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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Gelächter war die Antwort.

„Könnte doch ein Prinz sein,“ meinte der Erste.

„Das ein Prinz?“ sagte verächtlich der Spöttische. „Bin viel in der Welt herumgekommen und habe schon manchen Prinzen gesehen – die sahen aber anders aus.“

„Wer kann’s wissen?“ entgegnete der Erste mit der Zähigkeit des Dummen. „Der Hauptmann sagte: Vorsicht! Und Jeden scharf in’s Auge gefaßt! Adlernase, kühne Augen, fürstliche Haltung.“

„Richtig!“ bestätigte der Spöttische, auf Bastian deutend. „Stimmt genau.“

Die Andern lachten; der Erste schämte sich und ließ es Bast durch einen derben Stoß entgelten.

„Du Esel, warum klirrtest Du denn?“

„Gnade, Ihr Herren!“ jammerte dieser, mit den Knieen schlotternd. „Ihr seht es ja, ich bin der Kellerknecht vom Kloster. Lasset ab von mir! Das Geklirre galt einem Andern.“

„Einem Andern? Welchem Andern? Sprich!“

„Wenn Ihr mich um Gotteswillen laufen lassen wollt.“

„Nun ja doch! Sprich!“

„Pst! Es folgt mir Einer. ... Bald muß er hier sein. ... Einer, der sich für Jan den Fiedler ausgiebt. Aber der Jan sieht anders aus, ganz anders. Alles falsch hier, Nase falsch, Bart falsch!“ ...

„Aha!“ riefen, bedeutungsvolle Blicke tauschend, die Andern. „Gut! Lock’ ihn uns und dann lauf’!“

Alle verbargen sich. Bast klirrte und verschwand in den Büschen. Hinter der Ruine trat der Graue hervor. Seine Gestalt mit einem Anstriche von Vornehmheit in die Höhe reckend, schritt er aus dem Hofraume heraus, hakte die Fiedel ab, entlockte einer Saite mit dem Finger einen Ton, horchte, sie wieder einhakend, auf und rief leise, wie im Zorne:

„Bast, wo bist Du? Ist Alles sicher?“

„Halt, ergebt Euch!“ war die Antwort, und im Nu hatten ihn die Cleveschen umringt.

„Holla, was ist das?“ rief der Fiedler, stolz an die linke Hüfte greifend.

„Ihr verrathet Euch, Herr!“ höhnte der Spötter.

„Was wollet Ihr Leute von Jan dem Fiedler?“

„Zuvörderst ihm den Bart abnehmen,“ erwiderte Jener und riß ihm den Bart herunter.

„Ah!“ staunten Alle.

„Und dann ihm die Nase putzen!“ ... Auch der Höcker flog davon.

„Das ist der Prinz,“ riefen jubelnd Alle. „So sieht ein Prinz aus,“ bestätigte der Spötter.

„Laßt erst einmal sehen!“ meinte prüfend der Dumme, der seine Ehre wieder herstellen wollte. „Kühnes Auge? Paßt. Fürstliche Haltung? Paßt. Adlernase ...?“ Er blickte zweifelnd die Andern an. Die Andern schienen ungläubig. Die Gefahr für des Fiedlers Plan lag nahe. Aber auch hier wußte sich dieser zu helfen.

„Adlernase!“ rief er verächtlich. „Habt Ihr je eine Nase an einem Adler gesehen?“

„Das ist der Schnabel,“ rief der Dumme.

„Und was ist das, wenn ich Dir sage: Halt den Schnabel?“ fragte der Fiedler.

„Das ist der Mund.“

Gelächter war die Antwort.

„Folglich ist der Schnabel ein Mund und nicht eine Nase, und es giebt keine Adlernase – das sagt Eurem Hauptmann!“

„Ei was Nase, Schnabel oder Mund! Ihr habt Mummerei getrieben. Ihr seid als Prinz verdächtig und unser Gefangener,“ rief der Spöttische, und die Andern stimmten bei.

„Gut denn! Wenn ich ein Prinz sein soll, so führt mich nach Gent! Denn ein Prinz kann sein Schwert nur einem anderen Prinzen übergeben.“

Mit diesen stolzen Worten griff Jan, wie aus Gewohnheit, wieder an die Hüfte und zog den Fiedelbogen.

Unmäßiges Gelächter folgte.

„Den Fiedelbogen! Er verräth sich wieder. Es ist der Prinz. Wir haben ihn. Herrlicher Fang, große Belohnung! Zum Herzog mit ihm nach Gent! Nach Gent, nach Gent!“ rief es und lachte es und jubelte es durch einander, und Jan der Fiedler wurde auf dem Fußpfade westwärts geführt.

So lange noch die Schritte der Davoneilenden zu hören waren, blieb vor der Ruine Alles stumm. Als aber die letzten Laute verhallten, lugte der Kopf Bastian’s hinter dem Portale hervor. Nachdem er sich versichert hatte, daß die Luft rein sei, drehte er sich rückwärts und rief leise:

„Teuerdank!“

Man hörte ganz nahe hinter der Ruine Geräusch in den Büschen. Unter schweren Tritten brach trockenes Gezweige am Boden. Die Büsche theilten sich. Eine jugendlich klangvolle, nur mäßig gedämpfte Stimme rief, abwärts gewandt: „Die Pferde lasset zurück!“

Bast zog sich mit tiefer Verbeugung in den Hofraum. Der alte Ritter, der Junker und Maximilian traten durch das Portal.

Wahrlich, das Wagniß des Fiedlers, für diesen gelten zu wollen, war nur da möglich, wo man ihn niemals gesehen. Denn wie er jetzt, in einfacher Waidmannstracht, statt im Purpur des Kaisersohnes, und unter der Tannenkrone der verwilderten Ruine, statt unter dem Thronbaldachin, dastand, zweifelte selbst Bastian, der doch die Abstufungen der Menschen nur nach ihrer Weinzunge zu bemessen gewohnt war, keinen Augenblick, an wen er das Wort zu richten habe.

„Einen Gruß vom Fiedler, und Ihr sollet hier den – den 'Hugh' erwarten, Herr,“ brachte er stammelnd hervor.

„Den 'Hugh'? Ich weiß von keinem 'Hugh'. Aber wo ist der Fiedler? Ich hörte Lärmen,“ fragte Maximilian, mit den Augen suchend.

„Der ist ein Prinz geworden, Herr Ritter, und hat sich fangen lassen,“ erwiderte schlau lächelnd Bast. „Jetzt führen sie ihn nach Gent.“

„Welche neue Kriegslist, Ehrenhold?“ wandte sich Maximilian an den Alten. „Wußtet Ihr darum?“

„Gerade so viel, als um das, was nun geschehen soll,“ brummte der Ritter. „Nur das weiß ich, daß wir jetzt führerlos sind. Hab’s ja immer gesagt: Fremder Schutz, schlechter Schutz.“

„Und wer ist der 'Hugh', den ich erwarten soll?“ fragte Max, wie Jemand, der das Peinliche der Lage empfindet und es doch nicht eingestehen möchte.

„Pst, Herr Ritter! Leise – leise!“ flüsterte Bastian. „Das ist ein mächtiger Waldgeist, der allen Franzosen den Hals umdreht.“

„Ah!“ rief Max in höchster Freude. „Ist es der? Ich wußte es ja. Dann sind wir in den besten Händen. Du aber, Freund, sag’ an, wer bist Du?“

„Nur der Kellerknecht vom Kloster, Eure Gnaden. Nicht der Rede werth! Wenn ich aber Welthistorie machen helfe, sagt der Fiedler, dann will 'Er' – Ihr wißt ja – mich zum herzoglichen Kellermeister machen.“

„Dann denke, Du wärest es schon!“ lachte der Junker.

„Nicht vorlaut, Fürwittig!“ strafte Maximilian, aber er mußte selbst lächeln. „Spaßhafter Kauz!“ sagte er, „gut denn, kannst sogleich Dein neues Amt beginnen. In dieser Ruine sollen wir rasten. Der Ritt durch die Wälder, der erste fast am hellen Tage, hat uns Durst gemacht. Geh’, Kellermeister, und bringe uns Wein vom Packthier!“

Bastian verschwand hinter der Ruine. Maximilian suchte mit den Augen nach einem bequemen Platze, sich niederzulassen. Diensteifrig breitete ihm der Junker den Reitermantel über eine Stelle, wo ein epheuumranktes Mauerstück eine Stütze für den Kopf bot. Jener streckte sich der Länge nach nieder, legte die Hände unter den Kopf, daß ihm das Goldhaar über die Schultern quoll, und richtete das blaue Auge zum Himmel, daß er sich darin wiederzuspiegeln schien.

„Räthsel rings umher!“ sagte er träumerisch. „Aber der Himmel über mir mit seinem ewigen Geheimniß, und der Himmel in mir mit seinem süßen, sie rufen mir zu: Vertraue auf Gott und sie, Teuerdank!“

Dann, wie wenn ihn der Name wieder auf die Erde zurückzöge, wendete er sich lächelnd den beiden Anderen zu, die ihm gegenüber Platz genommen hatten.

„Beim heiligen Maximilian, der meinem Vater im Traume erschienen, ehe denn man mich taufte – besser als mein Taufname taugt für mich der Name, den ich mir selbst gegeben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_675.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)