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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


auf den Sattelpferden, ein Wagen für den Kanzler, einer für die Räthe und den Grafen Bohlen, einer für den geheimen expedirenden Secretär und die beiden Chiffreurs. Nachdem der Minister mit dem Geheimrath Abeken in dem seinen Platz genommen, und Graf Bohlen sowie die beiden anderen Räthe sich zu Pferde gesetzt, verfügten auch die Uebrigen sich mit ihren Actenmappen in ihre Wagen. Ich bestieg für diesmal sowie später, wenn die Herren ritten, den der Räthe. Fünf Minuten später überschritten wir den Fluß und kamen in die lange Hauptstraße von Saarbrücken. Dann ging es die von Pappeln beschattete Chaussee hinauf, die am Schlachtfelde des 6. August vorbei nach Forbach führt, und nach einer halben Stunde waren wir auf französischem Boden. Von dem blutigen Kampfe, der fünf Tage vorher hier hart an der Grenze gewüthet hatte, waren noch mancherlei Spuren zu bemerken, von Kugeln abgerissene Baumäste, weggeworfene Tornister, Fetzen von Kleidern und Leinenzeug auf den Stoppelfeldern, Kohlen von Kochfeuern, zerschossene Räder, Gruben, von Granaten gewühlt etc. Die Todten aber waren, soweit man sehen konnte, bereits bestattet.

Und hier, am Anfang unserer Reise durch Frankreich, will ich in meiner Erzählung abbrechen, um einige Worte über das mobilisirte Auswärtige Amt und über die Art und Weise zu sagen, wie der Kanzler mit seinen Leuten reiste, wohnte und überhaupt lebte. Der Minister hatte sich zu seiner Begleitung die Geheimen Legationsräthe Abeken und von Keudell, den Legationsrath Graf Hatzfeld und den Grafen Bismarck-Bohlen gewählt. Dazu kamen der Geheimsecretär Bölsing vom Centralbureau und die Chiffreure St. Blanquart und Willisch, endlich ich. Als Boten und Aufwärter gingen die Kanzleidiener Engel, Eigenbrodt und Theiß mit. In ähnlicher Eigenschaft begleitete uns Herr Leverström, der bekannte „schwarze Reiter“, der in den Straßen Berlins Stafettendienste thut. Die Sorge für unser Leibliches war einem Koch anbefohlen, der während der Fahrt als Trainsoldat fungirte und dessen Name mir leider entfallen ist. In Versailles vervollständigte sich der Kreis der Räthe durch Lothar Bucher und den jetzigen Legationsrath von Holstein, sowie durch den jungen Grafen Wartensleben. Bölsing wurde als unwohl geworden durch den Geheimsecretär Wollmann ersetzt, und die gesteigerte Masse der Geschäfte erforderte zwei weitere Chiffreure, auch traten noch einige Kanzleidiener hinzu. Die Güte unseres „Chefs“ – so wird der Reichskanzler von den Angehörigen des Auswärtigen Amtes in gewöhnlicher Rede bezeichnet – hatte es so angeordnet, daß seine Mitarbeiter auch gewissermaßen Glieder seines Haushalts waren: wir wohnten, wenn es anging, in demselben Hause mit ihm und hatten die Ehre, an seiner Tafel zu speisen.

Der Kanzler trug während des ganzen Krieges Uniform, und zwar in der Regel den bekannten Interimsrock des gelben Regiments der schweren Landwehrreiterei und weite Aufschlagstiefel, bei Ritten nach Schlachten oder Aussichtspunkten auch an einem Riemen ein Futteral mit einem Feldstecher und zuweilen, außer dem Pallasch, einen Revolver. Nur in Versailles sah ich ihn einige Male im Schlafrocke, und da war er nicht wohl – ein Zustand, von dem er sonst während des Feldzuges meines Wissens völlig unangefochten blieb. Auf der Reise fuhr er meist mit dem jetzt verstorbenen Abeken, einmal mehrere Tage nacheinander auch mit mir. In Betreff der Quartiere machte er sehr geringe Ansprüche und begnügte sich auch da, wo Besseres zu haben war, mit einem höchst bescheidenen Unterkommen. Während in Versailles Obersten und Majore mitunter eine Reihe brillanter Gemächer innehatten, bestand die Wohnung des Bundeskanzlers während der fünf Monate, die wir hier verweilten, in zwei kleinen Stuben, von denen die eine zugleich Arbeitscabinet und Schlafkammer war, und einem nicht sehr geräumigen und wenig eleganten Empfangssalon im Erdgeschosse. Einmal, im Schulhause zu Clermont en Argonne, wo wir mehrere Tage blieben, hatte er nicht einmal eine Bettstelle, sodaß man ihm sein Lager auf dem Fußboden bereiten mußte.

Auf der Reise fuhren wir meist unmittelbar hinter dem Wagenzuge des Königs. Wir brachen dann gewöhnlich gegen zehn Uhr Morgens auf und machten bisweilen starke Touren bis zu sechszig Kilometern. Im Nachtquartier eingetroffen, ging man stets sofort an die Einrichtung eines Bureaus, in welchem tapfer gearbeitet wurde. Feldjäger kamen und gingen mit Depeschensäcken; Boten brachten und holten Briefe und Telegramme; die Räthe verfaßten nach den Weisungen des Chefs Noten, Erlasse und Verfügungen; die Kanzlei copirte und registrirte, chiffrirte und dechiffrirte. Von allen Weltgegenden strömte Material herzu, das in Versailles manchmal kaum zu bewältigen schien und doch zu rechter Zeit bewältigt wurde. Allerlei Besuch stellte sich ein, Militärs und Civilpersonen, Diplomaten, Leute vom Hofe, Fürsten, Prinzen, französische Unterhändler und Agenten, Minister aus Berlin und anderen deutschen Residenzen, Parlamentarier, Finanziers, selbst amerikanische Generale, und für Alle hatte der von tausend wichtigen Fragen in Anspruch genommene Mittel- und Gipfelpunkt der Maschine, die in diesen großen Tagen die Weltgeschichte machte, Zeit und Interesse.

Die fast übermenschliche Befähigung des Kanzlers, zu arbeiten, schöpferisch, aufnehmend, kritisch zu arbeiteten, die schwierigsten Aufgaben zu lösen, überall sofort das Rechte zu finden und das allein Geeignete anzuordnen, war vielleicht nie so bewundernswerth wie während dieser Zeit, und sie war in ihrer Unerschöpflichkeit um so erstaunlicher, als nur wenig Schlaf die dabei aufgewendeten Kräfte ersetzte. Wie daheim, stand der Minister auch im Felde, wenn nicht eine zu erwartende Schlacht ihn an der Seite des Königs schon vor Tagesanbruch zum Heere rief, meist spät, in der Regel gegen zehn Uhr auf. Aber er hatte dann die Nacht durchwacht und war erst mit dem durch's Fenster scheinenden Morgenlichte eingeschlafen. Oft kaum aus dem Bette und in den Kleidern, begann er bereits wieder zu denken und zu schaffen, Depeschen zu lesen und mit Anmerkungen zu versehen, Zeitungen zu studiren, den Räthen und anderen Mitarbeitern Instructionen zu ertheilen, Fragen vorzulegen und Aufgaben der verschiedensten Art zu stellen, selbst zu schreiben oder zu dictiren. Später waren Besuche zu empfangen und Audienzen zu geben oder es war dem Könige Vortrag zu halten. Dann wieder Depeschenstudium, Correctur von befohlenen Aufsätzen, Niederschrift von Concepten mit den bekannten großen Bleistiften, Abfassung von Briefen, Information zu Telegrammen oder Aeußerungen in der Presse, und dazwischen zuweilen abermals Empfang von Besuchen, die zuweilen nicht willkommen sein konnten. In Ferrières und Versailles, wie vorher in Donchery und Haute Maison, kamen dazu noch langwierige Besprechungen mit französischen Unterhändlern. Erst gegen zwei, manchmal erst drei Uhr gönnte sich der Kanzler an Orten, wo für längere Zeit Halt gemacht worden, einige Erholung, indem er einen Spazierritt in die Nachbarschaft unternahm. Darauf wurde nochmals gearbeitet, bis man zwischen fünf und sechs Uhr zum Diner ging. Spätestens anderthalb Stunden nachher war er wieder in seinem Zimmer an der Arbeit, und häufig sah ihn noch die Mitternacht lesen oder schreiben.

Auch hinsichtlich seiner Mahlzeiten lebte der Kanzler in eigner Weise. Früh genoß er eine Tasse Thee und wohl auch ein oder zwei Eier, dann aber in der Regel nichts bis zu dem in die Abendstunden verlegten Diner. Sehr selten nahm er am zweiten Frühstück und nur dann und wann am Thee theil, welcher zwischen neun und zehn Uhr servirt wurde. Er aß somit innerhalb der vierundzwanzig Stunden des Tages nur einmal. Diplomaten halten sprüchwörtlich auf eine gute Tafel und stehen hierin, wie ich mir habe sagen lassen, kaum den Prälaten nach. Es gehört das zu ihrem Gewerbe, da sie häufig einflußreiche oder sonst bedeutende Gäste bei sich sehen, die zu dem oder jenem Zwecke in angenehme Stimmung gebracht werden müssen, und nichts so angenehm stimmt, wie die Vorräthe eines wohlversorgten Kellers und die Ergebnisse der Kunst eines durchgebildeten Kochs. Auch Graf von Bismarck führte einen guten Tisch, der sich, wo die Umstände es gestatteten, zur Opulenz erhob. Dies war namentlich in Reims, Meaux, Ferrières und zuletzt in Versailles der Fall, wo das Genie des Künstlers in der Trainmontur uns Frühstücke und Diners schuf, denen ein an einfache bürgerliche Kost gewöhntes Gemüth fast mit dem Gefühle Gerechtigkeit widerfahren ließ, in Abraham's Schooße zu sitzen, zumal bei ihnen außer andern werthen Gaben Gottes aus dem Bereiche der Getränke der Sekt nicht vermißt wurde. Der Küchenwagen hatte zu solchen Mahlzeiten zinnerne Teller, Becher aus silberähnlichem Metall, inwendig vergoldet, und ebensolche Tassen mitgebracht. Einiges zur Verschönerung der Tafel, die uns so freundlich nährte, trugen in den letzten fünf Monaten Spenden aus der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_710.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)