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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


ein einziger Apparat deutschen Ursprungs auf unseren telegraphischen Stationen existirt und unsere Druckereien zu französischen und amerikanischen Schnellpressen ihre Zuflucht nehmen müssen, wenn sie nicht hinter der Zeit und ihren Leistungen zurückbleiben wollen.

Die Industrie Deutschlands lebte daher factisch nur von der Nachahmung fremder Maschinen und der Producte derselben. Ja, sie erfreute sich auch hierin sogar eines Aufschwunges, indem sie ihre Producte wohlfeiler ausbieten konnte, als die Originale. Natürlich ging das nur so lange, wie die Arbeitslöhne niedriger in Deutschland waren als in den andern Ländern, deren Originale man nachahmte. Jedoch von dem Moment ab, wo die unglückseligen Milliarden bei uns den Werth des Geldes herabsetzten, die Preise der Lebensmittel und der nothwendigsten Lebensbedürfnisse in die Höhe schraubten und damit ein Steigen der Arbeitslöhne hervorriefen, büßte unsere Industrie die Concurrenz-Fähigkeit auf fremdem Markte ein. Gründerschwindel und Verarmung des Mittelstandes kamen hinzu, um die einheimische Production zu beschränken und der Industrie einen lebensgefährlichen Stoß zu versetzen.

Vielleicht wäre auch dieser empfindliche Stoß nicht im Stande gewesen, die eigentliche Krankheits-Ursache vor Aller Augen klar zu legen, wenn nicht ein zweiter Umstand hinzugetreten wäre, vor dessen richtiger Erkenntniß es unmöglich war, sich noch ferner zu verschließen.

Die Weltausstellung in Philadelphia deckte die Kümmerlichkeit der deutschen Industrie in erschreckender Weise auf. Zum Glück hatte Deutschland einen tüchtigen Fachmann, den Geheimrath Reuleaux[WS 1] dahin gesendet, der, fern von jeder Art nationaler Schönfärberei, das Kind beim rechten Namen nannte. Seine Urtheile fielen mit gewaltiger Wucht in den Wust der Selbsttäuschungen und der verkehrten Theorien. Sein Urtheil, daß wir ohne einen gesunden Schutz der Erfindungen nicht mehr im Stande sein werden in einen Wetteifer mit der fremden Industrie einzutreten, war von um so mächtigerem Einfluß auf Regierung und Volk, als Reuleaux, an der Spitze der Berliner Gewerbe-Akademie stehend, auch eine hervorragende Stellung im preußischen Patent-Amt einnahm und neben seiner Autorität in der Wissenschaft auch als ein gründlicher Kenner der gesammten Industrie anerkannt ist.

Man schritt mit rühmlichem Eifer an die Arbeit. Die Entwürfe des Patent-Schutz-Vereins, die Gutachten der Fachmänner, der Ernst der Reichsregierung und der rege Sinn des Reichstags ließen kaum mehr eine phantasiereiche Opposition aufkommen. Das deutsche Reich erfreut sich jetzt eines guten Gesetzes, dessen Verbesserung wir getrost einer erfahrungsreichen Zukunft anheimstellen können.


3. Charakter des Patentgesetzes.

Wir unsererseits haben uns hier nur die Aufgabe gestellt, den deutschen Erfindern, welche besser in neuen Ideen, als in formellen Paragraphen Bescheid wissen, einige Fingerzeige in Benutzung des Gesetzes zu geben und den Freunden deutschen Geistes und deutscher Begabung die Pflicht in's Gewissen zu rufen, auch mit ihrer Theilnahme demselben förderlich zu sein.

Eine neue Erfindung, welche gewerblich ausgebeutet werden kann, ist in Deutschland patentfähig, wenn die Verwerthung nicht den Gesetzen widerspricht und wenn sie den guten Sitten nicht zuwider ist. Nahrungs-, Genuß- und Arzneimittel, wie chemische Stoffe, werden an sich nicht patentirt, wohl aber ist ein neues Verfahren zu ihrer Herstellung patentfähig.

Diese Grundbestimmung des deutschen Patentgesetzes ist von größter Wichtigkeit. Eine Erfindung muß neu sein. Sie wird nicht als neu betrachtet, wenn sie sich irgendwo so vollständig in öffentlichen Schriften beschrieben findet, daß ein Fachmann sie nachahmen kann. Ferner ist eine Erfindung nicht patentfähig, wenn sie bereits in Deutschland offenkundig benutzt worden ist.

Laut dieser Hauptbedingungen zur Patentirung ist z. B. ein Patent nicht zu ertheilen auf eine allgemeine Herstellung von Kartoffelmehl, wohl aber kann ein neues Verfahren, Kartoffelmehl herzustellen, patentirt werden. Unter Genußmitteln, die nicht patentirt werden, sind nur solche Massen verstanden, welche gegessen oder getrunken werden. Geruchsmittel, Pomaden, Seifen, Schönheitsmittel, Schminken etc. gehören nicht dazu. Sie sind patentfähig, wenn sie neu sind.

Patentfähig ist nur eine „Erfindung“, nicht aber eine „Entdeckung“. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin, daß die „Erfindung“ etwas darstellt, was sonst in der Natur in dieser Zusammenstellung nicht vorhanden ist, eine „Entdeckung“ besteht in der Benutzung einer Naturkraft oder eines Naturproducts, welches längst existirt, ohne daß man sie bis dahin zu verwenden wußte. Daß es Entdeckungen von großer Wichtigkeit giebt, ist altbekannt. So hat man bis vor etwa dreißig Jahren für den elektrischen Strom in der Telegraphie stets zwei Leitungen gebraucht, bis Steinheil in München die Entdeckung machte, daß man nur eine Leitung nöthig hat und statt der zweiten Leitung die Erde benutzen kann, die ein vortrefflicher Leiter der Elektricität ist. Diese Entdeckung war für die Telegraphie ein außerordentlicher Gewinn, es würde dieselbe aber nicht patentirt werden, wenn sie erst jetzt gemacht würde. Gleichwohl wird eine neue Art, wie man die Erde einschalten kann, eine Erfindung sein, die an sich patentirt werden kann. In ähnlicher Weise verhält es sich auch mit der Entdeckung neuer Stoffe. So ist z. B. Aluminium ein Metall, das erst in unserem Zeitalter entdeckt worden ist. Diese Entdeckung ist an sich nicht patentfähig, wenn jedoch Jemand ein neues Verfahren erfindet, aus Thonerde das Aluminium metallisch herzustellen, so muß man ihm dieses Verfahren wohl patentiren.

Eben dieselben Grundsätze gelten auch für die Herstellung von Maschinen zur Benutzung von Kräften, welche in der Natur vorhanden sind. So weiß man seit langer Zeit, daß man durch Magnete einen elektrischen Strom erzeugen und sich dessen zur Herstellung von elektrischem Licht, von chemischem und mechanischem Wirken bedienen kann. Die Anwendung von Magneten zu solchem Zweck ist daher frei und wird durch kein Patent beschränkt. Wohl aber sind die Maschinen, welche man hierzu gebraucht, wichtige Erfindungen, in welchen sich in neuester Zeit verdienstvolle Männer wie Wilde, Siemens, Gramme und Hefner-Alteneck ausgezeichnet haben. Diese Maschinen sind patentfähig.

Worauf wir aber noch besonders zu achten haben, ist Folgendes:

Man nimmt im gewöhnlichen Leben an, daß eine Erfindung nur von Wichtigkeit sei, wenn ihre Wirkung großartig ist und gewaltige Umwälzungen in der Welt hervorruft, wie die Anwendung des Dampfes und der Elektricität. Allein in Wahrheit sind auch kleine, fast unbeachtete Erfindungen von großem Werth und Nutzen, wie z. B. ein Drillbohrer, ein guter Quirl, schwedische Streichhölzchen, die Verbesserung der Lampendochte, ein vortheilhaftes Kochgeschirr und tausend andere Dinge für den alltäglichen Gebrauch in Werkstatt, Haus und Küche. Alle solche wenig Aufmerksamkeit erregende Erfindungen sind nicht blos nützlich, sondern auch werthvoll. Sie sind es hauptsächlich, welche eine nationale Industrie fördern und in der Regel auch mehr Gewinn bringen, als manche für den Großbetrieb dienende Maschinen. Die Pflege dieser kleinen Erfindungen durch das neue Patentgesetz, das sie schützt, ist auch für Deutschland vielversprechend.

Wer nun eine solche patentfähige Erfindung gemacht hat, sie sei groß oder klein, der soll sich seines Anspruchs auf ein Patent bedienen. Es ist nöthig, sich's klar zu machen, daß er damit nicht blos sich und Allen, welche die Erfindung gern in Gebrauch nehmen, einen guten Dienst leistet, sondern auch den Geist von vielen Tausenden fördert, die durch ihn auf neue Ideen gebracht werden. Die Beschreibung und Zeichnung, welche er dem Patentamt übergiebt, wird nämlich von diesem veröffentlicht und zur allgemeinen Kenntniß gebracht. Dadurch regt jede neue Erfindung, auch wenn sie nicht praktisch ist, viele andere Denker zu anderweitigen Erfindungen und Verbesserungen an. Wie klein auch oft der Beitrag ist, welchen eine Erfindung im Schatz des Vorhandenen bildet, die Anregung, welche sie bietet, kann sehr groß sein. Diesem Verdienste um die gemeinsame Geistesarbeit sollte sich Niemand entziehen.

Wie aber, wenn sich Jemand eine große, wichtige, gemeinnützige Erfindung patentiren läßt und aus Eigensinn oder Eigennutz den Gebrauch jedem Andern versagt, ohne selber für die Benutzung hinreichend Sorge zu tragen?

Obwohl solch ein Fall äußerst selten vorkommen möchte, hat doch das Patentgesetz dagegen Fürsorge getroffen. Ein Patent kann in solchen Fällen nach drei Jahren von Seiten des Patentamtes als erloschen erklärt werden, womit die Erfindung ein Gemeingut für Alle wird.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vgl. Franz Reuleaux: Briefe aus Philadelphia
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_633.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)