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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 41.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Junker Paul.
Erzählung von Hans Warring.
(Fortsetzung.)


Das Gespräch hatte hiermit ein Ende. Marie hörte, wie die schweren Schritte im Hausflur verhallten und wie die Hausthür in’s Schloß fiel. Sie sah, wie ihr Bruder sich zum Ausgehen bereit machte. Hatten die eben gehörten Worte schon ihre Unruhe vermehrt, so steigerte sich diese jetzt bis zu einer herzbeklemmenden Angst, als sie wahrnahm, wie Max raschen Schrittes in sein Schlafcabinet trat und sich an dem Schranke zu schaffen machte, in welchem er seine Waffen aufbewahrte. Als er in sein Wohnzimmer zurückkam, hatte er einen Gegenstand in der Hand, welchen er in seiner Brusttasche verbarg. Dann nahm er seinen Hut und wandte sich der Thür zu. Hier aber stieß er auf seine Schwester, die sich ihm angstvoll in den Weg warf.

„Geh’ nicht, Max!“ rief sie seinen Arm ergreifend, „ich weiß, daß Du einer Gefahr entgegengehst.“

„Thorheit, Kind! Beunruhige Dich nicht unnützer Weise! Ich gebe Dir die Versicherung, daß ich selbst an keine Gefahr glaube.“

„Weshalb hast Du denn einen Revolver zu Dir gesteckt?“

„Um für alle Fälle gesichert zu sein. Ein Mann ist stets in einer schmachvollen, unwürdigen Lage, wenn er wehrlos einer Gefahr gegenübersteht.“

„Wenn eine solche möglich ist, solltest Du Dich ihr nicht aussetzen. – Bedenke, was für uns Alle auf dem Spiele steht!“

„Ich wiederhole Dir, Marie, Du kannst meinetwegen außer Sorgen sein. Man bedroht nicht meine Person. Wenn von einer Gefahr die Rede sein kann, so sind es meine neuen Maschinen, die einer solchen ausgesetzt sind. Ich habe Jantzen nach dem Bahnhofe geschickt, sie zu holen, und war eben im Begriff, ihm entgegenzugehen. Seine Rückkehr hat sich so lange verzögert, daß ich fürchte, ihm ist ein Unfall zugestoßen.“

„Weshalb hast Du mir ein Geheimniß daraus gemacht? Du pflegst doch sonst Deine Angelegenheiten mit mit zu besprechen. – Aber ich ahne, Max, daß gerade die neuen Maschinen den Ausbruch beschleunigen werden – konntest Du damit nicht warten, bis die Gemüther sich etwas beruhigt hatten? Du weißt, wie mißtrauisch die Leute gegen jede Neuerung sind.“

„Ich kann es nicht ändern,“ entgegnete er. „Bin ich in der Lage warten zu können? Mir bleibt keine Wahl. Entweder ich gehe energisch vor, oder ich bin zu Grunde gerichtet. – Die neuen Maschinen sind der Art construirt, daß sie einen Theil der Arbeiter entbehrlich machen. Ich kenne die Rädelsführer – und sobald die neuen Stühle im Gange sind, sollen jene fort zum warnenden Beispiel für die Anderen. Dieser Schlag, wenn er anders von Wirkung sein soll, muß sie unvorbereitet treffen, und daher habe ich zu Niemand von dem Projecte gesprochen, selbst zu Dir nicht. Auch Kramer und Jantzen haben bis heute Morgen Nichts davon gewußt. Du siehst, ich hatte meine Gründe, so geheim zu handeln. Doch jetzt lebe wohl! In einer halben Stunde bin ich wieder bei Dir.“

Er war gegangen, ehe sie es hatte verhindern können. Draußen hörte sie seinen festen Schritt auf den Steinplatten des Vorhofes. Sie sah ihn durch die kleine Gitterpforte auf die Landstraße treten und rasch vorwärts schreiten. Mit bangem Herzklopfen blickte sie ihm nach, bis seine Gestalt im Abendnebel verschwand.

Der Damm war etwa eine Viertelmeile von den Fabrikgebäuden entfernt. Ein Gebüsch, das hoch und dicht genug war, um zu einem Verstecke benutzt zu werden, faßte ihn auf beiden Seiten ein. Außer dieser einen Stelle gab es keine zweite auf dem ganzen Wege nach Elmsleben, die zu einem Hinterhalte hätte dienen können. Wenn Gefahr vorhanden war, so konnte sie nur dort drohen – das erkannte Max wohl. Rüstig schritt er vorwärts. Auf dem Wege, soweit er ihn bei der dunkeln, nebeligen Atmosphäre überblicken konnte, regte sich Nichts. Auch in den Arbeiterwohnungen, die links vom Wege, etwa einen Steinwurf von der Fabrik entfernt lagen, und auf welche er im Vorübergehen einen scharfen Blick warf, war Alles ruhig. Die Feuer brannten in den Kaminen wie gewöhnlich, und er sah die Frauen mit der Bereitung des Abendessens beschäftigt. Sollte seine Unruhe und Sorge unnütz gewesen sein? War dies der Fall, so mußte er bei dem windstillen Abend das Geräusch der Räder und den schweren Tritt der Pferde schon aus einiger Entfernung hören. Er blieb stehen, um zu lauschen, aber Nichts ließ sich vernehmen. Er war dem Damme mittlerweile so nahe gekommen, daß er trotz Dunkelheit und Nebel den Weg bis zu dem Punkte, wo er im Gebüsche verschwand, überblicken konnte. Nichts war auf demselben sichtbar. Etwa nach fünf Minuten ging er mit unverminderter Schnelligkeit weiter – dann machte er plötzlich Halt. Es war ein Ton zu ihm gedrungen, der ihn stille stehen und aufhorchen machte. Ihm war's, als hätte er den Schall von schweren, gewaltigen Schlägen gehört, der durch die feuchte Luft nur dumpf vernehmbar war. Nur einmal ließ sich dieser Ton hören; er wiederholte sich nicht, so oft Max auch lauschend stille stehen mochte. Einmal meinte er noch, nebelhafte Gestalten links vom Wege den Bergabhang hinab gleiten zu sehen, aber er konnte sich geirrt haben. War doch der Nebel so dicht geworden, daß man kaum zwanzig Schritte voraussehen konnte.

Als er den Damm erreicht hatte, hielt er einen Augenblick

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_681.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)