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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Jetzt bin ich ganz glücklich,“ rief er ihr zu. „Ich bin Feldoberst, Fräulein. Nun hat es ein Ende mit all dem Firlefanz. Nichts mehr von Weiberschanzen ... halloh, zur Männerschlacht!“

Dann folgte er schleunigst dem Ritter durch den Schloßhof.

Maximilian aber, Maria bei der Hand nehmend, redete jetzt die Abgeordneten an.

„Das letzte Hinderniß ist beseitigt,“ sprach er, „um eure angestammte Fürstin wieder in ihre Rechte einzusetzen. Aus unwürdiger Gewalt befreit, besteigt sie wieder den Thron ihrer Väter und ergreift die Zügel des Regiments. Habt keine Besorgniß für eure Privilegien! Die Herzogin verbürgt euch jede Freiheit, die man euch seit fünfzig Jahren nicht ohne eigenes Verschulden der Städte entzogen. Ihr künftiger Gemahl aber wird ihr zur Seite stehen, um mit starker Hand die Ordnung im Lande, den Schutz dieser Stadt und das Waffenglück gegen den Feind wieder herzustellen. Das Alles wollen wir sogleich urkundlich verbriefen. Fraget nicht nach meinem Namen! Noch heiße ich einfach 'Teuerdank'. Aber der Tag ist nicht ferne, wo ich in anderer Gestalt, mit fliegenden Bannern und vollem Glanze, in eure Thore einreiten werde.“

„Heil Euch!“ rief der Vicepräsident.

„Heil Euch!“ fielen die Abgeordneten ein.

„Dort sehe ich die Notare der Stadt, die der Clever fürsorglich herbeschieden. Kommt, ihr Herren, und verbriefen und versiegeln wir einstweilen in Kürze die neue Ordnung der Dinge!“

Mit tiefer Verneigung folgten ihm die Vertreter der Staaten zum Tische der Notare. In dem übrigen Raume der Halle blieben nur Hugo, Adelheid und der Fiedler.

Hugo hatte sich bisher bei Allem, was geschehen, schweigend und nur in zweiter Linie, gleichsam als Reserve, gehalten. Er beobachtete und verfolgte die naturgemäße Entwickelung der Dinge, deren Fäden er gesponnen, stets bereit, im äußersten Falle helfend beizuspringen, aber sichtlich bestrebt, bis dahin unbeachtet zu bleiben, sodaß Adelheid schon oftmals zu ihm aufgeblickt hatte, als frage sie, ob dieser so theilnahmlos dastehende Mann derselbe sei, den sie im Stillen und nicht ohne Herzklopfen für den geheimen Lenker der merkwürdigen Ereignisse dieses Tages hielt. Nur einmal, bei dem Wuthausbruch des berüchtigten Nikol, hatte sie seine Hand nach dem Degengriff zucken sehen; dann wieder, auf den Zuruf Maximilian's, hatte er das Horn ergriffen, dasselbe, welches schon einmal eine so wunderbare Wirkung gehabt, alsbald aber hatte er auch dieses wieder wie spielend an den Gürtel gehängt und war in die alte Theilnahmlosigkeit zurückverfallen.

Das Alles hatte Adelheid im Stillen beobachtet, und als sie sich jetzt endlich allein mit ihm befand, brannte sie vor Begierde, sich vermittelst ihres beliebten Fangballspiels Aufklärung darüber zu verschaffen. Allein zu ihrer Beschämung und mehr, zu ihrem tiefen Herzeleid, mußte sie sehen, daß selbst sie nicht im Stande war, seine Theilnahme zu fesseln, denn als sich jetzt außer ihr in dem freien Raume der Halle nur noch der Fiedler gegenwärtig zeigte, eilte er, ohne ihr auch nur einen Blick zu gönnen, zu diesem hinüber. Und noch mehr – in welchem Verhältnisse konnte der vornehme, feine Cavalier zu diesem so wunderlichen Manne stehen, der eben noch dem großen Haufen zur Belustigung gedient hatte, daß er ihm beide Hände schüttelte und in vertrautester Weise die Hand auf seine Schulter legte? Vergebens neigte sich die Spitze ihres Zuckerhutes, unter welchem das kleine, schmal angewachsene Ohr neugierig hervorlugte, diesmal ebenso auffallend nach rechts, als es am Nachmittage nach links der Fall gewesen war. Der Raum der Halle zwischen ihnen war zu groß, als daß man ein Wort hätte auffangen können. Vergebens versuchte sie, mit dem Fächer spielend, sich unbemerkt näher zu schieben – die Scheu, sich in seinen Augen herabzusetzen, überwog. So ergab sie sich denn darein, zu warten. Die Libelle „stand“.

Und es war vielleicht gut für sie. Denn hätte sie ihren Wunsch befriedigen, hätte sie hören können, was die Beiden verhandelten: ihr Spitzentuch würde sich nicht minder in Bewegung gesetzt haben, als da der Prinz ihr leicht erregbares Herz zu rühren verstanden hatte.

„Mein treuer Freund in der Noth,“ sprach Hugo fast wehmüthig zum Fiedler. „Nun kommt auch unser Geheimniß zu Tage, und wenn auch das Band, das uns verbindet, niemals gelöst werden kann, so werden wir doch aufhören, Geschichte mit einander zu machen, und Jeder von uns wird in den Kreis zurücktreten, auf den er angewiesen ist. Womit kann ich Dir lohnen, der Du für mich und mein Haus mehr als einmal Freiheit und Leben gewagt? Willst Du ein großer Herr werden?“

Jan schüttelte den Kopf.

„Der liebe Gott,“ sagte er, „läßt die Bäume nicht höher wachsen, als ihre Wurzeln sie tragen, Herr.“

„Du könntest leicht des künftigen Kaisers lustiger Rath werden.“

„Lustiger Rath? Danke, Herr! Ich bin kein Kukuk und lege meine Eier nicht in fremde Nester. Nein, zu Euren Ohren habe ich mein Nest gebaut und manches lustige Stücklein hineingepfiffen. Bei Euch laßt mich bleiben! Euch habe ich die Knabenspiele gelehrt, habe Euch in die Fremde gebracht – nun lasset mich auch alt bei Euch werden!“

Und dieselben Nasenflügel, die so unwiderstehlich zum Lachen reizen konnten, hoben und senkten sich jetzt gewaltsam, um die Thränen zu unterdrücken, die in den Augen des Mannes perlten, als er sie bittend auf das Antlitz seines jungen Herrn richtete.

„Du treue Seele!“ rief Hugo gerührt, und ohne Scheu, ob es von allem Volk gesehen werde, umarmte er ihn, drückte einen Kuß auf seine Wange und rief:

„Wir bleiben zusammen.“

Dann ging er raschen Schrittes, wie als suche er seine Rührung zu verbergen, zu der Gruppe am Tische der Notare.

„Das ist ein Herr. Und das ist ein Lohn,“ schluchzte der Fiedler für sich – „O, thut das einem Geldern'schen Herzen wohl!“

Ein leiser Stoß an den Ellenbogen riß ihn aus seinem Entzücken. Er wandte sich um: Adelheid stand vor ihm. Starr vor Staunen über das, was sie gesehen, war sie unhörbar zu ihm herangeschwebt.

„Fiedler!“ sagte sie leise.

„He?“

„Welchem Herrn gehören denn alle die mit den grünen Zweigen?“

Aber sie irrte, wenn sie glauben mochte, einen schwachen Augenblick bei ihm ersehen zu haben. Der sich noch eben die Augen gewischt hatte, war schon wieder der Alte.

„Möchtet Ihr's wissen?“ sagte er, schlau mit den Augen zwinkernd. „Ich will's Euch sagen, aber verrathet mich nicht! Sie gehören“ – und beide Hände an den Mund legend und diesen an ihr Ohr haltend, blies er mit Schauerton hinaus: „dem 'Hugh'!“

Erschrocken fuhr Adelheid zurück, aber schnell den Spaßvogel erkennend, fragte sie vertraulich neugierig:

„Wer ist denn das?“

Jan's Nasenflügel arbeiteten.

„Ein erschrecklicher Waldgeist,“ raunte er ihr in's Ohr, „der Gottseibeiuns.“

„Ich weiß,“ lachte sie pfiffig, „der von Geldern.“

Jetzt war es Jan, der sie verwundert, fast bestürzt, ansah.

„Ihr wißt? ... Aber, wenn Ihr es wißt ... warum fragt Ihr?“

„Weil – weil – der 'Hugh' – der von Geldern“ – stotterte sie, sich auf eine Ausrede besinnend: da kam ihr, plötzlich, nur durch die Wortstellung vermittelt, ein Gedanke, so natürlich, daß sie ihn für sich selbst erst mit einem „Ah“ begrüßte – „weil der 'Hugh', der von Geldern ... der 'Hugh' von Geldern ist.“

„Bei Eurem Kopf, Fräulein, schweigt!“ rief entsetzt der Fiedler. „Der Tod steht darauf, und spräche einer von den Fünfhundert mit grünen Reisern den Namen aus, es wäre sein letztes Wort.“

„Ich bin aber keiner von den Fünfhundert,“ lachte das Fräulein, „und Ihr sollt gleich sehen, der Hugh reißt mir darum den Kopf noch lange nicht ab.“

Sprach's und schlenderte, da ihr nicht entgangen war, daß Hugo sich eben mit einem Seitenblicke auf sie wieder vom Notartische entfernt hatte, in einer Richtung fort, die ihm nothwendig den Weg abschneiden mußte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_750.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)