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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


hellste Licht setzte, hatte Ravestein einen Blick auf Hugo geworfen und, so geschickt auch Adelheid ihm den Rücken zuwendete, doch genug bemerkt, um sich zu sagen: „Aha, ich habe mich nicht getäuscht. Er benutzt die allgemeine Aufregung, um der Geliebten ein Billet-doux zuzustecken – der ungefährliche Schmetterling!“ Und sehr zufrieden mit seiner Entdeckung, wandte er sich zu Cleve zurück.

Adelheid barg das Billet in ihrer Hand.

Plötzlich donnerten von unten Axtschläge gegen ein Thor. Ein Krach und ein allgemeiner Aufschrei folgte. Der Prinz stürzte zur Thür hinaus.

„Mein Gott, mein Gott, sie kommen, um mich zu morden. Ich will ja Alles thun,“ rief händeringend Maria und flüchtete unwillkürlich auf die entgegengesetzte Seite, Hugo zu. „Ritter Huy, Ihr steht so theilnahmlos – helft doch, schützet mich!“ flehte sie ihn an.

Des Ritters Auge sprühte. Ein leichter Blitzstrahl flammte daraus hervor; seine Rechte fuhr krampfhaft an den Degengriff. Aber ein rascher Seitenblick auf Cleve – und er verneigte sich achselzuckend, wie in schmerzlicher Entsagung, vor der Fürstin.

„Adelheid, Adelheid, Alles verläßt mich,“ rief Maria in Verzweiflung und ließ, wie gebrochen, die Hand mit dem Spitzentuche sinken.

Adelheid's Entschluß war gefaßt; ihr edleres Gefühl hatte gesiegt. Sie neigte sich auf die Hand der Herzogin nieder, wie um sie in ehrerbietiger Theilnahme zu küssen, und drückte ihr dabei das Billet auf das Tuch.

„Leset es!“ flüsterte sie.

Maria sah sie groß an, that dann einen Schritt zum Balcon und hielt das Tuch vor sich.

„Ha, diese Schrift!“ entfuhr es ihr leise. Und sie las:

„Teuerdank ruft Dir: Füge Dich,
Aber begehre vorher zu beten
In der Capelle Allerseelen!
Dort wirst Du finden, was Du suchst.“

„Von Dir?“ fragte sie leise, sich in namenlosem Erstaunen zu Adelheid umwendend, welche, sie deckend, hinter ihr stand.

„Nein, von ihm,“ gab diese, mit einem schrägen Blick auf Hugo, zurück.

„Himmel!“

Polternde Schritte und Waffengeklirr erscholl von der Treppe.

„Halt! Steht!“ dröhnte die rauhtönige Stimme des Prinzen.

Maria wankte auf Cleve zu.

Die Aermste! Ihres kindlichen Herzens hatte sich zwischen Todesangst und plötzlichem Hoffnungsschimmer auch noch ein Seelenkampf bemächtigt. Aufschub, Aufschub – das war ja der letzte Strohhalm, den zu erfassen sie sich gesehnt. Jetzt lag er greifbar vor ihr. Aber das Mittel, ihn zu erreichen, war die Lüge, war mehr als Lüge. Unter dem Vorwand des Betens zu täuschen, erschien ihrem reinen Sinn wie Mißbrauch des Heiligsten. Unwillkürlich gedachte sie des „bösen Feindes“ ihrer frommen Base. Und doch war keine Secunde zu verlieren – sie mußte sprechen. Was, wußte sie nicht; nur Eines wußte sie: keine Sünde!

Von solchen Empfindungen erfüllt, stand sie bebend, fassungslos vor dem Gefürchteten.

„Nun wohl denn, Herzog!“ hub sie an und wagte erst jetzt die Augen zu ihm zu erheben. „Nun wohl denn!“ Aber sie vermochte nicht fortzufahren. Hinter der innigen Theilnahme seiner Mienen lauerte ein so triumphirender Blick, daß sie sich schaudernd von ihm ab zu der neben ihm stehenden Aebtissin wandte.

„Nein! Sagt Ihr es ihm, fromme Base! ... Er soll ... befehlen, was er will, soll nur das Volk beruhigen ... nur kein Blut vergießen lassen! ... Ich füge mich in Alles ... heiße Alles gut. Aber ich muß ... freie Luft ... muß Stärkung suchen ... bei Euch ... sogleich! Lasset mich Euch zur Abtei zurückbegleiten! Hier ... erstickt es mich.“

„Recht, mein Kind, bete, bete mit mir! Das ist ja, was ich Dir gerathen!“ sagte die fromme Frau. „Herr Herzog, Ihr habt es gehört – thut nach Eurem Gefallen!“

„Ich kann nicht mehr,“ stöhnte Maria, sank auf den Arm der Aebtissin und wankte, von ihr gestützt, aus dem Saale.

„O, über die Frauen!“ sagte, ihr nachsehend, Hugo zu sich. „War das geheuchelt, so war's ein Meisterstück.“

Aber er irrte; es war kein Meisterstück. Ein Meisterstück würde Alles verdorben haben. Diesmal hatte die sittliche Reinheit ihres Gemüthes Maria gerettet. Denn so sicher Cleve die geringste Verstellung gewittert, so argwöhnisch er unter allen anderen Umständen in dieser wichtigen Stunde den Wunsch der Herzogin aufgenommen und ihn vereitelt haben würde: er kannte Maria zu gut, um nicht in ihren ohne all und jede Berechnung gesprochenen Worten die letzte Zuckung eines durch Todesangst gebrochenen Widerwillens und stille Ergebung in das Unvermeidliche zu finden. Keine Spur von Mißtrauen regte sich in ihm. Im Gegentheile, für die vollständige Ausbeutung seines Triumphes kam ihm eine kurze Abwesenheit der Herzogin gelegen. Im Augenblicke war sein Plan gefaßt. Nach einigen leisen Worten an Ravestein sprang er auf den Balcon und schwenkte sein Barett.

Zwei Trompetenstöße von unten antworteten, als wären sie bestellt gewesen. Lautlose Stille trat ein.

„Volk von Gent,“ rief er, „die Herzogin willigt ein, sich Euren Wünschen zu fügen.“

Ein tausendstimmiger Freudenruf ertönte.

Der Herzog winkte wieder. Erwartungsvoll zu ihm aufschauend, verstummten die Rufer.

„Das Verlöbniß mit dem Prinzen, meinem Sohne, findet noch heute Abend statt. Die Herzogin ladet Euch Alle zu Schmaus und Trunk auf die Plätze in Stadt und Schloß. Ein Karthaunenschuß wird den Anfang verkündigen. Nun ziehet in Frieden!“

Ein unbeschreiblicher Jubel bemächtigte sich des Volkes. Der glänzendste Sieg seines Heeres würde ihm in diesem Augenblicke nicht gleich dem eigenen Triumphe gewesen sein, seinen verblendeten Willen durchgesetzt und sich einen Festabend mit Schmaus und Trunk erobert zu haben.

„Panem et Circenses!“ murmelte Cleve hohnlachend vor sich hin, als er den Balcon verließ.

„Gardez la Reine!“ lächelte Hugo.

Das lärmende Gewoge draußen verlor sich. Die Fluth wälzte sich vom Schlosse der Stadt zu. Auch der Prinz kehrte zurück. Freudestrahlend trat Cleve zu den Anwesenden.

„Der ganze Hof ist zum Verlobungsabend geladen,“ rief er. „Die Herzogin begleitet zuvor noch ihre Base zum Kloster Allerseelen. Du, Adolf, führst das Ehrengeleite Deiner Braut.“ – Und ihn auf die Seite nehmend, fügte er leise hinzu: „Ich gebe Dir doppelte Mannschaft. Jeder bürgt mir mit seinem Kopfe für sie. Während dessen berufe ich die Abgeordneten und lasse mich zum Regenten ernennen. Habe Acht auf Alles und sei spätestens vor Dämmerung zurück! ... Auf Wiedersehen heute Abend!“

Mit diesem Gruß an Adelheid und Hugo verließ er mit Ravestein das Zimmer.

Der Prinz, im Begriff zu folgen, wendete sich an Hugo.

„Ihr begleitet uns doch, Huy?“

„Zum Wettritt mit Euch, mein Prinz,“ versetzte lächelnd der Ritter.

„Und mit Euch, Fräulein, bleibt es, wie verabredet. Ihr seid meine getreue Verbündete bei der großen Action.“

Hugo sah Adelheid groß an. Sie bemerkte es mit stillem Vergnügen.

„Ei, Prinz,“ erwiderte sie, nicht ohne ihre Smaragden spielen zu lassen, „wollt Ihr wirklich thun, was Euch zuwider ist? Ihr hasset ja den Sturm auf ... Weiberschanzen.“

„Eine ausgenommen – ha, ha!“ lachte der Prinz, und grüßend verließ er den Saal.

„Fräulein!“ sagte Hugo vorwurfsvoll.

„Ritter?“ fragte Adelheid, ihre schlanke Gestalt auf der Fußspitze wiegend.

„Ihr die Vertraute des Prinzen?“

„Ihr der Vertraute der Herzogin? ... Wohl gar Teuerdank selbst?“

„Bei Gott, Ihr irrt Euch. Aber was muß ich von Euch glauben?“

„Ei, Ritter, das müßtet Ihr doch am besten wissen, denn ich bin, wofür Ihr mich haltet, und Ihr sagtet ja selbst, dann möchtet Ihr wohl ... der Prinz von Cleve sein.“

Noch ein Lächeln, und sie entschwand.

„Libelle! rief Hugo, ihr nachblickend. Dann ging auch er, sein Pferd satteln zu lassen.




(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_646.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)