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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


nachtheilige, giftige Eigenschaften, weil er meistens arsenik- und kupferhaltig ist.

Zu diesen in den Hopfenhandlungen, chemischen Fabriken, Brauereien oder Lagerkellern ausgeübten Verfälschungen gesellen sich noch die mannigfaltigen gewinnsüchtigen Künste betrügerischer Schenkwirthe, denen der durchschnittliche Gewinn von sechszig bis achtzig Procent oder mehr noch nicht genügt. Wenn man sich die in den Zeitungen fort und fort angepriesenen Geheimmittelrecepte kommen ließe, würde man auch über den Kleinhandel mit Bier wunderbare Aufschlüsse erhalten. Das bequemste und lohnendste Streckungsmittel ist freilich immer das Wasser. Man glaube aber ja nicht, daß das Bier durch einen solchen Zusatz nur dünner und schwächer wird. Vielmehr wirkt ein auf diese Weise verdünntes Bier im höchsten Grade schädlich, weil (nach den gründlichen Untersuchungen von Friedrich) das hinzugegossene Wasser das in seiner Verbindung mit Malzzucker und anderen Extractivstoffen gesunde, seiner narkotischen Eigenschaften beraubte, nicht mehr giftige Princip des Hopfens oder das theilweise paralysirte Princip der Hopfensurrogate wieder frei macht. Ein solches, mit rohem Wasser getauftes Bier ist an seiner geringen Schaumbildung (seinem kahlen Aussehen) und an einem intensiv und widerlich bitteren Geschmack für nüchterne Beurtheiler leicht zu erkennen, aber leider kommt dieses Verfahren meist erst in den höheren Stadien der Fidelität auf Jahrmärkten, Schützen-, Sänger-, Turn- und anderen Volksfesten zur Anwendung, wo denn, „hernach, wenn sie trunken geworden sind“, die heitere Feststimmung die Leiden des Gaumens und des Magens vorläufig übersehen läßt, um dann später einem desto nachhaltigeren „Kater“ Platz zu machen. Nicht allein die Folge unserer schlaffen Gesetzgebung ist es, sondern die unbegreifliche Theilnahmlosigkeit und Gleichgültigkeit des Publicums gegenüber den dringendsten Forderungen des Volkswohles trifft die Schuld daran, daß wir bereits kaum noch nach verfälschten Nahrungsmitteln zu suchen brauchen, sondern schon nach unverfälschen suchen müssen. Die Vertrauensseligen argumentiren etwa so: wenn so stark giftige Stoffe im Biere vorkämen, dann müßten häufigere Krankheitserscheinungen mit deutlich ausgesprochenen Vergiftungssymptomen beobachtet worden sein.

Dagegen ist Folgendes geltend zu machen: Die genannten stark giftigen Stoffe kommen selbstverständlich nur in geringen Quantitäten im Biere vor. Der Vortheil ihrer Anwendung liegt ja gerade darin, daß eine geringe Dosis dieser Gifte ein vielfach größeres Quantum des theueren Hopfens fälschlich und scheinbar ersetzt, indem sie dem Biere einen ähnlich bitteren Geschmack und eine ähnlich narkotische Wirkung verleiht, wie der Hopfen. Die Surrogate sind daher wegen ihrer geringen Quantität und weil sie chemisch ähnlich reagiren wie Hopfen, bei Untersuchungen des Getränkes, wie in ihren Einwirkungen auf den menschlichen Organismus, schwer zu bestimmen. Man hüte sich deshalb anzunehmen, daß diese kleinen Gaben von nachtheiligen Stoffen unschädlich seien! Ein gesunder Mensch, der mäßig trinkt, nur um seinen Durst zu stillen, wird nicht so bald auffällige Wirkungen oder Krankheitserscheinungen spüren, denn der Körper gewöhnt sich bekanntlich an kleine Gaben Gift, die sich sogar mit der Zeit zu Quantitäten steigern lassen, welche einem des Giftes ungewohnten Körper lebensgefährlich werden würden.

Das Arsenikessen mancher Alpenbewohner zum Zwecke momentaner Steigerung der Muskelkräfte, sowie das Einnehmen von Belladonna seitens eitler Damen, die dadurch ihren erloschenen Augen neuen Glanz zu geben suchen, sind ja allbekannte Thatsachen. Daß aber solche Aufnahme von Giftstoffen den Körper allmählich, wenn auch ohne auffällige Symptome, zerstört und unsere Lebenszeit verkürzt, ist wohl unzweifelhaft. Und wer will sagen, daß nicht wirkliche Krankheitserscheinungen in Folge des Biergenusses in Menge auftreten? Die meisten Trinker beachten dieselben nur nicht, weil sie diese Erscheinungen für Wirkungen des „Katzenjammers“ halten, mit dem man es gewohnheitsmäßig leicht nimmt. Nach einem halben, und in schwereren Fällen nach einem ganzen Tage regiert er ja auch gewöhnlich aus. Aber wer steht uns dafür, daß manche schwere Erkrankungen in Folge falscher Diagnose nicht als das, was sie sind, als die Folge des Biergenusses erkannt werden? Medicinische Autoritäten haben nachgewiesen, daß viele der vorhin genannten Stoffe hauptsächlich zerstörend oder wenigstens nachtheilig auf einzelne Organe wirken. So können die Augen durch den Genuß von Quassia bei sonst gesunden Individuen ganz erheblich geschädigt werden.

Der gerichtlich vereidete Chemiker Dr. Heß in Berlin weist nach, daß sogar die Malzsurrogate (Kartoffelzucker, Kartoffelsyrup, Glycerin etc.) gefährlich wirken, indem sie namentlich den so schmerzhaften „Augenkatzenjammer“ hervorrufen; wie viel mehr Gefahren müssen die giftigen Hopfensurrogate den Consumenten bringen! Und wir haben bisher nur gesunde Trinker in’s Auge gefaßt; nun denke man sich einen Leidenden, dem ein Bier mit diesem oder jenem der genannten Surrogate gerade als Stärkungsmittel verordnet wird! Nun stelle man sich die furchtbaren Einflüsse gefälschter Biere in Zeiten vor, wo Epidemien, wie Ruhr, Cholera, Typhus etc., herrschen! Man muß solche Eventualitäten in Erwägung ziehen, um das gewissenlose Verfahren der Fälscher gebührend zu würdigen.

Untersuchungen von Seiten unbestechlicher Chemiker würden hier Vieles klar legen, ich habe aber bisher nur von Analysen gehört, welche im Auftrage von Brauern angestellt worden sind, und zwar in der Absicht, durch eine Veröffentlichung des Ergebnisses, das heißt durch den Nachweis bedeutenden Gehaltes an Nährstoffen etc., Reclame zu machen. Was bieten solche Analysen für eine Gewähr? Werden Fabrikanten solche Biere zur Untersuchung stellen, in denen ungehörige Stoffe enthalten sind, welche mit Hülfe der Chemie gefunden werden können? Die meisten Hopfensurrogate sind chemisch dem Hopfen selbst so ähnlich, daß es schwer sein würde, auf eine solche Untersuchung hin ein rechtskräftiges Zeugniß abzugeben, es müßten denn Gifte in solchen Quantitäten dazugesetzt worden sein; daß die Wirkungen auf lebende Organismen die Ergebnisse chemischer Untersuchungen augenscheinlich bestätigten. Behörden, welche das Recht und die Pflicht hätten, unvermuthet Untersuchungen an Bieren vorzunehmen, die auf eine nicht Verdacht erregende Weise gekauft wurden, existiren bekanntlich bei uns nicht. Apotheker oder Aerzte, welche aus eigenem Antriebe chemische Analysen anstellen und etwa gravirende Ergebnisse veröffentlichen würden, hätten sofort eine Entschädigungsklage seitens des beschuldigten Brauers zu befürchten, und es wäre gar nicht unmöglich, daß sie zur Zahlung bedeutender Entschädigungssummen, ja zu schwereren Strafen verurtheilt würden. Wer wird sich den Möglichkeiten eines solchen Processes ohne Noth aussetzen wollen? Ein ähnlicher Fall liegt gegenwärtig vor. Der Chemiker Dr. Schnacke hatte das Bier einer Actien-Brauerei in der Nähe von Gera analysirt und erklärt, dasselbe sei mit Pikrinsäure versetzt. Die Direction des gedachten Etablissements antwortete darauf mit einer geharnischten Erklärung, sicherte in derselben Demjenigen einen Preis von dreitausend Mark zu, der das Vorhandensein gesundheitsschädlicher Stoffe in ihrem Biere nachweise, und setzte den Dr. Schnacke in Anklagezustand. Der Ausgang dieses Processes, über den ich wohl seiner Zeit berichten werde, dürfte sehr belehrend werden.

Ich brauche wohl nach diesen Andeutungen nicht zu fragen, was von solchen Versicherungen wie: „noch nie ist ein Brauer öffentlich genannt worden etc.“ oder von ähnlichen Phrasen zu halten ist. Ueber den eben angeführten concreten Fall läßt sich ein Urtheil noch nicht abgeben, aber gesetzt auch, einer oder selbst mehrere Untersuchungen ergäben kein Resultat zu Ungunsten der Bierfabrikation, würde das nun beweisen, daß überhaupt nicht gefälscht wird und daß die tausend und aber tausend Centner der genannten Gifte wirklich sämmtlich in die Apotheken und nicht in die Brauereien wandern, daß ferner die immer und immer wieder auftauchenden Klagen in der Presse und in wissenschaftlichen Werken wirklich aus der Luft gegriffen sind? Wer sich der Mühe unterziehen will, in der einschlägigen überreichen Literatur nachzublättern, oder auch nur in einem neuen Conversationslexicon die Artikel über die vorhin genannten Bierfälschungsstoffe nachzuschlagen, der wird jedes Mal unter der Rubrik „Verwendung“ oder „Gebrauch“ die Bierbereitung genannt finden. Wo in aller Welt kommen denn diese tausendstimmigen Anklagen her? Kann denn wirklich eine solche fixe Idee in so vielen sonst besonnenen, kritischen Gelehrtenköpfen sich festsetzen, ohne daß stichhaltige Verdachtsgründe und unbestreitbare Thatsachen zu Grunde lägen?

Wenn nun von Untersuchungen gegohrener Getränke wenigstens

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_650.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)