Dieses Urtheil lautete dahin, daß für den Privatgebrauch solch eine Heizungsvorrichtung zu umständlich sein würde und auf den Vortheil des zu ersparenden Brennmaterials in solchem Falle in der Praxis nicht viel Werth würde gelegt werden. Dagegen schien mir die Erfindung für die Heizung in den Fabriken wohl rathsam, weil man da specielle Heizer hat, die das Verfahren richtig beobachten können, und wo gar viel darauf ankommt, mit möglichster Ersparung von Brennmaterial zu arbeiten.

Auch guten Rath konnte ich dem Erfinder ertheilen: „Kommen Sie mit! In meiner Nachbarschaft wohnt ein Freund von mir, der Fabrikant J. M., dem Sie volles Vertrauen schenken können. Er hat mehrere Dampfmaschinen in Gang und interessirt sich lebhaft für die Ersparnisse in der Heizung. Er ist zwar kein Maschinenbauer und wird Ihre Erfindung auch nicht selber ankaufen, aber er kennt vielleicht Jemanden, der es thut, und sein praktisches Urtheil ist jedenfalls für einen Unternehmer Ihrer Erfindung maßgebender als meines.“

Wir machten uns auf den Weg. Zur Freude des Erfinders war Freund M. auch ganz und gar meiner Ansicht und hielt jedenfalls die Erfindung eines Versuches werth. Um uns unseres Vertrauensamtes noch in Gegenwart des Erfinders entledigen zu können, ließ Freund M. sofort einspannen, und so waren wir bald in dem Sprechzimmer eines jungen unternehmenden Maschinenbauers, dem wir ein lebhaftes Interesse für die Erfindung zutrauen mochten.

Aber was wir hier erfahren mußten, war nicht blos betrübend und niederdrückend, sondern im vollen Sinne des Wortes empörend.

„Eine neue Erfindung?“ sagte der junge Mann mit einem feinen Lächeln, noch ehe er wußte, um was es sich handelte, „da muß ich danken; die kann ich nicht gebrauchen. Ein neuer Ofen?“ fügte er auf die Bemerkung meines Freundes hinzu, „ich bedaure.“

Auf meine Entgegnung, daß ich die Erfindung für patentfähig halte, zuckte er die Achseln in einer Weise, daß ich mich der Entrüstung gar nicht erwehren konnte, aber der junge Maschinenbauer blieb sehr ruhig und entgegnete auf meine empfindliche Bemerkung Folgendes:

„Ich zweifle nicht an der Neuheit und an der praktischen Brauchbarkeit Ihrer Erfindung, aber Sie müssen mich entschuldigen, wenn ich dieselbe vom Standpunkte der geschäftlichen Ertragsfähigkeit aus betrachte. Der Herr Erfinder,“ fuhr er nach einer Pause fort, „wird mit Recht einen Kaufpreis beanspruchen. Die praktische Ausführung nebst Verbesserungen, Veränderungen und Versuchen würde meine Mittel in nicht geringem Grade in Anspruch nehmen, und ich müßte froh sein, wenn ich nach zwei Jahren die Aussicht habe, den neuen Ofen brauchbar hinzustellen und im folgenden dritten Jahre seine Einführung in’s Leben zu rufen. Mit dem dritten Jahre indessen ist mein Patent in Preußen zu Ende, und jeder meiner Concurrenten ist dann im Stande, den Ofen weit billiger zu liefern als ich, weil er weder ein Erfinderhonorar zu bezahlen, noch Verbesserungen, Veränderungen und kostspielige Versuche anzustellen hat und eine Erfindung, welche mich vielleicht dreitausend Thaler und viel Kopfzerbrechen und Sorgen gekostet, ehe sie mir einen Heller einbringt, ganz umsonst hat. – Sehen Sie,“ sagte er und wies mit dem Finger zum Fenster hinaus, „dort drüben wohnt ein Concurrent von mir, der vielleicht so schwärmerisch ist, die neue Erfindung zu kaufen. Es wird mir viel Vergnügen machen, wenn er das thut und mir nach drei Jahren den Vortheil bietet, eine praktische schöne Erfindung ganz umsonst zu bekommen und billiger als er selbst auszubeuten.“

Ich war außer mir und sprach dies auch in recht deutlichen Worten über den „geistigen Diebstahl“ und „die Schande der Nachahmungsarbeit“ aus. Freund M. machte der peinlichen Scene ein Ende durch die Aufforderung zum Fortgehen, und bald saßen wir denn auch nach einem sehr kurzen Abschiede, von dem tiefbetrübten Erfinder begleitet, in dem Wagen, um uns daheim von der Blamage zu erholen.

Auch bei der Tasse Kaffee im Hause meines Freundes konnte ich der inneren Empörung nicht Herr werden. Freund M. dachte anders.

„Es ist empörend,“ sagte er, „aber der Mann hat geschäftlich nicht Unrecht. Bei dem jetzigen Zustande der Patentgesetze kann er nicht anders handeln. Es wird, so leid es mir thut, auch ein weiterer Versuch nichts helfen, diese Erfindung an den Mann zu bringen.“

Es war ein trostloser Ausspruch für den Erfinder. Uns blieb nichts anderes übrig, als ihn mit Nachhülfe einiger Freunde so weit zu unterstützen, daß er sich eine ordentliche Zeichnung und Beschreibung anfertigen und ein Patentgesuch für England konnte ausarbeiten lassen, von dessen Erfolg ich indessen nichts weiter zu hören bekam. Aber lehrreich war dieses Erlebniß für mich jedenfalls. Ich war von da ab der festen Ueberzeugung, daß ohne ein gutes Patentgesetz unsere Industrie unfähig ist, mit Ehren in einen Wettkampf mit anderen Staaten einzutreten, in welchen sich die Erfinder eines guten Schutzes zu erfreuen haben.


2. Der Kampf.

Der Kampf für ein gutes Patentgesetz in Deutschland war kein leichter. Obwohl die Verfassung des deutschen Reiches ein einheitliches Gesetz zum Schutz der Erfindungen verheißen hatte, erhob sich doch in den Kreisen der deutschen Manchester-Männer nicht blos ein heftiger Eifer gegen die Erfüllung dieser Verfassungsbestimmung, sondern auch eine Agitation für die Abschaffung aller Patente. Der Wahn, daß jede Erfindung ein Eigenthum des Zeitalters sei, dessen Geist der Erfinder für sich ausbeuten will, daß demnach ein Patent ein Monopol schaffe, welches der Gesammtheit zum Schaden gereiche und sie in Benutzung alles Neuen beschränke, dieser Wahn wurde in Zeitungen und volkswirthschaftlichen Vereinen mit außerordentlichem Eifer gepredigt und fand unter dem verlockenden Titel der „Freiheit“ lebhaften Anklang, sowohl im Publicum, wie in Kreisen der Behörde. Da nur wenige Zeitungen den Muth hatten, dieser phrasenhaften Logik entgegenzutreten, so machte sich in den Kreisen der intelligenten Fachmänner, die den Werth der Erfindungen zu schätzen wußten, die Ueberzeugung geltend, daß nur ein möglichst großer Verein im Stande sein würde, diese Vorurtheile zu bewältigen. Die Elite deutscher Ingenieure ging hierin mit gutem Muth voran; bald schlossen sich auch die intelligentesten Fabrikanten diesem Streben an, bis endlich der Patent-Schutz-Verein unter der Direction des weltberühmten, erfindungsreichen Werner Siemens entstand, dessen Einfluß wir viel für die Entstehung des jetzt in’s Leben gerufenen deutschen Patentgesetzes zu verdanken haben.

Gleichwohl hätten vielleicht all diese geistigen Kämpfe nur wenig gefruchtet, wenn nicht trübselige Weltverhältnisse demselben einen gewaltigen, ja gewaltsamen Vorschub geleistet hätten.

In einem Lande, wo man keine einheimischen Erfindungen verwirklicht, ist die Industrie auf Nachahmungen fremder Erfindungen angewiesen. Dies war auch im deutschen Vaterlande der Fall. An Erfindungen ist Deutschland wahrlich nicht arm. Thatsächlich ist unser Vaterland der Geburtsort der zwei größten Erfindungen, welche die Welt beherrschen. Es sind dies die Telegraphie und die Schnellpresse. Aber in der Wirklichkeit sind wir auch hierin dermaßen überflügelt, daß auch nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_632.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)