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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


vorgab, unter den höflichsten Formen hinter der Maske fechten zu sehen.

„Euer Gnaden kommen doch mit guten Nachrichten von Kaisers Majestät?“ fragte mit äußerster Höflichkeit Cleve.

„Mit den besten, Herzog,“ war die lakonische Antwort.

„Und machen vermuthlich einen kurzen Abstecher von Cöllen?“

„Einen längeren, Herzog, zu dauerndem Aufenthalt.“

„Euer Gnaden, Euer Gnaden!“ wiegte Cleve besorglich den Kopf. „Kaisers Majestät wird erschrecken über die Gefahren, denen Ihr bei so unruhigen Zeiten in fremden Landen Euer kostbares Leben aussetzet.“

„Beruhigt Euch, Herzog! Ich wünschte manchem Anderen, daß sein Leben hier so wohl geborgen sei, als das meine.“

„Jedenfalls dient es mir zu Beruhigung, daß ich Eurer Hoheit eine sichere Bedeckung von tausend Reitern anbieten kann, mit denen mein Sohn soeben durch das Thor von Ypern eingeritten ist.“

Bei diesem mit besonderem Nachdruck ausgespielten Trumpf bemerkte der Schlaue mit Vergnügen, wie Maria zusammenschrak. Maximilian’s Züge konnte er nicht beobachten. Derselbe wandte eben den Kopf seitwärts, um Hugo einen unruhig fragenden Blick zuzuwerfen. Hugo’s Antwort beschränkte sich auf ein ironisches Lächeln.

„Ich danke für Eure Güte, Herzog,“ erwiderte beruhigt der Prinz. „Mein eigenes Geleite wird für mich und Andere genügen.“

„Dennoch kann ich mir nicht versagen, für Eurer Gnaden Schutz auch sonst Sorge zu tragen. Ich habe“ – und ein stolzes Selbstgefühl sprach aus seinen Augen – „einige Macht über die unruhigen Köpfe in Gent. Wenn es Euch beliebt, Euch selbst davon zu überzeugen, so gestattet – – “ Und er wandte sich dem Volke zu, das neugierig gaffend dreinschaute, suchte mit dem Blicke über die Köpfe hinweg offenbar nach einer die Anderen überragenden Persönlichkeit und redete, als er sie zu seinem stillen Schrecken nicht fand, die Menge nur mit um so herzgewinnenderen Tönen an.

„Ihr lieben Brüder, theuren Freunde, ihr machet mich staunen. Ich hörte noch nichts von dem herzlichen Zuruf, mit dem ihr eure geliebte Herzogin zu begrüßen kamt. O, ich weiß, ihr wartetet auf mich, den durch euren und der Staaten Willen zu eurem Sprecher Erwählten. Aber jetzt bin ich da; jetzt dürfen eure Herzen sich in Jubel ergießen, und so stimmet denn ein mit mir in ein einmüthiges 'Heil der Herzogin, Heil!’“

Begeistert streckte er die Rechte empor, daß sie wie ein Signal in der Luft ragte.

Aber o Schrecken! Kein Gegensignal erwiderte das Zeichen; keine Posaunenstimme antwortete darauf; das ihm einst so lieblich tönende Echo war ... verstummt. Aber noch mehr – was war das? Auch die Hunderte, ja Tausende des Volkes, die dort leibhaft vor ihm standen, warum hatten auch sie die Sprache verloren? Vorsichtig genug, hatte er nur der Herzogin Heil gerufen – und dennoch Stille?

Noch einmal, als wäre es ein böser Traum und keine Wirklichkeit, hob er mechanisch den Arm, und noch einmal stieß er krampfhaft ein „Heil, Heil!“ hervor. Vergebens! Keine Antwort, kein Laut. Nur höhnisch zum Lachen verzerrte Mienen starrten ihm schadenfroh entgegen.

Maria wandte sich von dem peinlichen Auftritte ab. Auch in Maximilian kämpften schon großmüthigere Regungen mit den strengen Geboten der Nothwendigkeit. Da machte der Fiedler, er, der bis dahin bescheiden hinter dem Lehnsessel des Herzogstisches verborgen gestanden hatte, rasch entschlossen der Sache ein Ende. Mit einem Satze sprang er auf den Tisch, hob den Bogen und rief:

„Es lebe der Sohn des Weißkönigs! Prinz Teuerdank–Heil!“

Und „Heil, Heil!“ fielen einmüthig Abgeordnete, Arbeiter, Soldaten und selbst das Gesindel ein.

Maximilian erhob mit strengem Blicke und würdevoller Haltung die Hand. „Genug, alter Freund!“ rief er dem Fiedler zu. „Dank Euch, aber genug!“ Der Fiedler sprang vom Tische. Stille trat ein.

„Kommen wir zum Schluß, Herzog! Ihr seht, Eure Macht beim Volke würde mich nicht mehr schützen, ja, sie genügt nicht einmal zu Euerer eigenen Sicherheit.“

„O dieses Volk, dieses Volk!“ knirschte Cleve vor Scham und Wuth. „Aber mit den Reitern, die mein Sohn bringt, will ich es züchtigen.“

„Hoffet auch nicht auf Euren Sohn, Herzog!“ fuhr Maximilian ernst, fast mitleidig, fort. „Die Thore Gents sind für ihn geschlossen.“

Aber dieses Mal strafte ihn der Augenschein Lügen, denn eben eilte durch die Gasse im Schloßhofe schnellen Schrittes eine gedrungene Gestalt mit weißer Feder auf schwarzem Barrett, und in erstaunten Ausrufen rief es: „Der Prinz! Der Prinz!“

„Wahrlich, das ist er,“ entfuhr es mit fast erschrockenem Tone Maximilian. Cleve’s Augen leuchteten. Aber ein Blick auf das unstäte Aussehen des ohne jede Bedeckung daher Eilenden genügte für den alten Fuchs, um Unheil zu wittern, und während alle Anwesenden, durch ein so unerwartetes Ereigniß gefesselt, sich dem Prinzen entgegenwandten, zog er sich vorsichtig einige Schritte hinter Maria und Maximilian zurück.

Wie richtig sein Argwohn, zeigte sich sogleich. Mit unsicherem Blicke stürzte Prinz Adolf in die Halle und ohne aufzublicken, sich vor Maximilian auf die Kniee niederlassend, stammelte er:

„Verzeihung, gnädiger Herr!“

„Ha!“ murmelte Cleve für sich und that heimlich einen weiteren Schritt rückwärts, der ihn der Gesichtslinie der nächsten Abgeordneten entzog.

„Wie soll ich das verstehen, Prinz?“ ließ Maximilian mit finster zusammengezogenen Brauen den vor ihm Knieenden an. „So haltet Ihr Euer Wort? Ihr suchtet mit Euren Reitern vor mir Gent zu gewinnen, und nun ich Euch dennoch zuvorgekommen ...?“

„Bei Gott, Ihr irret, Herr,“ fiel ihm der Prinz in die Rede. „Ja, bei meiner Ehre, ich hielt mein Wort. Aber kaum war ich auf der Heerstraße nach Brüssel eine Strecke geritten, so sah ich auch schon unsere Reiter auf dem Rückwege. Was thun? Fast gedankenlos hielt ich an und lenkte die Zügel rückwärts. Aber kaum hatte sich Huy’s Stute gewendet, so griff sie in’s Gebiß und ging mir durch, unaufhaltsam ... ihrem alten Herrn entgegen, zumal dann, als Ihr gleich darauf in der Ferne vor uns hersprengtet – fast hätte ich Euch noch am Thore eingeholt.“

Mit lächelndem Blicke sah Maximilian auf Maria.

„Wahrlich,“ sagte diese, den Prinzen mit leichter Handbewegung einladend, sich zu erheben, „Ihr seid an mir gerächt, Prinz – ich habe Todesängste ausgestanden, als ich die Hufschläge hinter mir hörte.“

„Und wo sind jetzt Eure Reiter?“ fragte Maximilian.

„Sie werden vor der Stadt halten, denn sie konnten mir nicht schnell genug folgen. Kaum war ich durch das Thor gesprengt, als Eure Wache es hinter mir schloß.“

„Und was seid Ihr gesonnen zu thun?“

„Ich habe Euch Urfehde gelobt,“ sagte freimüthig der Prinz, „und wollte draußen in Geduld erwarten, ob das Schicksal hier für oder gegen Euch entscheide, um fortan Euch oder meinem Herrn Vater zu dienen.“

„Ei, Herr Herzog, höret doch! ...“ wandte sich Maximilian rückwärts.

Aber siehe da – Cleve war verschwunden.

„Wo ist der Herzog?“ fragte er überrascht die Umstehenden.

„Wo ist er?“ wiederholten Alle, Einer den Andern fragend. Aber Niemand wußte Auskunft zu geben; Einige wollten zwar bemerkt haben, daß Cleve sich schrittweise zurückgezogen, aber sie hatten die Bewegung dem Unwillen des Herzogs über die bittende Stellung seines Sohnes zugeschrieben und nicht weiter auf ihn geachtet.

Da trat der Fiedler vor. Er kam von der Verbindungsthür.

„Herr,“ meldete er, „der Herzog ist ...“ und statt jeder weiteren Bezeichnung blies er über die Finger hinweg. „Aber ... noch einen Anderen habe ich gesehen.“

„Wen?“

„Den Rothbärtigen.“

„Ha! Den müssen wir haben. Berichte!“

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_736.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)