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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


das Treiben der Wucherbande, aber kein rettendes Gesetz, keine Maßregeln von Seiten des Reichstages steuern dem Unwesen.

In Oesterreich – wenn wir nicht irren – existirt ein Armee-Fond, wie er in Preußen bei vielen Regimentern auch bereits angebahnt worden ist, aus dem Officieren zu fünf Procent Zinsen Vorschüsse bis zu einigen hundert Mark, welche in Ratenzahlungen innerhalb eines Jahres zurückzuerstatten sind, gewährt werden. Wir halten diese Maßregel für entschieden nutzenbringend und nachahmungswerth, weil fast sämmtliche Fallissements von Officieren aus kleinen Anfängen herrühren, welche durch Prolongationen lawinenartig anwachsen. – Besser noch wäre es freilich das Uebel mit der Wurzel auszurotten und dem immer größere Dimensionen annehmenden Schwindel durch ein Gesetz den Weg zu verlegen.

A. v. Z.




Aus der guten alten Zeit.
Zur Geschichte eines Märtyrers der guten Sache.[1]
I.

Wenn wir es versuchen, unsere Leser in eine Zeit voll Schmach und Jammer, voll unsäglicher Kämpfe und Opfer zurück zu versetzen, so können, wir dies nicht wirksamer bewerkstelligen, als indem wir Bilder aus dem Leben eines der vielen Märtyrer entrollen, welche damals so ergreifend tief in die Geschicke Deutschlands verwickelt waren.

Die Zeiten haben sich seitdem so völlig geändert, daß Gesinnungen, welche früher demagogisch und hochverräterisch genannt wurden, zu den alltäglichen und gesunden gestempelt worden sind, ja daß die Epoche der jammervollsten Justiz und des geheimen Inquisitionsverfahrens viel weiter hinter uns zu liegen scheint, als dies in der That der Fall ist.

Von dem gerichtlichen Verfahren von damals – wir meinen: in der vormärzlichen Zeit – kann freilich die heutige Generation selbst aus den Geschichtswerken über jene Zeit schwerlich sich ein richtiges Bild machen, und eben darum ist es doppelt nothwendig, solche Zeitbilder aus dem Leben eines unserer edelsten und gequältesten politischen Kämpfer mitzutheilen, ihrem Andenken zu Ehren und zur mahnenden Belehrung für die Gegenwart. Extreme Maßregeln haben stets extreme Richtungen hervorgerufen, und als die Reaction ihre höchste Blüthe erreicht hatte, da war es auch, wo sich aus der einen Seite das Herz und das Handeln der Ehrenmänner am gewaltigsten bäumte und auf der anderen der Servilismus bis zum Abscheu hervortrat. Gedenken wir der schmachvollen Processe am Anfang der dreißiger Jahre, der Processe eines Behr, Eisenmann und Wirth in Baiern, eines E. E. Hoffmann in Darmstadt – welche Männer! Und wie wurde ihre schönste und edelste Wirksamkeit gehemmt, ihre Kraft gebrochen! In Allem jedoch, was es Erbärmliches an willkürlichem Gerichtsverfahren in damaliger Zeit gegeben, that die kurhessische Justiz sich am glänzendsten hervor. Mit blutigen Lettern steht diese Zeit in Hessens Geschichte verzeichnet, dessen Justiz nicht nur einzelne, zum Glück berechtigte Menschenleben schmachvoll geknickt, sondern so dunkle Schatten über die ganze Zeit geworfen, daß man sie nicht oft genug der Gegenwart vor Augen führen kann.

Die Verhältnisse in Kurhessen, Ende der zwanziger Jahre, als die Reichenbach ihre Herrschaft im Lande geltend machte und nur der Stellung und Ansehen erringen konnte, der elend genug war, ihr zu huldigen, sind wohl noch heute unvergessen. – Die edle Kurfürstin hatte, unfähig ein solches Leid länger zu tragen, schon im Mai 1826 Kassel verlassen. Das Volk wagte, im wahren Sinne des Wortes, kaum zu athmen; die Lasten des Staates erdrückten es. Das Losungswort war und blieb: Geld! Geld für den Kurfürsten und für den unglaublichen Luxus der Gräfin Reichenbach. Man griff willkürlich das Eigenthum des Volkes an; kein Recht war mehr heilig.

So waren die Zustände in Kurhessen, als am Vormittag des 15. September im Jahre 1830 der Kurfürst, von einer unabsehbaren Menschenmenge vor seinem Schlosse gedrängt, den Forderungen des Volkes nachgab. Der Landtag wurde einberufen. Die Hochschule in Marburg wählte den Professer Sylvester Jordan zu ihrem Vertreter.

Trotz aller Versuche des landesherrlichen Commissars von Porbed und Eggena’s, des gewandten Gehülfen desselben, und trotz aller glänzenden Versprechungen, mit welchen man Jordan zu bewegen suchte, für den von der Regierung vorgelegten Verfassungsentwurf von 1816 zu stimmen, erklärte er denselben für gänzlich ungenügend und trat denjenigen Ausschußmitgliedern, welche dafür stimmten, weil sie fürchteten, die Unterhandlung würde sich sonst zerschlagen, mit aller Entschiedenheit entgegen.

Wenn nun auch manche Paragraphen der zum größten Theil von Jordan ausgearbeiteten neuen Verfassung Kurhessens beseitigt oder gemildert werden mußten, so setzte der Landtag doch diesmal seine Beschlüsse durch, und der Kurfürst mußte wohl oder übel am 5. Januar 1831 diese Verfassung unterzeichnen.

Am 11. April desselben Jahres wurde darauf der erste verfassungsmäßige Landtag einberufen. Jordan erschien abermals als Abgeordneter der Universität und setzte bei den wichtigsten Verhandlungen über Preßgesetz, Ablösung der Grundlasten etc. die ganze Kraft seiner Kenntnisse, seiner festen Gesinnung und seiner überzeugenden Redekunst ein.

Unterdessen hatte sich in Kassel und in der kurfürstlichen Familie Manches verändert. Der Kronprinz-Mitregent hatte sich, zu dem größten Leidwesen seiner Mutter, mit einer von ihrem Gatten erst losgekauften Frau vermählt, und das führte zu einem Zerwürfnisse zwischen Mutter und Sohn. Während das ganze Volk noch unter der Herrschaft der Reichenbach’schen Partei seufzte, kam jene berüchtigte Metternich’sche Partei an das Staatsruder, welche bis vor nicht allzu langer Zeit in Deutschland allmächtig war. Unter ihren Hauptführern that sich der 1832 als Vorstand des Ministeriums des Innern nach Kassel berufene Hans Daniel Hassenpflug bald genug hervor. Im Juni 1832 erschienen dann, um das Maß voll zu machen, die „Beschlüsse des deutschen Bundes“, welche die Steuerverweigerung für Aufruhr erklärten und sowohl die Gesetzgebung der Einzelstaaten wie die Landstände selbst der Bundespolizei unterordneten.

Da war es für freidenkende Männer an der Zeit, die Rechte des Volkes zu wahren, und da war es, wo Jordan, entrüstet über die Bundesbeschlüsse, den Antrag stellte: „Die Regierung zu ersuchen, die gedruckten Verhandlungen des Bundestags sich zu erbitten und das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten für die dem kurhessischen Bundestagsgesandten ertheilte Instruction verantwortlich zu machen.“ Die Mehrzahl der Abgeordneten erhob Jordan’s Antrag zum Beschluß, aber das Ministerium des Innern (an der Spitze Hassenpflug) verschanzte sich hinter die Bundesacte und nannte das Vorgehen des Landtags „einen Eingriff in die Souveränetätsrechte“. Die Regierung hatte genug gesehen – einige Tage später wurde auf höchsten Befehl der Landtag aufgelöst.

Mit dieser Zeit beginnt die dornenvolle Laufbahn Jordan’s, die er mit dem Mannesmuthe der Ueberzeugung und dem reinen Herzen voll selbstloser Liebe für das Volk betrat.

Und das Volk fühlte diese Liebe und erwiderte sie. Es erwiderte sie mit all dem Jubel und der Wonne, welche nur die Herzen zu empfinden verstehen, die, gefoltert und gequält, endlich von einer barmherzigen Menschenhand sich den Weg vorgezeichnet sehen, der zu ihrer Erlösung führen könnte. Als Jordan im September 1832 mit seiner zweiten Gattin, nachdem ihm die erste in kummervoller Zeit gestorben war, in Marburg einzog, da gab sich diese Liebe kund, und kein angebeteter Fürst konnte ehrenvoller und herzlicher empfangen werden, als er es wurde.

In Schönstädt (Dorf und Schloß, etwa drei Stunden von Marburg entfernt) empfing ihn die reitende Bürgergarde; in Kölbe wurde er von einer Deputation der Stadt Wetter eingeholt und in einem wahren Triumphe nach Marburg geleitet. Am Elisabethenthore daselbst stand ein dreifacher Triumphbogen

  1. Die vorstehenden Mittheilungen verdanken wir einem Familiengliede des Jordan 'schen Hauses; sie ergänzen die Schicksalstragödie des hessischen Märtyrers durch interessante Züge, die sich bisher der Oeffentlichkeit entzogen haben, und gewähren uns einen Einblick in die traurigste deutsche Vergangenheit.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 725. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_725.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)